Annette Assmy wurde bei den peruanischen Schamanen zur Erdenhüterin ausgebildet und schildert eine Zeremonie, in der der heilige Austausch praktiziert wird…

Mit geschlossenen Augen sitze ich im Kreis von etwa 15 Frauen und drei Hochanden Schamanen. Don Hernan, Don Luis und Don Sebastian haben für uns ein Gebetsbündel kreiert und wollen unseren Weg als Erdenhüter segnen. Ich halte ein Quintu in den Händen, ein Gebetsblatt, was aus drei Blättern besteht. Mit meinem kraftvollen Atem blase ich meine Gebet in die Blätter. Ich bitte um Segnung für meine Familie, für meine Gesundheit und meinen Weg als Pampamesayok. Vor meinem inneren Auge sehe ich viele Erdenhüter, die mich umkreisen.

Wir stehen auf einer Hochebene in Peru und sie feiern, sie freuen sich über meine Entscheidung als Erdenhüterin zu wandeln. Eine peruanische Frau löst sich von der Gruppe. Sie kommt auf mich zu. Sie hat einen roten Rock an und einen blauen Wollpullover. Ihre Augen sind verdeckt durch einen großen Hut an denen kleine bunte Bommeln hängen. Ich spüre ihre Präsenz, ihre Kraft und ihre Augen blitzen unter dem Hut hervor und pure Freude strahlt mich an. Sie hat einen zweiten Hut in der Hand und setzt ihn mir auf. Sie spricht zu mir: “Sieh mit dem Herzen!“ Ein warmes Gefühl durchströmt mich. Der Hut verdeckt meine Augen und ich spüre wie meine Sicht zum Herzen wandert. Ich sehe durch´s Herz und fühle wie ich und meine Familie gesegnet werden.

Alle Erdenhüter um mich herum schmeißen vor Freude ihre Hüte in die Luft. Ich bin nach Hause gekommen! Ich öffne meine Augen und sehe in die warmen Augen von Don Sebastian. Ich stehe auf und lege mein besprochenes Quintu in das Gebetsbündel. Dann nimmt Don Sebastian seine Glöckchen und lässt ihren! ! hohen 11 und klaren Klang erklingen. Mit diesen Glöckchen werden die universellen Kräfte aktiviert.

Das Quintu

„Hampui, hampui Pachamama, hampui Apuchin“, die warme Stimme von Don Sebastian dringt an mein Ohr. Don Sebastian, einer der kraftvollsten Paqos (Schamane aus den Hochanden) betet. Er ist in seinem rot-gemusterten Poncho über das Gebetsbündel gebeugt und ruft die Kräfte von Mutter Erde und dem Adler. Vor ihm liegen kleine bunte Bonbons, Konfetti, Kekse, Watte, wunderschöne Rosenblätter und mehrere Quintus. Ein Quintu besteht aus drei Blättern, die die drei schamanischen Welten darstellen. Die Ukhu pacha, die untere Welt, die C.G. Jung als das unbewußte kollektive beschrieb. In dieser Welt liegen unsere Schatten und unser Unterbewusstsein. Der Archetyp, der diese Welt darstellt ist Amaru, die Schlange. Das 2. Blatt des Quintus repräsentiert unsere Realität, die Kay Pacha, dort wo die unsichtbaren Kräfte mit der sichtbaren, physischen Welt zusammentreffen.

Der Archetyp, der dieses Welt verkörpert ist der Puma. Als letztes kommt die Hanaq Pacha, die obere Welt, dort wo unser höheres Bewußtsein, zu Hause ist. Das ist die Welt des Adlers, der hoch in die Lüfte schwebt und das Leben von einer höheren Warte aus betrachtet.

Schwere und leichte Energie

In diesem Moment spüre ich einen Windhauch und plötzlich spüre ich wie ein lichtvoller Adler heruntergleitet und im Gebetsbündel verschwindet. Don Sebastian öffnet seine Augen, zwinkert mir zu und gibt mir zu verstehen: “Das Gebetsbündel ist gesegnet.“ Danach gehen wir zum Feuer und verbrennen unsere Gebete, die wir mit unserer Atmung in die Quintus gegeben haben. Ich sehe wie der dunkle Rauch in den Himmel zieht und sehe über uns einen Falken ziehen. Ich fühle mich nach dieser Zeremonie leichter und erfrischter. Ich habe all meine „Hoocha“ in das Gebetsbündel gegeben und bin somit innerlich in Harmonie (Ayni) gekommen.

In der Inka Tradition gibt es keine negativen oder positiven Energien und somit auch kein Gut und Böse. Die Paqos sprechen von schweren und leichten Energien. Einer meiner Lehrer meinte einmal, er sei lediglich eine Blase voller Hoocha! Hoocha bedeutet schwere Energie; das können Gefühle wie Trauer, Wut und Groll sein oder auch Gedanken, die uns den Tag vermiesen. Es gibt Plätze und Orte, die mit schweren Energien aufgefüllt sind. Das sind meistens Orte, wo Kriege stattfanden oder schweres Leid passierte.

Laut der Anden Tradition sind die Menschen die einzigen Lebewesen, die Hoocha produzieren. Da alles in deren Weltanschauung aus Energie besteht, ist eines der Hauptaufgaben als Pampa Mesayok (Erdenhüter) sich von Hoocha, zu reinigen. Wir wollen uns mit dem natürlichen Kreislauf des Lebens verbinden, denn alles in der Natur basiert auf einem heiligen Austausch. Die Bäume, die sich von Kohlenstoffdioxid, Licht und Wasser ernähren und dadurch Sauerstoff freigesetzt wird, sind in einem ständigen Austausch mit den Naturkräften. Sie zapfen das sogenannte „Sami“ von der Kawsay Pacha an; die Welt der lebenden Energien. Denn alles im Universum und auf Mutter Erde ist lebende Energie.

Auch wir können dieses Sami, den Nektar anzapfen. Indem wir unsere Hoocha entladen und sie Mutter Erde „opfern“ im heiligen Austausch, wird sie hocherfreut über dieses leckere Mahl uns ihren Sami, ihren süßen Nektar schicken mit dem wir uns aufladen können. Wenn wir verstehen, dass alles im Universum im heiligen Austausch ist und nichts wirklich schlecht oder Gut ist, können wir einen entscheidenden inneren Sprung machen. Wir können aufhören alles zu kategorisieren. Das kann eine große Erleichterung in uns schaffen und wir öffnen uns einer größeren Macht.

Der heilige Austausch

Wir sind ein Teil des natürlichen Austausches und wir geben unsere schweren Energien an Mutter Erde, den Ozean oder an die Sonne ab. Wir schicken unsere Gebete, Bitten um Transformation ins Universum und gehen erst ins Geben bevor das Universum antwortet. Da ich tief in mir weiß, dass Mutter Erde so viel kraftvoller ist, als ich, gebe ich mich ihr hin und öffne mich ihren Kräften. Für sie ist meine Hoocha leicht verdaulich. Es geht hier nicht darum, seinen „realen“ Müll in die Flüsse oder ins Meer, zu schmeißen, sondern energetisch sich Pachamama zu öffnen und in eine gegenseitige Beziehung des heiligen Austausches zu gehen. Ich gebe, bevor ich empfange. Und dadurch komme ich in Ayni, in Harmonie und in die gleiche Schwingung, wie das Universum.

Das universelle Gesetz

Je mehr wir nach diesem universellen Gesetz leben, wird uns deutlicher in welchen Bereichen unseres Leben wir nicht in Ayni sind und wie sehr unsere Gesellschaft sich von diesem Prinzip des heiligen Austausches entfernt hat. Auf meinem Weg als Erdenhüterin lerne ich mich wieder in den natürlichen Kreislauf des Lebens zu begeben. Wie sehr rennen wir doch gehetzt durch die Welt und wollen beherrschen, kontrollieren, bestimmen und manipulieren, ob es nun die Natur ist, unseren Chef im Job, unsere Kinder, die Zeit oder einfach nur unsere Gefühle. Wir hetzen durch unser Leben und verlieren manchmal den Boden unter den Füßen, als ob uns etwas fehlt, das Gefühl von getragen zu sein oder sich zugehörig zu fühlen. Wir haben verlernt dem Herzschlag von Mutter Erde, zu lauschen.

Doch indem wir innehalten und uns diesen unsichtbaren und auch sichtbaren Kräften der Natur und dem Universum öffnen, werden wir uns wieder heimisch fühlen. Wir werden ankommen in unserem Herzen und dem großen, universellen Herz, dem Hatun Sonqoy! Unser Herz ist der Schlüssel zur Heilung in uns und der Welt. Indem wir wieder Munay, Liebe fließen lassen, öffnen wir uns auch der höchsten Kraft im Universum. Ein Erdenhüter geht den Weg des Herzens.

Annette Assmy bietet ab April 2018 ein Jahrestraining an, wo Menschen den Weg des Erdenhüters beschreiten können. Vom 8. bis 10. Juni 2018 bietet sie wieder die wunderschönen Nustas Karpay Einweihungen (7 Göttinnen Einweihungen) an.

Eine Antwort

  1. Natty Kwinn

    Es gibt aber durchaus Dinge auf der Welt, die schlecht sind und ich werde keine nennen, denn jedem fällt bestimmt sofort ein Beispiel ein. Wieso sollte man sie nicht benennen, man kann und soll meiner Meinung nach auch unterscheiden OHNE zu urteilen. Wieso wird Unterscheidung hier gleich mit Kategorisierung verwechselt?? Ich kann durchaus sagen: Mord ist negativ und muss aber gleichzeitig nicht den Mörder verurteilen (steht mir nicht zu). Hasse die Sünde, aber liebe den Sünder sagte Jesus und genau das meint er damit. Ich finde eine Unterscheidung von gut und böse von Recht und Unrecht als essentiell für den eigenen Weg.
    Liebe Grüße, Natty Kwinn

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