Ein „wir zuerst“ scheint zur Zeit das Erfolgsrezept so mancher Populisten zu sein. Angesichts des Klimawandels und seiner schon jetzt spürbaren Folgen für die gesamte Menschheit ist die Konzentration auf rein nationale Befindlichkeiten eine wenig hilfreiche Formel, wenn es um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen auf diesem Planeten geht. Staatslenkern, Regierungen und Bürgern, die sich für Planet first – die Erde zuerst – einsetzen, wird die Zukunft gehören.

Von Aman

Über den Film „Independence Day – Wiederkehr“, des Regisseurs Roland Emmerich kann man urteilen, wie man will. Wer ihn gesehen hat, wird eine Botschaft dieses Films nicht übersehen können: Die Menschheit will überleben und schließt sich angesichts der drohenden Auslöschung durch einen äußeren Feind zusammen. Kriege untereinander gehören der Vergangenheit an.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Realität diese Fiktion einholen wird. Die Menschheit wird sich zusammenschließen, weil sie realisiert, dass sie bedroht ist und nur durch einen gemeinsamen Willen überleben kann. Der Unterschied im Drehbuch besteht darin, dass es keines Feindes von außen bedarf. Der „Feind“ ist schon da. Dieser „Feind“ ist der Klimawandel, nicht nur in Form von Dürre und Hungersnöten, sondern im Abschmelzen der polaren Eismassen, dem Meeresspiegelanstieg und den dann einsetzenden Völkerwanderungen. Gewiss mag dieses Szenario für viele noch nicht klar zu erkennen sein und in weiter Zukunft liegen. Doch die Realität sieht bereits anders aus.

Werden wir Europäer bald am eigenen Leib erfahren, was es heißt, Flüchtling zu sein?

Ein Beispiel ist die Dokumentation „Chasing Ice – Das Ende des ewigen Eises.“ Eine Gruppe um den Fotografen James Balog zeichnete über mehrere Jahre mittels Zeitrafferaufnahmen das Abschmelzen der großen Gletscher in Alaska, Kanada und Grönland auf und konfrontiert mit diesen beeindruckenden Bildern die Teilnehmer der Klimaschutzkonferenzen und Politiker weltweit. Die irrige Annahme, der Meeresspiegelanstieg sei keine aktuelle Bedrohung für die Küstenländer, wird dort für jeden sichtbar widerlegt. Die Gletscherschmelze hat mittlerweile eine Dynamik erreicht, die den Untergang küstennaher Landstriche und Städte weltweit zu Lebzeiten unserer Enkel wahrscheinlich werden lässt. (Aufnahmen des größten Gletscherabruches, der je gefilmt wurde – aus Chasing ice) Wer sich ein Bild davon machen will, welche Gebiete – zum Beispiel Europas – von einem Meeresspiegelanstieg betroffen sein werden, kann sich der Webseite floodmap.net bedienen. Sieben Meter prognostizierten Meeresspiegelanstieges allein durch das Abschmelzen des Grönlandeises wird Venedig, die Poebene, den größten Teil Hollands, aber auch deutsche Küsten und Küstenstädte wie Bremen und Hamburg unbewohnbar und die für eine Exportnation unverzichtbaren Handelshäfen unbrauchbar machen.

Wohin wird die Bevölkerung dann aus diesen Gebieten fliehen? Wer wird sie aufnehmen? Werden wir Europäer bald am eigenen Leib erfahren, was es heißt, Flüchtling zu sein? Realistisch gesehen müssten wir uns hier in Europa längst mit diesen Fragen konfrontieren, da wir anscheinend weiter ignorieren, was um uns herum in der Welt wirklich vor sich geht. Sind die Ursachen der Flüchtlingsströme, die uns aus dem Nahen Osten erreichen, nicht auch dem Klimawandel zuzurechnen? Es wird behauptet, dass es zunächst nur friedliche Proteste der syrischen Landbevölkerung waren, die aufgrund ausbleibenden Regens und des extrem gesunkenen Grundwasserspiegels vergeblich auf die Hilfe ihrer Regierung hofften, die dann in diesen grausamen Bürgerkrieg mündeten.

Was treibt junge Nigerianer an, einen der reichsten Staaten Afrikas zu verlassen? Hohes Bevölkerungswachstum und hohe Jugendarbeitslosigkeit, dazu korrupte Eliten, die das Land beherrschen und die Reichtümer des Landes unter sich aufteilen, sind keine Perspektive für junge Menschen, die über das Internet sehr genau erkennen können, welches Leben für sie in Europa möglich wäre. Millionen junger Afrikaner suchen nach Chancen für ihr Leben – und hoffen, sie in Europa zu finden. Das macht den Europäern Angst. Der Ruf nach einem Marshallplan für Afrika wird laut. „Afrika ist ein Thema, das der Bundesregierung insgesamt am Herzen liegt“, sagt Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries. Auch Entwicklungshilfeminister Gerd Müller freut sich, denn „die Zukunft des afrikanischen Kontinents war weltweit, aber auch in Deutschland noch nie so weit auf der politischen Agenda wie jetzt.“ Doch nach 60 Jahren Entwicklungshilfe voller Misserfolge gibt es keinen Plan, keinen neuen strategischen Ansatz, der Erfolg für Afrika verspricht. Ausgerechnet von afrikanischen Intellektuellen wie dem Ökonomen James Shihwati aus Kenia oder der sambischen Autorin und Ex-Goldman-Sachs-Bankerin Dambisa Moyo kommt wohl der überraschendste Vorschlag. Sie fordern radikal umzudenken und die Entwicklungshilfe komplett einzustellen, denn diese habe zu einer Almosenkultur geführt, die die Eigeninitiative der Afrikaner lähme und verhindere, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.

Beispielhaft steht Tunesien für die Misere der Jugend in Nordafrika.

Warum waren es gerade junge Tunesier, die während der Wirren des arabischen Frühlings die Gelegenheit wahrnahmen, nach Italien zu fliehen? Warum blieben sie nicht im Land und hofften, dass sich durch die Revolution alles zum Besten wenden würde? Warum wurden einige zu Terroristen, so wie Anis Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, oder Mohamed Lahouaiej Bouhlel, der Attentäter von Nizza?

Die „Zeit“ versucht in einer psychologischen Spurensuche eine Antwort darauf zu finden, wer zum Täter wird. „Frühkindliche Erlebnisse, eine prägende Kultur und das soziale Umfeld ergeben eine individuelle Neigung zur Agression. Günstige Bedingungen können dieses Potenzial kanalisieren, sodass es in Kreativität und Produktivität umschlägt.“ Gemeint sind „genügend soziale und finanzielle Ressourcen, die bereitstehen müssen, damit junge Männer unvermeidliche persönliche Krisen konstruktiv überwinden können. Fehlen diese Gegengifte, kann das den Weg in die Gewalt ebnen.“… „Am Beginn der Radikalisierung steht ein Bedürfnis: ein politisches Ziel, der Kampf für eine vermeintlich gerechte Sache (etwa gegen Unterdrückung) oder der Wunsch nach Anerkennung und das Gefühl von Wertschätzung.“

Ein Interview mit dem tunesischen Politologen Hamza Meddeb eröffnet hierzu weitere interessante Einblicke. Er beschreibt, „dass der soziale Aufstieg in Tunesien nicht mehr funktioniert. Junge Leute studieren, um arbeitslos zu werden, denn es herrscht eine absolute Inkompatibilität zwischen der Universität und dem tunesischen Arbeitsmarkt. Es gibt nichts mehr, was der Generation „No Future“ Hoffnung verleiht, so dass sie zwangsläufig in Gewalt gegen die Gesellschaft und den Staat verfällt.“ „Der Dschihad ist dann nur der Versuch, einen ehrenwerten Ausweg aus einer kriminellen Karriere zu finden.“ Zudem gibt es in der tunesischen Gesellschaft keinen Konsens und keinen Plan, wie man mit dem Problem zunehmender Radikalisierung der Jugend, insbesondere durch rückkehrende Straftäter und Dschihadisten, umgehen soll. Diese sich selbst zu überlassen, ist die gefährlichste aller Optionen. Dringend geboten wäre es, die tunesischen Staatsorgane zu unterstützen, die es leidlich schaffen, den Status Quo zu stabilisieren, anstatt Visionen für ihr Land zu entwickeln.

Die Sicherheit Europas ist gefährdet

Der Autor Nassir Djafari sieht zukünftig gar alle Länder des Maghreb in Aufruhr und damit die Sicherheit Europas gefährdet. Die EU, allen voran Deutschland und Frankreich, stünden schon im eigenen Interesse in der Pflicht, ihren Beitrag zur Entschärfung des sozialen Sprengstoffes in Nordafrika zu leisten.

Die Westerwelle Foundation könnte ein guter Anfang sein. Sie eröffnete im März 2016 ein Startup-Haus in Tunis, das als zentrale Anlaufstelle für Existenzgründer in ganz Tunesien fungiert. Ein außergewöhnliches Wüstenbegrünungsprojekt „Desert Greening“ (www.desert-greening.com) entwickelt das Team um Dipl. Ing Madjid Abdellaziz in Algerien. Faszinierend ist, mit welcher Dynamik sich seit 2005 die Wüste in El Haouita in ein blühendes Paradies verwandelt. Die Wüstenpioniere setzen unter anderem eine Technik ein, die von Wilhelm Reich entwickelt wurde, um Regen zu erzeugen. Wissenschaftlich erklärbar ist dies bis heute nicht, aber der Erfolg gibt den Akteuren recht. Mittlerweile profitiert ganz Algerien von einem stark angestiegenen Grundwasserspiegel und Rekordernten. Madjid Abdellaziz Idee ist es, nicht nur Algeriens Wüsten langfristig in fruchtbaren Lebensraum zu verwandeln. Er will die arabische Jugend von Marokko bis Saudi-Arabien dafür gewinnen, ein grünes Band ähnlicher Projekte quer durch die Sahara bis an den Persischen Golf zu spannen. Warum nicht eine realistische Vision entwickeln, die gesamte Wüstenregion Nordafrikas und des Nahen Ostens mit Wäldern zu bedecken und neuen Siedlungsraum zu schaffen? Auch das Max-Planck-Institut für Meterologie kommt zu dem Schluss, dass die Sahara eine der wenigen Regionen sein wird, die vom Klimawandel profitiert und einer grünen Zukunft entgegensieht.

Planet first

An dieser Stelle schließt sich der weit gespannte Kreis der hier angesprochenen Themen. Wir stecken mitten im Klimawandel und wir suchen nach Lösungen, unser Weltklima zu stabilisieren. Eine in Aufruhr befindliche, perspektivlose Jugend, vor allem in Nordafrika und dem Nahen Osten, bedroht die Sicherheit Europas. Auch dort wird nach Ideen zur Stabilisierung der Gesellschaften gesucht. Warum nicht beides zusammen bringen? Die Frage wird vor allem sein, was ist es uns reichen Staaten, uns reichen Bürgern, uns reichen Unternehmen des Westens wert, dass Frieden einkehrt in eine Region voller Zwietracht, Mangel und Hoffnungslosigkeit? Wir sind aufgerufen, unseren Reichtum zu teilen, indem jeder Einzelne von uns in die Zukunft dieses Teils des Planeten investiert. Die Probleme vor unserer Haustür sind auch unsere Probleme. Wir werden uns nicht mehr lange dagegen abschotten können. Diesen Kampf werden wir um den Preis der eigenen Destabilisierung unserer Gesellschaften verlieren. Angesichts des unfassbaren Reichtums weltweit wird es keine Frage der Kosten sein, unser Klima durch außergewöhnliche Projekte, wie der Begrünung der Sahara, zu stabilisieren. Schließlich hat die Welt ein weiteres, gravierendes Problem. Es ist zu viel Geld im System. Muss sich die Geschichte zwangsläufig wiederholen, oder können wir auf einen erneuten Kollaps des Geldsystems verzichten?

Wie viel Überzeugungsarbeit es hinsichtlich der Geldgeber zu leisten sein wird, wird sich zeigen. Die Begeisterung der jungen Menschen in diesen Ländern für dieses Mammutprojekt zu wecken, wird nicht das Problem sein. Sie suchen eine Aufgabe.

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