Werden die weltweiten Protestbewegungen gegen Rassismus wirklich zu Veränderungen führen?

Die Proteste gegen Rassismus, die derzeit weltweit stattfinden, sind inzwischen eine der größten Bürgerrechtsbewegungen der Geschichte. Jeden Tag gehen Tausende auf die Straße, widersetzen sich den Ausgangssperren, singen und skandieren. Neben vielen bewegenden Szenen gibt es aber auch etliche verstörende Momente: Plünderungen, Krawalle und viel Polizeigewalt.

Was wird aus diesen Protestbewegungen werden? Wird es wirklich gelingen, den Rassismus zurückzudrängen? Oder werden sich am Ende wieder Hardliner wie Donald Trump durchsetzen, der gar nichts ändern möchte und friedliche Demonstranten lieber mit Tränengas und Gummimunition aus dem Weg schießen lässt, als mit ihnen zu reden?

Studien zeigen, dass vor allem genug Leute mitmachen müssen, nämlich 3,5 Prozent der Bevölkerung, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Gewaltfreie Protestbewegungen sind dabei mehr als doppelt so effektiv wie gewalttätige Ausschreitungen.

Vor knapp 50 Jahren schrieb der US-Politikwissenschaftler Gene Sharp mit The Politics of Non-Violent Action die Bibel des gewaltlosen Widerstandes. Sharp führt darin insgesamt 198 Protestmethoden auf, von Petitionen über Schweigemärsche bis zu Streiks und Boykotten. Alles, was wir in den vergangenen Jahren gesehen haben, von den aktuellen Protestmärschen über Greta Thunbergs Schulstreik bis zu den spektakulären Aktionen von Extinction Rebellion, steht bereits in seinem Buch. Dass so viele Bürgerrechtsbewegungen Sharp als Mentor nennen, hat mit seinem Ansatz zu tun: Er war kein Idealist, sondern ein Pragmatiker des gewaltlosen Widerstandes, der detailliert recherchierte, welche Methoden  am effektivsten sind.

Sharps wichtigste Erkenntnis: Alle Regierungen, selbst Diktaturen, „brauchen die Mitwirkung der Menschen“, weil die sogenannten Machthaber letztendlich nur die Macht haben, die ihnen überlassen wird. Deshalb kann man sie mit Protest, Nichtkooperation und Intervention schwächen. Sharp hielt den gewaltlosen Widerstand sogar für effektiver als die Atombombe.

Die Harvard-Politologin Erica Chenoweth wollte genau wissen, wie effektiv Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Gegenwart sind. Sie analysierte zusammen mit dem International Center of Nonviolent Conflict (ICNC) hunderte von Kampagnen der letzten hundert Jahre, und zog zwei wichtige Schlüsse. Erstens: Gewaltloser ziviler Ungehorsam ist nicht nur moralisch überlegen, sondern auch in der Praxis erfolgreicher. Sie recherchierte, dass gewaltlose Kampagnen doppelt so oft erfolgreich sind wie Bewegungen, bei denen es zu Gewaltanwendung kommt. Auch wichtig für den Erfolg: Klare Ziele, gute Organisation und überzeugende Führung. Die zweite Erkenntnis: Die Forscher fanden heraus, wie viele Menschen aktiv mitmachen müssen, damit ziviler Protest erfolgreich wird. Es sind im Durchschnitt 3,5 Prozent der Landesbevölkerung.

Tatsächlich schoss die Zustimmung für die Protestbewegung Black Lives Matter nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd nach oben. 28 Prozent der Amerikaner unterstützen nun die Bewegung, und 76 Prozent der Amerikaner halten Rassismus plötzlich für ein ernstes Problem. Die Aktivisten haben in den letzten zwei Wochen erstaunlich viel erreicht, was noch vor einem Monat undenkbar gewesen wäre: Das Polizeidepartment von Minneapolis, wo Floyd ermordet wurde, wird aufgelöst. Die in zahlreichen Videos dokumentierte Polizeibrutalität führte zu Verhaftungen für die Polizisten in Buffalo, Fort Lauderdale, Louisville und anderen Städten. Virginia, Alabama und weitere Staaten verschrotten die Denkmäler für ehemalige Sklavenhalter, und die Straße vor dem Weißen Haus heißt nun Black Lives Matter Plaza.

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