Abb.: © fizkes-stock.adobe.comVergebung 27. November 2020 Geist Der Akt der Vergebung scheint mir heute so aktuell und dringend nötig wie eh und je. Nicht nur Partner, Nachbarn oder Kollegen, sondern auch Völker, Nationen und Glaubensrichtungen kommen ohne Vergebung nicht in Frieden. Vergebung schafft den Ausstieg aus dem ewigen Kreislauf der Schuldzuweisungen. Ein praktischer Weg, um endlich loszulassen: alte Verletzungen, Schuldgefühle und den ewigen Streit, wer im Recht ist. Der damit einhergehende Frieden könnte das goldene Zeitalter Wirklichkeit werden lassen. von Iris H. Frankowiak Das Jahr neigt sich langsam, aber sicher dem Ende zu. Die Tage sind schon deutlich kürzer, herbstlich nass und stürmisch. Nur hin und wieder wärmt die Sonne noch mein Gesicht. Geschäftig eilen die Menschen an mir vorüber, um wieder in einen beheizten Raum zu kommen. Wie die Natur beginnen auch wir Menschen uns mehr und mehr zurückzuziehen, vorzugsweise in unsere warme, gemütliche Wohnung, vielleicht bei einer Tasse heißem Tee oder Kaffee. Ich laufe zum Treptower Park. Die Blätter tanzen wild im stürmischen Herbstwind. Flammend rote und gelbe kleine Körper landen vor mir auf dem Weg, manchmal weit entfernt von dem Stamm, an dem sie einst herangewachsen waren. Traditionell ist dies die Zeit, um unsere Aufmerksamkeit von der Außenwelt nach innen zu richten. Wir dürfen uns jedes Jahr aufs Neue darin üben loszulassen – so wie es uns die Bäume mit dem Loslassen der Blätter vormachen. Etwas stirbt, damit etwas Neues entstehen kann, damit eine neue Jahreszeit (Lebensphase) beginnen kann. Im Park angekommen, begegnet mir ein lautstark diskutierendes Pärchen. Während sie an mir vorübergehen, höre ich ungewollt Gesprächsfetzen ihrer Auseinandersetzung. „Das war’s dann wohl“, ist von ihm zu hören. „Ja, damit ist alles gesagt“, setzt sie nach. „Ich ziehe aus …“. Ihre erhitzten Gesichter sind Zeuge ihrer in glühendem Zorn gesprochenen Worte. Versonnen bleibe ich stehen und blicke ihnen nach. Vermutlich werden sie die Feiertage in ihren Familien verbringen und den Verlust des Partners betrauern, damit eine neue Phase in ihrem Leben Einzug halten kann. Die jungen Leute entfernen sich, während ich nachdenklich über die eine oder andere Trennung in meinem eigenen Leben nachsinne. Wie es der Zufall will, sitzt mir kurze Zeit später eine Klientin gegenüber, die mit meiner Begleitung die Trennung von ihrem langjährigen Lebensgefährten verarbeiten will. Minutenlang zählt sie all seine Nachteile auf. Ihre Gefühle wechseln zwischen Wut, Verletzung und Trauer, gefolgt von einer Auflistung, was er ihr alles angetan und wie sehr er sie verletzt hat. Sie kommt einfach nicht zur Ruhe, immer wieder kreisen ihre Gedanken um ihn und sein absolut unmögliches Verhalten. Sogar bei der Arbeit ist sie unkonzentriert und gereizt. Und er sei für ihr ganzes Unglück verantwortlich. Das ewig gleiche Drama zelebrieren Nach einiger Zeit ebben die Vorwürfe ab und sie wird zugänglicher. Liebevoll rede ich über die Opferrolle, die sie eingenommen hat. Sofort bestätigt sie, dass es ihr oft geschieht, als Opfer aus einer Situation hervorzugehen. Tränenreich berichtet sie im nächsten Atemzug von ähnlichen Ereignissen. Nachdem sie ihrem ganzen Ärger Luft gemacht hat, frage ich sie, ob sie nun bereit ist, die Opferrolle zu verlassen. Ich kann mich sehr gut in sie hineinversetzen, weil ich früher auch keine Verantwortung für meine Erfahrungen übernehmen wollte. Ich kam gar nicht auf die Idee, dass ich etwas damit zu tun haben könnte. Natürlich waren es immer die anderen, die mir etwas angetan hatten! Dabei merkte ich gar nicht, dass diese innere Haltung dazu beitrug, dass ich nie in Frieden mit meiner Vergangenheit kam. Bis zu dem Moment, in dem ich in dem Buch EIN KURS IN WUNDERN über Vergebung las. Ich konnte nicht glauben, dass es so einfach sein sollte, mir meinen inneren Frieden zurückzuerobern. Aber da ich schon immer sehr experimentierfreudig war, probierte ich es einfach aus – schließlich hatte ich ja nichts zu verlieren. Colin C. Tipping formuliert es in seinem Buch „Ich vergebe“ so: „Jede Situation… im Leben ist, aus einer höheren Perspektive betrachtet, vollkommen, da wir sie uns als Lernfeld für unsere Heilung und Transformation geschaffen haben.“ Ich war fasziniert und arbeitete sofort mehrere Altlasten durch, bei denen ich – bisher unversöhnlich – radikal vergeben konnte. Am Ende fand ich mich in einem Zustand tiefer Liebe und Dankbarkeit wieder. Unglaublich! Endlich hatte ich die darin gebundenen Energien losgelassen und spürte den Frieden, den diese Geste mit sich brachte. Ich hatte effektiv einige immer wiederkehrende Themen gelöst. Meine Klientin ist zunächst skeptisch. Die wochenlangen Gemütsbewegungen und schlaflosen Nächte haben ihr jedoch bereits so zugesetzt, dass sie schließlich bereit ist, sich auf einen Versuch mit der radikalen Vergebung einzulassen. Ich leite den notwendigen Perspektivwechsel ein: „Nur mal angenommen, Ihre Seele hat in liebender Absicht diese Situation in Verabredung mit der Seele Ihres Lebensgefährten herbeigeführt, was könnte sie wohl damit bezweckt haben?“ Schweigen. Ich versuche es erneut: „Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie davon sprachen, Ihr Lebensgefährte hätte Sie verletzt und sich unmöglich verhalten? Was genau hat er getan?“ „Seine Freunde waren ihm immer wichtiger als ich. Er hat sie mir immer vorgezogen. Aber ich bin doch seine Frau! Ach, er hatte kein Interesse an mir, das war doch ganz deutlich zu spüren. Neulich habe ich meine Geldbörse mit meiner Fahrkarte zu Hause vergessen. Ich rief ihn an und bat ihn, mich in Spandau mit dem Auto abzuholen, aber er hatte keine Zeit, wollte lieber mit seinen Freunden an der Playstation weiterspielen. Ich bin dann den ganzen Weg von Spandau nach Reinickendorf gelaufen, weil ich nicht beim Schwarzfahren erwischt werden wollte. Ich habe jetzt endgültig die Nase voll!“ Behutsam hake ich nach: „Kommt Ihnen das bekannt vor? Kennen Sie das von irgendwoher?“ „Na ja, mein Vater hatte eigentlich auch nie so richtig Zeit für mich“, erwidert sie stockend. „Er war zwar physisch anwesend, aber irgendwie auch immer abwesend. Er war halt der Ernährer der Familie, es war okay, dass er sich nicht mit seinen Kindern beschäftigte. Ich weiß noch, wie ich mit ihm als Kind immer in den Baumarkt ging, nur um Zeit mit ihm zu verbringen und ihn mal ganz für mich alleine zu haben, obwohl ich es dort sterbenslangweilig fand. Aber natürlich war er auch dort mit anderen Dingen beschäftigt, so dass ich eigentlich nur daneben stand, während er mit einem Verkäufer über die Renovierung des Wohnzimmers diskutierte.“ Loslassen Nach und nach konnte sie die Parallelen erkennen und es kamen noch einmal Schmerz, Trauer und Enttäuschung hoch. Behutsam führte ich sie durch diesen Prozess, und langsam fiel die Wut auf ihren Lebensgefährten von ihr ab. Es dauerte noch einige Sitzungen, ehe sie vollkommen in Frieden mit ihm und ihrem Vater sein konnte. Interessanterweise ändern die Menschen, die uns etwas angetan haben, ihr Verhalten oder verschwinden aus unserem Leben, wenn wir das dahinter stehende Thema für uns gelöst haben. Einige Monate später traf ich sie auf der Straße – im Arm eines neuen, sehr liebevoll wirkenden Partners. Vier Schritte zur Klärung einer Situation braucht es nach Tipping: 1. Ich schaue, was ich kreiert habe! 2. Ich bemerke meine Urteile und meine Gefühle und liebe mich dennoch. ‚ 3. Ich bin bereit, die Vollkommenheit in der Situation zu sehen. 4. Ich entscheide mich für den Frieden. (Quelle: Ich vergebe – Der radikale Abschied vom Opferdasein von Colin C. Tipping, Kamphausen-Verlag) Gerade die bevorstehenden Feiertage und der Jahreswechsel bieten eine hervorragende Gelegenheit darüber nachzudenken, wem wir noch nicht vergeben haben. Um die anstehenden Familientreffen unbeschwert zu zelebrieren, können wir folgenden Fragen nachspüren: Wie fühlt es sich an, wenn wir mit unseren Kindern, Partnern und Eltern zusammenkommen? Gibt es irgendetwas, das wir ihnen verübeln oder nachtragen? Haben wir uns beim letzten Mal über etwas geärgert (oder ärgern wir uns sogar regelmäßig)? Haben wir den Kontakt zu einer Freundschaft abgebrochen, weil er oder sie in unseren Augen einen Fehler begangen hat? Jeder von uns schleppt – meist schon jahrelang – viel mit sich herum, was durch Vergebung in Frieden kommen kann. Egal, ob es sich um eine „Kleinigkeit“ handelt oder um ein schon lange schwärendes Problem, jetzt können wir es lösen. Dabei geht es nicht nur darum, dem anderen zu vergeben, es ist auch wichtig, uns selbst zu vergeben. Oftmals führen jede Menge Schuldgefühle ein Schattendasein in uns, weil wir glauben, etwas falsch gemacht zu haben. Es ist an der Zeit, loszulassen. Die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Ereignisse haben obendrein das Potential, Familien, Freundschaften und Arbeitskollegen zu spalten und sich mit gegenseitigem Misstrauen und Unverständnis zu begegnen. Ich habe in diesen Tagen erlebt, wie sich wildfremde Menschen gegenseitig beschimpfen und denunzieren. Doch eines Tages werden diese einschränkenden Lebensumstände Vergangenheit sein, und wie wollen wir dann miteinander umgehen und leben? Vergebung kann uns auch bei unfairem Verhalten wieder zusammenbringen und ein neues Miteinander ermöglichen, wenn wir auf unser Herz hören. Frieden finden – weltweit Ich laufe durch das raschelnde Laub. Heute ist ein sonniger, warmer Tag, und der Herbst bäumt sich noch einmal zu sommerlichen Temperaturen auf, ehe die farbenfrohe Pracht unweigerlich der Kälte des Winters weicht. Auf meinem Weg durch den Park atme ich tief die wunderbare frische Luft ein. Ein Großraumkinderwagen kreuzt meinen Weg. Mit den etwa einjährigen Insassen rollen ganze Nationen an mir vorbei, vermutlich aus China, Afrika, dem vorderen Orient, Deutschland, Türkei und Schweden. In friedlicher Eintracht schauen sie den Enten und Schwänen dabei zu, wie sie über die Wiese laufen oder ihr Gefieder putzen. Und im gleichen Moment denke ich: In was für einer Welt könnten wir wohl leben, wenn Menschen aller Nationen ihren inneren Frieden finden könnten durch Vergebung? Nächste Aufstellungsrunde: am Samstag, 30.01.2021 von 10.30 bis ca. 15.30 Uhr, auf Wunsch gerne zum Thema Vergebung, aber auch alle anderen Themen sind willkommen. Ort: Seminarzentrum Aquariana, Am Tempelhofer Berg 7d, 10965 Berlin-Kreuzberg. Info & Anmeldung unter: Tel.: 0176-649 476 44 oder kontakt@irisfrankowiak.de www.berufungsberatung-berlin.de Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.