Wir erfahren in unserer globalisierten Welt immer mehr, wie eins mit dem anderen verbunden ist – in guten wie in schlechten Zeiten … In guten Zeiten schätzen wir die vielen Möglichkeiten, die uns gegeben sind. In Krisenzeiten allerdings sieht alles ganz anders aus. Da erleben wir viel Verunsicherung, Schmerz, Hilflosigkeit, Angst, Ablehnung bis hin zu Abschottung und Hass. Gleichzeitig ist aber gerade in besonders unruhigen Zeiten zu beobachten, wie Menschen zusammenrücken, um miteinander zu sein, zu sprechen, zu trösten, zu helfen, zu trauern.

Bilder von Paris und Brüssel gingen um die Welt, wo Menschen noch einmal den Ort des Grauens aufsuchten, um Blumen niederzulegen, Kerzen anzuzünden, ihnen bisher Unbekannte zu umarmen. Welch großartige Mitmenschlichkeit zeigt sich auch vielerorts im Zusammenhang mit den Flüchtlingen, die von einer so riesigen Zahl Ehrenamtlicher äußerste Hilfsbereitschaft erfahren!

Auf dieses Verbundensein geht die spirituelle Lehrerin Pyar in ihrem Buch WIR ganz intensiv ein und betont, wie wichtig es ist, die Wirklichkeit der wechselseitigen Verbindung aller Wesen zutiefst zu verstehen. Ihrer Meinung nach kann es nur mit dieser Sicht aus dem reinen Gewahrsein heraus und im Erfahren der Vernetztheit unserer inneren Strukturen und unserer Umwelt gelingen, adäquat auf die Herausforderungen unserer Zeit zu antworten.
Pyar selbst steht mitten im Leben als praktizierende Ärztin, Ehefrau sowie als spirituelle Lehrerin, die europaweit Satsangs und Retreats gibt und dazu sechs Bücher schrieb. Voller Mitgefühl nimmt sie wahr, was um sie herum geschieht und ruft auf sowohl zum Engagement als auch gleichzeitig zur Meditation.

Die Journalistin Marlies Burghardt sprach mit Pyar über Spiritualität in Krisenzeiten.

 

Marlies Burghardt: Pyar, du bringst im Zusammenhang mit dem Thema Verbundensein oft das schöne Bild von Indras Netz.

Pyar: Ja, ich liebe diese alte Geschichte aus Indien: Der Götterkönig Indra warf ein unendlich großes Netz ins All, das sich seither durch Zeit und Raum zieht. An jedem Verknüpfungspunkt dieses Netzes befindet sich eine schimmernde Perle. Und jede dieser Perlen spiegelt alle anderen wider. Jedes Wesen ist eine solche Perle.

Das heißt unsere Verbundenheit ist eine Realität und das Empfinden von Empathie ist die natürliche Ausdrucksform dieser Wirklichkeit. Aufgrund von Angst, eigenen Konditionierungen und Verletzungen legt sich jedoch oft ein Gefühl der Entfremdung über dieses natürliche Empfinden. Dann gilt es aktiv Verbindung zu schaffen, um diese unheilvolle Schicht der Angst in unserer Seele zu durchdringen und wieder zum pulsierenden liebevollen Leben zu gelangen. Das erfordert Integration in unserem Inneren und im Außen. Wir erkennen dann wieder die grundlegende Gutheit in uns selbst und in Allen.

 

Insofern steht auch alles, was wir jetzt um uns herum erleben, in einem großen Zusammenhang. Flucht und Terror haben Ursachen, an denen wir alle mitbeteiligt sind.

Ja, das stimmt leider. Wir alle sind beteiligt an den Ursachen von Klimawandel, von Krieg und Terror. Ganz bewusst sage ich beteiligt und nicht schuld!

 

Im Zusammenhang mit den Flüchtlingen erfahren wir einerseits tiefes Mitgefühl und äußerste Hilfsbereitschaft, andererseits aber auch starke Hilflosigkeit bis hin zu Ablehnung, Feindseligkeit – was seit den Ereignissen im Dezember letzten Jahres sehr zugenommen hat. Wie erlebst du das alles?

Zur Zeit kommen ja viel weniger Flüchtlinge an. Hier in München erlebten wir im letzten Jahr endlose Flüchtlingsströme. An manchen Tagen kamen mehr als 10.000 Männer, Frauen und Kinder am Hauptbahnhof an. Die spontane, herzliche und weitgehend von der Bevölkerung selbst getragene Hilfsbereitschaft, organisiert über Facebook und Doodle berührte mich zutiefst. Genauso wie der Humor, die Tapferkeit, der Zusammenhalt unter den Menschen aus Nahost, die nach allem was sie erlebt und erlitten haben und trotz eigener Erschöpfung oft auch mit Hand anlegten, oder sogar wie einmal am Wiener Hauptbahnhof den ganzen Bahnhof putzten, weil sie einfach etwas zurück geben wollten. Oder das kleine Video, das einen ungarischen Mann zeigte, der Wasserflaschen an Flüchtlinge verteilte und wohl unangenehm berührt davon, dass er dabei gefilmt wurde, sagte: „So bin ich normalerweise gar nicht. Ich habe noch nie in meinem Leben jemandem geholfen.“ Dieser Tag war sicher ein Wendepunkt in seinem Leben!

 

Wichtig dürfte aber auch sein, denen gegenüber, die große Bedenken äußern, mit Verständnis und Mitgefühl zu begegnen. Andernfalls wachsen die zwei „Lager“ noch stärker, was ja wieder Trennung statt Verbindung bedeutet.

Oh ja, das ist wahr! Es ist sehr wichtig, den Menschen, die Angst und Bedenken haben, entgegen zu kommen und ihnen die Hand zu reichen. Dafür brauchen wir Methoden um der Angst vor dem Fremden zu begegnen. Und diese Methoden gibt es! In einem kurzen Gespräch an einer Bushaltestelle in Berlin mit einem Paar, das sehr ängstlich war und daher eher der Pegida-Bewegung zugeneigt, gelang es, eine Ahnung der Grundlegenden Gutheit und unserer Verbundenheit zu vermitteln und ihnen klar zu machen, dass all diese Menschen auch Geschenke für uns mitbringen.

Ich empfinde eine große Dringlichkeit, dass gerade wir Menschen, die sich als auf einem spirituellen Weg gehend begreifen, lernen gut, liebevoll und geschickt mit diesen von dir genannten beiden Lagern zu kommunizieren!

 

Unser Ego setzt Grenzen, scheut Veränderungen, denkt in schwierigen Situationen leicht die „Hölle“. Da könnte es vielleicht hilfreich sein, sich z.B. einmal in ein Flüchtlingslager zu begeben, die Menschen zu erleben – ihre Offenheit, Not, Dankbarkeit.

Ja, genau. Ansonsten ist bei uns in München Kontakt unvermeidlich, da hier soo viele Flüchtlinge sind. Und genau dadurch wurde in vielen Fällen die natürliche Empathie geweckt. Mit Menschen zu sprechen, Menschen in die Augen zu sehen, Menschen zu erleben wie sie wirklich sind, ist etwas anderes, als über dieselben Menschen zu hören, zu lesen oder im Fernsehen einen Bericht zu sehen!

 

Dieses Sich Hineinbegeben kann Grenzen öffnen und Raum schaffen für ein Mehr an Miteinander. Auch in Zeiten von Terror sollten wir uns  deshalb nicht zu Generalverdacht und Hass verleiten lassen. Trotzdem:  Wie umgehen mit Angst, Misstrauen, Wut?

Im Zusammenhang mit der Raumhaftigkeit zitiere ich oft den tibetischen Meister Padmasambhava: „Im unendlichen Mandala des Raumes haben alle Phänomene leicht Platz, sie haben leicht Platz und da ist immer noch Weite. Im unendlichen Mandala der Geistessenz haben alle Gefühle und Gedanken leicht Platz, sie haben leicht Platz und da ist immer noch Weite.“ Das ist meditative Sicht und das ist zugleich sehr starke Medizin gegen jede Angst!
Und bitte immer wieder erinnern: jeder Mensch ist im Kern gut, jeder Mensch ist gleich würdig und jeder Mensch wird nackt geboren und verlässt diese Welt ohne Besitz und will in seinem Leben einfach glücklich sein. In all diesen wesentlichen Punkten sind wir alle gleich.

 

Wie bedeutungsvoll, dass sich der Dalai Lama – der ja selbst Flüchtling ist – mit seinem kleinen Buch „Der Appell des Dalai Lama an die Welt“ zu Wort meldet.

Dieses kleine Büchlein ist essentiell und kommt genau zur rechten Zeit! Zwei Sätze möchte ich gerne daraus zitieren: „Wesentlicher als Religion ist unsere elementare menschliche Spiritualität. Das ist eine in uns Menschen angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung – unabhängig davon welcher Religion wir angehören. Nach meiner Überzeugung können Menschen ohne Religion auskommen, aber nicht ohne innere Werte, innere Ethik.“… „Ich verstehe auch nicht, dass Deutschland und Frankreich zu den wichtigsten Waffenexporteuren gehören. Waffen führen doch zu Mord und Totschlag. Ohne Waffen können keine Kriege geführt werden. Die Hauptursachen für Kriege und Gewalt sind unsere negativen Emotionen. Diesen geben wir zu viel Raum und unserem Verstand und unserem Mitgefühl zu wenig. Ich schlage vor: mehr nachdenken, mehr zuhören, mehr meditieren.“

 

Dein ganz tiefes Anliegen ist ja die Praxis der Meditation. Welche Methode empfiehlst du besonders?

Er-Innern, dass im unendlichen Mandala des Raumes alles Platz hat…
Und die Aufmerksamkeit mehr auf den Raum als auf den Inhalt richten…
Und alle Methoden, die uns helfen dahin zu gelangen.

 

In diesen unruhigen Zeiten gibt es für uns allerhand zu lernen und offen zu bleiben für das, was auf uns zukommt…

Ja, unsere Welt verändert sich rasant und wir müssen unsere Sichtweise verändern: statt uns von Schwere und Negativität herunterziehen zu lassen sollten wir mehr Ruhe bewahren, immer wieder den Akzent auf Freudigkeit setzen, Flexibilität entwickeln, mehr Offenheit, Hingabe, Mut und Vertrauen in unser Menschenherz entwickeln…

 

Pyar, vielen Dank für dieses Gespräch.

 


Mehr dazu im Berlin-Satsang
27. – 29. 5. 2016 im Kreuzberg-Yoga
Lübbener Straße 9, 10997 Berlin.
Fr. 19.30 h, Sa und So jeweils 11.00 h und 15.00 h.
Infos bei Sundara: Tel.: 0176 96080482

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