Dies ist das große Jahr für die Computer basierte Propaganda – die unter Einsatz immenser Datensätze die öffentliche Meinung über die Sozialen Medien manipuliert. Sowohl das Brexit-Referendum als auch die US-Wahl haben die Grenzen der modernen Demokratie aufgedeckt, und die Social Media-Plattformen setzen derzeit diese Grenzen ein. 

von Philip Howard

Plattformen wie Twitter und Facebook bieten nun ebenfalls eine Struktur für unser politisches Leben. Wir haben uns immer auf viele Arten von Quellen für unsere politischen Nachrichten und Informationen verlassen. Familie, Freunde, Nachrichtenorganisationen, charismatische Politiker haben dem Internet gewiss etwas voraus. Aber während die einen die Informationsquellen sind, stellen die Sozialen Medien nun die Struktur für das politische Gespräch zur Verfügung. Und das Problem ist, dass diese Technologien zu viel gefälschte Nachrichten, fake news, zulassen und unseren Herdentrieb ermutigen statt dem Allgemeinwohl zu dienen.

Soziale Algorithmen erlauben fake news Storys aus unseriösen Quellen, sich wie ein Steppenbrand über Netzwerke auf Familien und Freunde zu verbreiten. Viele von uns nehmen einfach an, dass es ein Mindestmaß an Wahrheit in diesen Storys gibt. Wir setzen dies zwar in der Werbung für kommerzielle Waren und Dienstleistungen voraus, aber nicht wenn es um Politiker und politische Parteien geht. Gelegentlich wird ein politischer Akteur bestraft, der das öffentliche Vertrauen durch seine Fehlinformationskampagne verraten hat. Aber in den Vereinigten Staaten ist die „politische Rede“ völlig frei von einer vernünftigen öffentlichen Aufsicht, und in den meisten anderen Ländern sind die Medienorganisationen und die öffentlichen Ämter für die Beobachtung von Politikern gesetzlich eingeschränkt, schlecht finanziert oder selbst nicht vertrauenswürdig.

Studien zeigen, dass während der Kampagnen für den Brexit und die U.S.-Präsidentschaft, eine große Anzahl von fake news Storys, falsche Fakten und absurde Behauptungen über die Sozialen Medien, oft durch Twitters hoch automatisierte Konten und Facebook-Algorithmen verbreitet wurden.

Social Media Netzwerke blenden die zufällige Zuwendung gegenüber neuen, qualitativ hochwertigen Informationen aus

Social Media Algorithmen bieten eine sehr reale Struktur, was Politikwissenschaftler oft „Wahlverwandtschaft“ oder „selektive Exposition“ nennen. Wenn wir vor die Wahl gestellt werden, mit wem wir die Zeit verbringen oder welchen Organisationen wir vertrauen, bevorzugen wir eine Bindung zu den Menschen und Organisationen, die wir bereits kennen und mögen. Wenn eine Auswahl von News-Storys angeboten wird, bevorzugen wir lieber die Sachverhalte, für die wir uns schon interessieren, von Experten und Nachrichten, die wir in der Vergangenheit genossen haben. Die zufällige Zuwendung zu neuen Inhalten ist aufgrund unserer Diät gegenüber neuartigen Nachrichten und Informationen verschwunden. Das Problem ist nicht, dass wir unsere eigene Community Blasen konstruiert haben – die Menschen werden das immer tun. Das Problem ist, dass Social Media Netzwerke die zufällige Zuwendung gegenüber neuen, qualitativ hochwertigen Informationen ausschließen.

Das ist kein technologisches Problem. Wir sind soziale Wesen und so werden wir natürlich nach Wegen suchen, um zu sozialisieren, und wir werden Technologie nutzen, um uns gegenseitig zu sozialisieren. Aber Technik könnte Teil der Lösung sein. Eine Neupositionierung kann uns gelegentlich anderen Informationsquellen aussetzen oder uns warnen, wenn unsere eigenen sozialen Netzwerke zu eng werden.

Das dritte Problem ist, dass Technologieunternehmen, darunter auch Facebook und Twitter, sich ebenso zu einem „moralischen Pass“ verpflichtet haben, so wie Journalisten ihn gegenüber den zivilgesellschaftlichen Gruppen abgegeben haben. 

In den meisten Demokratien ist die Politik des öffentlichen Regelwerkes und der Meinungsumfragen für ein Jahrzehnt destabilisiert. Viele Sozialwissenschaftler finden jetzt, dass Big Data, vor allem Netzwerk-Daten, einen aufschlussreicheren Job machen bei der Aufdeckung der öffentlichen Präferenzen als herkömmliche Umfrage Systeme. So hat Facebook tatsächlich zweimal in diesem Jahr einen moralischen Zuspruch bekommen. Ihre Daten über die öffentliche Meinung hätten die Brexit-Debatte mit höherer Wahrscheinlichkeit vorhergesagt, und ihre Daten über die Wählerpräferenzen hätten bei der US-Wahl sicherlich auch die öffentliche Debatte beeinflusst.

Facebook hat jetzt mehrere Experimente durchgeführt, die in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden die zeigen, dass sie die Fähigkeit haben, die gesellschaftlichen Trends genau vorherzusagen und zu messen. Während Journalisten und Sozialwissenschaftler sich verpflichten, die öffentlichen Präferenzen offen zu analysieren und zu diskutieren, erwarten wir das nicht von Facebook. Die Netzwerkeffekte, die eindeutig nicht von Meinungsforschern gemessen wurden, waren sicher auf Facebook zu beobachten. Wenn es um Nachrichten und Informationen über Politik oder öffentliche Präferenzen zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen geht, hat Facebook eine moralische Verpflichtung, Daten zu teilen und Maschinen gestützte Propaganda zu verhindern. Das Brexit-Referendum und die US-Wahl haben uns gelehrt, dass Twitter und Facebook mittlerweile Medienunternehmen geworden sind. Ihre Ingenieure in den Programmier-Abteilungen sind effektiv redaktionelle Abteilungen, und wir müssen mehr darüber erfahren, wie ihre Algorithmen funktionieren. Wir sollten erwarten dürfen, dass sie über ihre redaktionellen Entscheidungen aufklären.

Es gibt einige Möglichkeiten, diese Probleme zu beheben. Undurchsichtige  Softwarealgorithmen formulieren, was die Leute in ihren Newsfeeds finden. Wir haben fake News Geschichten (oft als Köder) bemerkt, und während diese ein unterhaltsamer Teil der Nutzung des Internets sein können, ist es schlecht, wenn sie verwendet werden, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Diese Algorithmen arbeiten als „Bots“ auf Social Media Plattformen wie Twitter, wo sie sowohl in der Brexit als auch in der US-Präsidentschaftskampagne eingesetzt wurden, um den Austritt von Europa und die Wahl von Trump aggressiv voranzutreiben. Ähnliche Algorithmen arbeiten hinter den Kulissen auf Facebook, wo sie regeln, welche Inhalte aus deinen sozialen Netzwerken deine Aufmerksamkeit erregen.

So ist der erste Schritt, um demokratische Praktiken zu stärken, für Akademiker, Journalisten, politische Entscheidungsträger und die interessierte Öffentlichkeit, die Algorithmen in den Sozialen Medien zu kontrollieren. War Hillary Clinton in den letzten Wochen der Kampagne 2016 wirklich durch eine Außerirdische ersetzt? Wir alle müssen in der Lage sein zu sehen, wer diese Geschichte geschrieben hat, ob sie wahr ist und wie sie sich verbreitete. Am wichtigsten ist, dass Facebook nicht zulassen darf, dass solche Geschichten als Nachrichten präsentiert werden, und sie sich damit viel weniger verbreitet. Wenn sie Werbeeinnahmen für die Förderung politischer Fehlinformationen einnehmen, sollten sie den gleichen Regulierungsstrafen ausgesetzt sein, die ein Fernsehmoderator für einen solchen öffentlichen Schaden befürchten müsste.

Das zweite Problem ist ein soziales, das durch Informationstechnologien verschärft werden kann. Dies bedeutet, dass es auch durch Technologien gemildert werden kann. Die Einführung von zufälligen Nachrichten und die Gewährleistung der Exposition gegenüber qualitativ hochwertigen Informationen wäre eine einfache und gesunde – algorithmische Anpassung an Social Media Plattformen. Das dritte Problem könnte mit der moralischen Führung von Social Media Firmen gelöst werden. Etwas öffentliche Aufsicht durch demokratisch gewählte Vertreter und von Medien Watchdogs würde helfen. Hat Facebook erkannt, dass Publizierende und Meinungsforscher öffentliche Präferenzen falsch wiedergeben, so sollte Facebook uns dies mitteilen müssen.

Social Media-Plattformen sind auch eine Struktur für die Verbreitung von gefälschten Nachrichten. Wir Benutzer neigen dazu, unseren Freunden und der Familie zu vertrauen, und wir halten kein Medien-Technologie-Unternehmen verantwortlich für die Verschlechterung unserer öffentlichen Gespräche. Das nächste große Ding für die Technologie-Evolution ist das Internet der Dinge, die massive Datenmengen erzeugen wird, die diese Strukturen weiter verhärten werden.

Sind die sozialen Medien schädlich für die Demokratie? Ja, aber wir können auch soziale Medien nutzen, um die Demokratie zu retten.

Anmerkung: Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf dem Policy & Internet Blog am 15. November 2016 um 8:46 Uhr veröffentlicht. Es könnte seitdem an seinem ursprünglichen Veröffentlichungsort aktualisiert worden sein. Dieser Artikel gibt die Ansichten des Autors und nicht unbedingt die Position des Oxford Internet Institutes wieder.

Hier geht es zum Originalbeitrag: Is Social Media Killing Democracy?

Über den Autor: Philip N. Howard ist Professor für Internet Studies am Oxford Internet Institute und Balliol College an der University of Oxford. Er ist Gastdozent an der University of Washington’s Department of Communication und an der Columbia University Tow Center für Digitalen Journalismus.

Übersetzung – Aman

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