Nur Wellness? Ganz und gar nicht! In der ganzheitlichen Gesundheits- und Lebenskunstlehre des Ayurveda spielt die innere und äußerliche Anwendung von medizinierten Ölen mit kraftvollen Kräuterauszügen eine tragende Rolle. Snehana ist der traditionelle Name dieser wohltuenden Behandlungen, denen in der Ayurveda-Medizin eine zentrale Funktion zukommt: Die Therapeuten lassen in die Gestaltung ihrer achtsamen und von Herzen kommenden Massage die individuellen Bedürfnisse der Patienten einfließen und therapieren und stärken mit ihren Berührungen so Körper und Seele gleichermaßen.

Von Stephanie Riecker und Nicola Mertens

 

Die meisten, denen Ayurveda schon einmal begegnet ist, verbinden den Begriff mit dem berühmten Stirnölguss oder der ayurvedischen Ganzkörperölmassage „Abhyanga“, die oft als Wellnessanwendungen angeboten werden. Weit über den Wohlfühlcharakter hinaus verfolgen Ölungen im Ayurveda jedoch vielfältige therapeutische Ziele. Sie dienen der Erhaltung der Gesundheit, der Entspannung und dem Ausgleich von Störungen auf Körper- und Geistebene. Hunderte verschiedene Arten von traditionell verkochten Kräuterölen werden für die Behandlung von Krankheiten, beispielsweise des Bewegungsapparates, eingesetzt.

Außerdem dienen Ölbehandlungen auch zur Vorbereitung von Reinigungskuren (Panchakarma), die ein Herzstück der Ayurveda-Therapie bilden. Durch den Einsatz dieser ganz spezifischen Öle und die Art und Weise, wie diese auf den Körper aufgetragen oder innerlich verabreicht werden, unterscheidet sich der Ayurveda von allen anderen Medizinsystemen. Dabei ist neben dem manualtherapeutischen auch der achtsame Charakter einer ayurvedischen Behandlung von zentraler Bedeutung.

Die ayurvedische Massage

Je nach Tradition und Ursprungsregion und auch je nach der individuellen Behandlungssituation wird die ayurvedische Massage unterschiedlich ausgeführt – es gibt also keinen einheitlich vorgeschriebenen Behandlungsablauf. Was ayurvedischen Massagen jedoch gemein ist, ist die Abstimmung auf die Konstitution des Patienten und seine gesundheitlichen Störungen sowie die Ausführung nach bestimmten Prinzipien: So werden Gelenke gekreist und zwischen den Gelenken streichende Bewegungen ausgeführt. Mit diesen unterschiedlichen Streichbetonungen kann entweder eine besänftigende, beruhigende, nährende und harmonisierende Wirkung erzielt werden (anuloma) oder eine anregende, erhitzende, stoffwechselfördernde, gewebsreduzierende (pratiloma).

Berührung der Psyche und der Seele

Über die Haut, unser größtes Sinnesorgan, werden die wertvollen pflanzlichen Wirkstoffe der Öle in den Körper transportiert und dort in die Gewebe geleitet. Die Anregung der Durchblutung durch die massierenden Hände und die Wärme des Öls unterstützen diesen Prozess. Die Wärme hilft der Haut, die Öle besser aufzunehmen, die Poren werden geöffnet und somit die wertvollen Inhaltsstoffe gut absorbiert. Die Abhyanga wirkt also auf körperlicher Ebene sehr tief und führt bei regelmäßiger Anwendung zu nachweislich mehr körperlicher Kraft (bala) und elastischem Gewebe, sie unterstützt die Stärkung des Bindegewebes und des Immunsystems. Weiterhin wird das bewegliche Funktionsprinzip (vata dosha) beruhigt, das Nervengewebe regeneriert und das essenzielle Körpergewebe (rasa dhatu) aufgebaut.

Ayurvedische Ölmassagen sind durch diese Summe an Faktoren sehr tiefgreifend und nachhaltig wirksam. Dabei spielen jedoch nicht nur die körperlichen Faktoren eine erhebliche Rolle, auch das Immunsystem, die Psyche und die Seele werden berührt.

Heilende Hände: Das Wissen, den Körper zu lesen

Bei der Abhyanga beginnt die Berührung zwar zunächst auf körperlicher Ebene, sie erreicht aber im Zuge der Massage tiefere Gewebsund auch Gefühlsebenen und Regionen des Bewusstseins und des Unterbewussten. In diesem Sinne wirkt die Abhyanga – über die körpertherapeutisch relevante Ebene hinaus – auch zur Unterstützung der inneren Kommunikation von Körper und Geist.

Die individuelle Betreuung des Patienten und die Achtsamkeit des Therapeuten sind dabei immer von großer Relevanz. Hier liegt viel Verantwortung bei dem behandelnden Therapeuten, der sich einfühlsam mit dem Patienten auseinandersetzt und auf dessen Bedürfnisse abgestimmte Behandlungen durchführt. Je nach Kraft, Alter, Beschwerden und Konstitution des Patienten wird die Behandlung entsprechend gewählt und durchgeführt. Dies erfordert neben dem Fachwissen viel Sensibilität und Einfühlungsvermögen, aber auch Flexibilität im individuellen Ablauf einer Behandlung.

Schon die ersten Berührungen, das erste Auftragen des Öls liefern dem erfahrenen Therapeuten wertvolle Anhaltspunkte über den Spannungszustand des Patienten. Das „Lesen“ des Körpers des Patienten mit den Händen beantwortet ihm schon viele Fragen: Was bringt der Patient heute mit? Was steht im Vordergrund? Was braucht der Patient? Idealerweise wird diesen Bedürfnissen im Rahmen einer ayurvedischen Massage entsprochen. Es ist die Aufgabe des Therapeuten, dies herauszufinden und umzusetzen. Deshalb gleicht keine Massage der anderen. Gelernte Griffe und Techniken spielen eine zunehmend untergeordnete Rolle, der Therapeut lässt sich von der eigenen Intuition lenken und stellt sich immer auf den einzelnen Patienten und die gegenwärtige Situation ein.

Fließende Lebensenergie und Emotionen

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Abb: © ImmanuelDiakonie-®MalinaEbert

Eine natürliche Atmung des Patienten während der Massage kann dabei unterstützen, eine energetische Verbindung von Patient und Therapeut zu schaffen, die zur Öffnung des Patienten auf körperlicher und emotionaler Ebene führen kann. Der ungehinderte Fluss der Lebensenergie (prana) durch den Körper wird so sehr gut unterstützt.

Die Berührungen in den manuellen Therapien des Ayurveda können dazu beitragen, körperliche und seelische Blockaden zu lösen, aufzuweichen und von Angestautem zu befreien, das Körper und Geist belastet. Durch Lockerung der Muskulatur können blockierte, gespeicherte Emotionen aufgebrochen und freigesetzt werden – wenn der Patient dazu bereit ist!

Diese körperlichen und geistigen Anspannungen zu lösen, eine Entspannung herbeizuführen und den Patienten durch das Loslassen während der Therapie wieder mit sich in Balance zu bringen, ist deshalb ein Ziel und auch ein großes Potential der ayurvedischen Massage. Das heilsame Wirkspektrum der Massage mit den Händen umfasst deshalb die generelle Kräftigung, innere Sammlung und Stabilisierung des Patienten. Durch regelmäßige ayurvedische Anwendungen wird ihm ein Raum geschaffen, in dem er Ruhe finden und loslassen kann.

Mit diesen Eigenschaften und Wirkungsweisen kann also sowohl eine gute Gesundheitsfürsorge und Prävention erzielt als auch eine Behandlung körperlicher und geistiger Beschwerden durchgeführt werden. Der Übergang zur mentalen Stabilisierung als Therapie bei psychischen Diagnosen ist daher fließend. Beispielsweise können bei dem in unserer Gesellschaft zunehmend auftretenden Burnout-Syndrom nachweisliche Erfolge erzielt werden.

Abhyanga und Burnout

Unter den psychosomatischen Erkrankungen ist das Burnout-Syndrom mittlerweile zu einer Volkskrankheit geworden. Da Ayurveda den Menschen umfassend betrachtet, können bei der Therapie von chronischer Erschöpfung oft sehr gute Erfolge erzielt werden. Hierbei steht die Wiederherstellung des Gleichgewichts der gestörten Funktionsprinzipien (Doshas) im Mittelpunkt. Das beim Burnout-Syndrom immer gestörte Vata Dosha zeichnet sich durch seine hohe Dynamik aus und ist für die Durchlässigkeit und den Fluss jeglicher Bewegung im Körper von großer Bedeutung. Fließt das Vata Dosha nicht mehr optimal, entstehen Staus und Blockaden, die sich immer krankhaft auswirken. Eine Abhyanga beinhaltet die Besänftigung von Vata und balanciert es mit entgegengesetzten Eigenschaften aus. Das dem Vata Dosha zugeordnete Sinnesorgan ist die Haut; sie wird durch Massage und warme Ölanwendungen angeregt, ausgeglichen und positiv reguliert, so dass die Lebensenergie (prana) wieder optimal fließen kann.

Da Ayurveda ein Medizinsystem ist, das den Menschen in seiner Gesamtheit erfasst, kommen natürlich neben der Massage auch weitere Bereiche wie Ernährung, Stoffwechselanregung und Medikamente zum Tragen, ebenso wie der Zweig der ayurvedischen Psychotherapie, der sich mit Entspannungsund Versenkungstechniken, ethischen Verhaltensweisen oder auch der intensiven Analyse leidschaffender Muster auseinandersetzt. Gerade bei der Behandlung psychosomatischer Erkrankungen ist die ayurvedische Manualtherapie ein essenzieller Baustein im Rahmen eines durch eine/n Ayurveda- Arzt/Ärztin erstellten Gesamtkonzepts, das eine Behandlung auf allen Ebenen vorsieht.

 


stephanie-rieckerStephanie Riecker (M.A.)
arbeitet als Ayurveda- Therapeutin in der Privat-Praxis in Berlin und absolviert berufsbegleitend ein Studium der Ayurveda-Medizin. Als freiberufliche Heilpraktikerin gibt sie ihr Wissen in Workshops und Seminaren rund um das Thema Ayurveda weiter.

Abb: © Mertens Nicola IKB NHK Susanne Klebba

 

 

 

 

nicola-mertensNicola Mertens
ist Praxismanagerin und Projektkoordinatorin der Privat-Praxis und arbeitet als Forschungskoordinatorin in der Abteilung für Natur heil kunde des Immanuel Krankenhauses Berlin. Sie hat mehrere Aus- und Weiterbildungen im Bereich Ayurveda absolviert.

Abb: © StephanieRiecker – Malina Ebert

 

 

Immanuel Medizin Zehlendorf
Die Privat- und Selbstzahlerpraxis arbeitet wie die Abteilung für Naturheilkunde des Immanuel Krankenhauses Berlin nach dem Konzept der integrativen Medizin. Wissenschaftlich fundierte Naturheilkunde und moderne Medizin werden von den Fachärzten zu einem auf den Patienten zugeschnittenen Therapiekonzept sinnvoll ergänzt. Das ambulante Angebot im Bereich Ayurveda umfasst ärztliche Konsultationen, manual-therapeutische Behandlungen, Ernährungsberatungen, Yoga- und Musiktherapie, Reinigungskuren (Panchakarma) sowie spezielle Programme zur Gesundheitsfürsorge und Prävention.
http://naturheilkunde.immanuel.de

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