Schluss mit dem Aufmerksamkeitsdiebstahl! Was das Gros der Medien jeden Tag in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung stellt, sind – gemessen an den echten Problemen unserer Zeit – Nebenschauplätze. Während sich fast alle Erwachsenen von den ach so wichtigen Tagesthemen vereinnahmen lassen, lässt sich eine Bevölkerungsgruppe nicht mehr blenden, ergreift mutig das Wort und schreitet zur Tat: Kinder wie Greta Thunberg und Felix Finkbeiner.

Warum bekommen die größten Dilettanten in Politik und Wirtschaft die größte mediale Aufmerksamkeit? Wohl nur, weil wir es zulassen, indem man uns glauben macht, dass diese Personen, Unternehmen und Institutionen mit ihren egoistischen Interessen es wert sind, im Mittelpunkt zu stehen.

Beispiel Diesel-Abgasskandal. Seit 2015 ziehen die Autobauer, allen voran der VW-Konzern, durch ihre Abgasmanipulationen und deren Folgen die Aufmerksamkeit der Medien und der Bürger auf sich. 11 Millionen betrogene Autobesitzer, Fahrverbote, geschätzte 28 Milliarden Euro an Strafzahlungen und Entschädigungen, inhaftierte Manager. Jahrelanges Lügen und Manipulieren bis in die Konzernspitze hinein, nur um durch eingesparte Kosten höhere Ausschüttungen für die Aktionäre zu generieren. Wie armselig.

Beispiel Brexit. Kein anderes Thema in Europa, dem eine derartige mediale Aufmerksamkeit zuteil wird. Harter Brexit? Weicher Brexit? No Brexit? Das Wort Brexit löst bei vielen Europäern mittlerweile Brechreiz aus. Beiderseits des Kanals kursieren die überzogenen Ängste der Wirtschaft, die durch drohende Zölle um ihr Wachstum fürchtet. Die Brexiteers klammern sich an das Versprechen gesicherten Wohlstands für alle, wenn die Fesseln der EU erst einmal abgestreift sind und das britische Empire wieder aufblühen wird. Quer durch das ganze Land Streit um das Für und Wider und bis in die Familien der Mittelschicht hinein die Sorgen um den Erhalt der Arbeitsplätze. Nach der Neubewertung der Faktenlage wäre ein neues Referendum der Briten über den Verbleib in der EU die ehrlichste Antwort. Aber nein. Mit sichtlich masochistischen Zügen wird im britischen Parlament weiter eine endlose Debatte um eine Lösung des ohne Not herbeigeführten Brexit geführt. Eines ist sicher, die Auseinandersetzung im britischen Parlament wäre ohne die gestohlene Aufmerksamkeit Europas weit weniger befriedigend für die Protagonisten und Premierministerin Theresa May bliebe wahrscheinlich nur eine Randnotiz in der Geschichte.

Beispiel Trump? Lassen wir es.

Hat die Menschheit keine größeren Probleme und Sorgen, die unsere volle Aufmerksamkeit verdienen? Doch, sie hat. Welchen globalen Problemen wir unsere Aufmerksamkeit schenken müssen, zeigen uns ausgerechnet Kinder. Hier zwei Beispiele von Kindern, die erkannt haben, dass wir Erwachsene ihre Zukunft verspielen und dass es sich nicht lohnt, auf uns zu warten.

Stop talking, start planting

Felix Finkbeiner: Der heute 21-Jährige, ließ sich von der kenianischen Umweltaktivistin und Nobelpreisträgerin Wangari Maathai und der von ihr mitgegründeten Organisation Plant for the Planet, die 30 Millionen Bäume pflanzte, inspirieren. Im Alter von neun Jahren gründete er 2007 einen deutschen Ableger plant-for-the-planet.org und pflanzte seinen ersten Baum. Seine Motivation war, dass er nicht akzeptieren wollte, dass die heutigen Kinder in der Zukunft die Probleme ausbaden müssen, die die Erwachsenen heute schaffen. Die Kinder sollten nicht länger auf die Initiative der Erwachsenen warten, sondern selbst etwas tun. Daraus ist heute etwas ganz Großes geworden. Seiner Initiative sind weltweit 70.000 Kinder und Jugendliche gefolgt, die als Botschafter andere Kinder motivieren, Bäume zu pflanzen. Mittlerweile wurden 15,2 Milliarden Bäume überall auf der Welt gepflanzt. (www.TrillionTreeCampaign.org) Ziel ist, bis zum Jahr 2020 eine Billion Bäume zu pflanzen. 150 Bäume für jeden Menschen auf der Welt.

Den Leugnern eines von Menschen verursachten Klimawandels hält er entgegen, dass es niemandem schade, wenn jetzt gehandelt wird und Bäume gepflanzt werden. Denn wenn wir nichts tun und in 20 Jahren vor der Tatsache stehen, dass die Leugner des Klimawandels unrecht hatten und wir hätten handeln müssen, um die Katastrophe zu verhindern, dann wäre es zum Handeln zu spät.

Ein weiteres Projekt, das von Kindern von Plant for the Planet entwickelt wurde ist, „Die Gute Schokolade – Stück für Stück die Welt retten“, die sich zur meistverkauften Fairtrade-Schokolade in Deutschland entwickelt hat. Ursprünglich als Projekt gemeinsam mit Schokoladenherstellern geplant, die dann aber nicht kooperieren wollten, produzieren die Kinder in der Schweiz jetzt ihre eigene Schokolade. Hersteller und Händler verzichten dabei auf ihren Gewinn, der vollständig in das Kinderprojekt Plant for the Planet fließt und in das Pflanzen von Bäumen investiert wird. Mit dem Gewinn aus fünf verkauften Tafeln Schokolade kann ein Baum gepflanzt werden.

Abb: Plantfortheplanet

Wir wollen wählen. Plant for the Planet hat Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht mit der Absicht, Generationengerechtigkeit einzufordern und das Wahlrecht für Kinder und Jugendliche zuzulassen. Die Beschränkung auf 18 Jahre sei verfassungswidrig, denn die derzeitige Politik, vor allem die Klimapolitik, vertritt nicht die Interessen der 16 Millionen Kinder und Jugendlichen in der BRD. Gerade diese Generation hat besonders in der Zukunft unter den Auswirkungen des Klimawandels und den Versäumnissen der heutigen Klimapolitik zu leiden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verlieh Felix Finkbeiner 2018 das Bundesverdienstkreuz. Da war dieser 20 Jahre alt.

 

Schulstreik für das Klima

Greta Thunberg: Die heute sechzehnjährige Schwedin hörte mit acht Jahren zum ersten Mal davon, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, der für die Menschheit eine existentielle Bedrohung sein soll. Sie wunderte sich, warum die Medien nicht entsprechend darüber berichteten und alle weitermachten wie bisher. Mit 11 Jahren wurde sie krank, bekam Depressionen und hörte auf zu sprechen und zu essen. Mit fünfzehn schwänzte sie über zwei Wochen lang die Schule und saß mit einem Plakat „Schulstreik für das Klima“ vor dem schwedischen Parlament. Sie wollte das Parlament mit ihrem Protest zwingen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Ihr Argument für den Schulstreik: „Welchen Sinn macht es für eine Zukunft zu lernen, wenn diese Zukunft schon bald nicht mehr existiert.“ Daher sei der Streik wichtiger für sie als die Schule. Als sie großen Zuspruch durch die Medien erfuhr, wurde es dem Parlament peinlich und sie wurde aufgefordert, den Platz vor dem Parlamentsgebäude zu verlassen.

Nun geht sie wieder zur Schule und streikt dafür nur freitags. Und viele Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt folgen ihrem Beispiel. Über die weltweiten Schülerstreiks z.B. FridaysForFuture.de („Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel spüren wird, und die letzte, die ihn noch stoppen kann“) wird noch kaum in den Leitmedien berichtet. Zum Beispiel streikten für den Schutz des Klimas allein am vergangenen Freitag 12.000 Schüler in Belgien, 22.000 in der Schweiz, 30.000 in 56 Städten in Deutschland. Und 15.000 in Australien, wo gerade ein neuer Temperaturrekord von 48,1 Grad gemessen wurde.

Mittlerweile ist Greta weltberühmt. Anlässlich der UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice hielt sie eine Rede und brüskierte die Delegierten mit ihrer direkten und unverblümten Art. Der Weltwirtschaftsgipfel in Davos beklagte Trumps Abwesenheit und die Presse fragte: „Wer wird Trumps Lücke füllen?“ Greta hat die Einladung auf das World Economic Forum zu kommen, angenommen.

Der Fernsehsender CNN benannte vor einiger Zeit die fünf am meisten süchtig machenden Substanzen weltweit.

1. Heroin, 2. Kokain, 3. Nikotin, 4. Barbiturate, 5. Alkohol.

Greta Thunberg postete auf Twitter die nächstfolgenden süchtig machenden Substanzen.

6. Petroleum, 7. Kerosin, 8. Kohle, 9. Shopping, 10. Ignoranz

Twitter: twitter.com/GretaThunberg / #FridaysForFuture / #climatestrike /
Instagramm: instagram.com/gretathunberg
facebook: facebook.com/gretathunbergsweden

 

Greta Thunberg zur UN-Klimakonferenz: „Der Wandel kommt, ob es euch gefällt oder nicht.“

Übersetzung: Fabian Scheidler

Die 15-jährige Greta Thunberg aus Schweden, die seit Monaten im Schulstreik für Klimagerechtigkeit protestiert, hat am 13. Dezember eine bewegende Rede vor dem Plenum der UN-Klimakonferenz in Katowice (Polen) gehalten: „Unsere Zivilisation wird dafür geopfert, dass eine sehr kleine Anzahl von Menschen weiterhin enorme Mengen von Geld machen kann.“ Kontext TV hat die Rede vollständig aus dem Englischen übersetzt:


“Meine Name ist Greta Thunberg. Ich bin 15 Jahre alt und komme aus Schweden. Ich spreche für die Organisation Climate Justice Now!

Viele Leute sagen, dass Schweden nur ein kleines Land ist und es keine Rolle spielt, was wir tun. Aber ich habe gelernt, dass man nie zu klein ist, um einen Unterschied zu machen. Und wenn ein paar Kinder weltweit Schlagzeilen damit machen können, nur indem sie nicht zur Schule gehen, dann kann man sich vorstellen, was wir alle zusammen erreichen könnten, wenn wir nur wollten.


Aber um das zu tun, müssen wir klare Worte sprechen, egal wie unbequem das sein mag. Ihr hier sprecht nur von ewigem grünem Wirtschaftswachstum, weil ihr zu viel Angst davor habt, unbeliebt zu sein. Ihr sprecht nur darüber, mit denselben schlechten Ideen weiter zu machen, die uns in dieses Chaos gebracht haben, selbst wenn es das einzig Vernünftige ist, die Notbremse zu ziehen. Ihr seid nicht reif genug, um zu sagen, was wirklich ist. Auch noch diese Last bürdet ihr uns Kindern auf.
  
Aber mir ist es egal, ob ich beliebt bin. Ich sorge mich um Klimagerechtigkeit und den lebendigen Planeten. Unsere Zivilisation wird dafür geopfert, dass eine sehr kleine Anzahl von Menschen weiterhin enorme Mengen von Geld machen kann. Unsere Biosphäre wird geopfert, damit reiche Menschen in Ländern wie meinem in Luxus leben können. Es sind die Leiden der vielen, die für den Luxus der wenigen bezahlen.
  


Im Jahr 2078 werde ich meinen 75. Geburtstag feiern. Falls ich Kinder haben sollte, werden sie vielleicht diesen Tag mit mir verbringen. Vielleicht werden sie mich nach euch fragen. Vielleicht werden sie fragen, warum ihr nichts getan habt, als noch Zeit zum Handeln war. Ihr sagt, ihr liebt eure Kinder über alles, und doch stehlt ihr ihnen die Zukunft vor ihren Augen.
  
Solange ihr euch nicht darauf konzentriert, was notwendig ist, sondern nur darauf, was politisch möglich ist, gibt es keine Hoffnung. Wir können eine Krise nicht lösen, ohne sie als Krise zu behandeln. Wir müssen die fossilen Brennstoffe im Boden lassen und wir müssen uns auf Gerechtigkeit konzentrieren. Und wenn Lösungen innerhalb des Systems unmöglich zu finden sind, dann müssen wir vielleicht das System selbst verändern.
  
Wir sind nicht hergekommen, um die führenden Politiker der Welt anzubetteln, dass sie sich kümmern sollen. Ihr habt uns in der Vergangenheit ignoriert und ihr werdet uns wieder ignorieren. Euch gehen die Ausreden aus, und uns läuft die Zeit davon. Wir sind hergekommen, um euch zu sagen, dass der Wandel kommen wird, ob es euch gefällt oder nicht. Die wirkliche Macht gehört den Menschen. Danke.“
 
Die Originalrede ist z.B. bei Democracy Now hier zu finden.

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