Gerne suchen wir für die Probleme und Ärgernisse unseres ­Lebens im Außen nach Schuldigen – und vergeben ihnen dann irgendwann, weil wir erkannt ­h­aben, dass sie es ­vielleicht nicht so ­gemeint und sich ­entschuldigt haben, oder weil wir verstanden haben, dass uns Hadern krank macht und und und … Der australische spirituelle Lehrer Michael Roads präsentiert einen Denkansatz zum Thema Schuld und Ver­gebung, der über all diese Aspekte hinausgeht. Bist du wirklich schuld?

Schuld und das Bedürfnis nach Vergebung sind ein sehr weit verbreitetes Thema der Menschheit. Als spiritueller Lehrer bin ich mir sehr darüber im Klaren, dass sich im alltäglichen Leben Menschen für physische und sterbliche Wesen halten, die nur ein einziges Leben haben – und da sollten sie besser alles richtig machen, um Eltern und Familie nicht zu enttäuschen. Die meisten Menschen leben ihr Leben darum mit der schweren Bürde von Ich muss, ich sollte oder ich sollte nicht und ich darf nicht. Das ist allerdings ein hoffnungsloser Weg, wenn wir Gesundheit und Freude in unser Leben bringen wollen.

Ich möchte darum, dass du einen erweiterten Blick in Betracht ziehst, und es ist ein sehr weiter Blick. Nämlich: Du wurdest nie geboren und du stirbst nie. Du bist ein unsterbliches Wesen. Du bist keine Persönlichkeit bzw. kein Körper mit einer Seele – wie so viele Menschen vermuten. Die Menschen sprechen von „meiner Seele“, als sei es „meine Handtasche“ oder „mein Auto“!

Beginne statt dessen dein Leben zu leben, als seist du eine unsterbliche Seele mit einem zeitweiligen, sterblichen Körper bzw. einer zeitweiligen Persönlichkeit, denn das ist die Wahrheit. Der Film deines Lebens ist keine Sache von fünfzig oder gar hundert Jahren … er läuft ewig! Und das ist eine sehr lange Zeit! Dieses Verstehen ist der Schlüssel für einen Blickwinkel jenseits von Schuld und Vergebung. Wieso?

Wir sind ewig

Jedes sogenannte Leben ist eine weitere Inkarnation der Seele. Wäre dein unsterbliches Sein ein Film mit dem Titel  „Das Fortwähren der Seele“, dann wäre ein jedes Leben ein kurzes Bild in diesem ewigen Film. Der Sinn und Zweck deines Lebens als Seele ist, im Bewusstsein zu wachsen.

Du hast weit öfter inkarniert, als du dir je vorstellen kannst – viele Menschen auf diesem Planeten haben zigtausend Mal inkarniert. Wenn einem das klar wird, ist es fast unglaublich, dass die Mehrheit der westlichen Welt noch immer glaubt, dass man nur einmal lebt! Tatsächlich ist das wahr – aber dieses „einmal“ ist ewig!

Das Leben beginnt nicht mit der physischen Geburt und endet nicht mit dem Tod des Körpers. Das Leben ist die Kontinuität der Seelen, die wir sind. Genauso wie wir schöpferisch sind, während wir im physischen Körper leben, so setzen wir das Schöpfen fort, wenn wir vom Physischen zum Metaphysischen (Nicht-Physischen) übergehen.

Wie die meisten Menschen wissen, folgt das menschliche Leben ein paar Grundprinzipien. Wir ernten, was wir säen, ist nur eines davon. Ein verbreiteter Ausdruck dafür ist auch Karma. Lasst uns in der Zeit zurückgehen zu einem imaginären Anfang all dessen – auch wenn es keinen Anfang im linearen Sinne gibt.

Also: Du bist ein Mann oder eine Frau auf diesem Planeten vor tausenden von Leben (Ich füge hier hinzu, dass wir manchmal als Mann und manchmal als Frau inkarnieren, aber das ist nie willkürlich. Es geht immer einher mit den Lektionen, die unserer Seele Bewusstseinswachstum ermöglichen). Du hast einen Partner bzw. eine Partnerin, und ein anderer Mensch nimmt dir diesen Partner, missbraucht ihn und bringt ihn schließlich um. Du bist sehr wütend, also überlegst du dir, wie du diesen Menschen umbringen kannst.

Das ist natürlich extrem vereinfacht, doch in der Regel beginnt so eine emotionale und wütende Interaktion. Aber eine andere Person umzubringen ist nicht immer einfach, und in eurer erhitzten Konfrontation wirst du von ihr getötet, also stirbst du, während du noch immer davon träumst, dich an dieser Person zu rächen – die du nun hasst und fürchtest.

Die Kunst der verantwortungsbewussten Schöpfung

Die Samen sind gesät und du hast nun starke negative Gefühle in deinem Bewusstsein verankert. Wenn du durch den Prozess des physischen Todes gehst, lässt du zwar alles Physische zurück (deinen Körper, Eigentum, Geld), du nimmst aber allen metaphysischen Gehalt deines Lebens mit.

Alle deine Gefühle, Phantasien, Emotionen, deine sich wiederholenden Gedanken, Angst, Wut, Hass – all dies kommt mit dir. Du hast nun die Gelegenheit, all das loszulassen, denn der Tod hat das Potenzial, dich von Gewohnheiten zu befreien. Doch negative Gefühle haben die Angewohnheit, klebrig und anhänglich zu sein, so dass du dich nicht immer von allem lösen kannst.

Du verbringst dann Zeit mit deinem Seelenführer, erkennst das Problem an, das du mit all deinen negativen Gefühlen hast, und ihr macht Pläne, wie damit umzugehen ist.

Hier wird noch ein weiteres Prinzip wichtig: In jedem Moment deines Lebens erschaffst du die Richtung und den Inhalt eines jeden Moments deines Lebens! Du lernst die Kunst der verantwortungsbewussten Schöpfung, und du bist gezwungen, alles zu erleben, was du erschaffst. Schließlich kommt der Moment, in dem du wieder als metaphysische Seele in einem physischen menschlichen Körper inkarnierst.

Und plötzlich sind all die guten Intentionen, all die Friedensabsichten vergessen. Im Laufe des Lebens werden Wut und die Gedanken an Rache alle wieder hergestellt. Und wenn du mit Hass oder dem Bedürfnis nach Rache durch den Übergang (Tod) gehst, bist du energetisch mit der Person, der deine Gefühle gelten, verbunden.

Das bedeutet, dass ihr im Leben des jeweils anderen inkarnieren werdet. Dabei habt ihr zwar beide eine andere Identität, aber eure Persönlichkeitsmerkmale werden sich in ähnlicher Weise fortsetzen. Häufig besteht die Anziehung zwischen Paaren in unerkannten negativen Gefühlen, und die Ehe oder Beziehung bricht schließlich zusammen und führt zu weiterer Verbitterung des emotionalen Gebräus.

Gigantische Verstrickung

Das erschafft eine bemerkenswerte Verwirrung. Indem der Ausdruck negativer Gefühle durch die verschiedenen Leben hindurch wächst und stärker wird, werden immer mehr Menschen in diese stetig wachsende Verstrickung hineingezogen. Nach tausenden von Leben können wir das mit hunderten von Millionen Menschen multiplizieren – alle miteinander vielfältig verstrickt in Hass und emotionaler Verwirrung.

Man stelle sich mal all diese Disharmonie vor, diese Unruhe, diesen inneren Kampf, der während tausenden von Leben erschaffen wurde – und immer noch glauben die meisten Menschen, dass all dies in einem einzigen Leben entstanden ist. Was für eine gigantische Illusion!

Diese unbewusste Verstrickung ist die Grundlage der Gewalt in unseren Familien und  Städten, für die Aggression im Straßenverkehr, die vielen Aggressionen überhaupt und sogar für den Krieg. Einige von uns sind im Bewusstsein gewachsen und Gewalt ist für sie abstoßend, aber viele andere – die Mehrheit – sieht nur dieses eine kleine eigene Leben, das es zu schützen gilt und das das Zentrum des Universums zu sein scheint. Die Gründe für ihren inneren Aufruhr sehen sie dementsprechend auch nur in der jeweiligen Konfliktsituation und erkennen nicht die ursächlichen Hintergründe aus früheren Verkörperungen, die hinter Kränkungen, Wut und Schmerz stehen.

Wenn psychologische Beratung nur auf dieser Illusion eines einmaligen Lebens beruht, dann spielt es keine Rolle, wie gut der Therapeut ist – die begrenzte Betrachtung der Situation kann die Problematik nicht wirklich erfassen und lösen. Und so gelangen wir zwar immer wieder zu einem oberflächlichen Frieden, doch nach einiger Zeit setzen sich Schuld und Anklage unvermindert fort.

Genau wie sich die roten Blutplättchen in unserem Körper zu Clustern (Zusammenballungen) verbinden, wenn wir krank werden, genauso verbinden sich die Menschen zu „Clustern“ von Anklagenden und Angeklagten. Das ist bedauerlich, denn dieses Geschwür von negativen menschlichen Gefühlen wird immer stärker und nährt und rechtfertigt dann den Einsatz von Gewalt bei wahrgenommener Ungerechtigkeit.

Schuld und Vergebung: Verhängnisvoller Kreislauf

Im Laufe der Geschichte hat diese Anreicherung von Hass und Gewalt in jeder Nation regelmäßig zu Kriegen geführt. Gegenwärtig kann man diese Energie hinter dem Terrorismus erkennen. Gefüttert von einem verdrehten Glauben und den Ängsten religiöser Fanatiker, werden Anhänger dieser Glaubensrichtungen zu Mördern.

Auch der Zweite Weltkrieg ist ein typisches Beispiel dafür. In Deutschland leiden noch heute viele Menschen unter den Folgen der damaligen Gräueltaten. Das in unserer Gesellschaft und der christlichen Religion am meisten akzeptierte Mittel, damit umzugehen, ist Vergebung. Aber: Was soll das bringen?

Wenn du bewusst bist, wirst du feststellen, dass das Bewusstsein, das hinter der Vergebung steht, genau das gleiche ist wie das ­Bewusstsein hinter der Anklage. Diese beiden ­Aspekte gehen miteinander einher und schaffen einen verhängnisvollen Kreislauf. Wir ­beschuldigen andere, wir vergeben anderen – und ­umgekehrt beschuldigen uns andere und vergeben uns. Beschuldigung, Vergebung, ­Beschuldigung, Vergebung… das ändert in Wahrheit gar nichts.

Denn wie ich bereits sagte, erschafft jeder von uns sein eigenes Leben, einschließlich jeder ­Interaktion, die wir mit einem anderen ­Menschen haben … und wir alle machen das die ganze Zeit! Alles, was in unserem Leben passiert – uns alleine, mit anderen oder durch andere – ist unsere eigene Schöpfung.

Jeder Autounfall, jeder Schlag, jeder Streit, jeder Mord usw. Wir sind die gesamten und totalen Schöpfer unseres eigenen Lebens. Das ist der Grund, warum wir hier sind: um Schöpfung zu lernen … und um zu lernen, dass das ­Wählen von Liebe mit Abstand die beste Art zu schöpfen ist – für alle Beteiligten.

Anklagen: andere für unsere Schöpfung verantwortlich machen

Doch warum beschuldigen wir andere für unsere eigene Schöpfung? Weil wir glauben, dass das Leben ein Ereignis außerhalb des Selbsts ist und weil wir uns auf der physischen Ebene  getrennt von anderen fühlen. Wir glauben, dass es uns gibt und die anderen, uns und unsere Umwelt, die zu uns nur einen mehr oder weniger zufälligen Bezug hat.

Doch dem ist nicht so. Wie sind alle verbunden – es gibt nur ein menschliches Bewusstsein, wir sind eins. Und: Das Metaphysische geht dem Physischen voraus. Für jeden von uns wird das Leben mit seinen Herausforderungen und Lernaufgaben auf Ebenen erschaffen, derer sich die meisten Menschen nicht gewahr sind. Wir sind in unserer Wahrnehmungsfähigkeit so begrenzt, dass wir meist nur das sehen und fühlen, was sich physisch manifestiert.

Haben wir aber verstanden, dass unser Leben einschließlich der Beziehungen zu anderen Menschen unsere eigene bewusste und unbewusste Schöpfung ist, können wir beginnen, uns aus unserer emotionalen Verwirrung – einschließlich den Themen Schuld, Anklage und Vergebung – zu befreien.

Denn wie sinnvoll ist es, wenn wir anderen Menschen für unsere eigene Schöpfung vergeben oder sie beschuldigen? Wenn die Menschheit diesen Punkt verstanden und wahrhaft begriffen hat, dass wir alle unsterbliche Brüder und Schwestern sind und unser Bestes geben, die heillose Verstrickung zu entwirren, die wir gemeinsam erschaffen haben, dann können wir uns mit uns selbst auseinandersetzen und die Wahrheit der bedingungslosen Liebe erfassen, in der sich die Illusion von Schuld und Vergebung einfach auflöst.

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