Parkanlagen, naturbelassene Brachen, Wälder, Tiere – Natur ist für unser Leben in der Großstadt wichtig. Ganz besonders benötigen Großstadtkinder eine Beziehung zur Natur und viel Zeit in ihr. Wieviel Natur Berlin uns bietet und warum diese Orte so schützenswert sind, erzählt uns der Leiter der Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe.

von Andreas Knöbel

Du bist im Vorstand der Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe in Berlin. Was ist die Vision eurer Initiative?

Wir wollen Naturorte in Berlin erhalten und kreative Orte schaffen, in denen Kinder und Jugendliche mittels natürlicher Erlebnisse ihre Persönlichkeit entfalten. Und eine Beziehung zu sich selbst und zu ihrer Umwelt aufbauen können. Die Natur ist ein spannender Ort, der von jungen Menschen entdeckt und erobert werden kann. Sinnliche Erlebnisse prägen diesen Prozess. Natur war schon immer lebenswichtig für uns Menschen, insbesondere in der Großstadt. Sie bietet kein vorgefertigtes Spielzeug an, sie lädt uns ein, selbst kreativ zu werden und mit dem umzugehen, was uns von ihr geschenkt wird.

Viele Lehrer*Innen und Eltern vermuten, dass Kinder ihr Wissen vor allem auf der Schulbank erwerben. Doch fehlt ihnen genau dort etwas sehr Wichtiges, damit das Erleben nachhaltig wird: sinnliche Erfahrungen. An Orten wie diesen können Kinder spielerisch etwas über Naturkreisläufe, ökologische Zusammenhänge und vieles vieles mehr lernen. Sie tauchen in Beziehungen zu sich selbst und ihrer Umgebung ein.

Welche naturpädagogische Ausrichtung haben diese Orte und wie werden sie angenommen?

Die Abenteuerspielplätze in Berlin arbeiten vernetzt. Der Landesverband gewährleistet allen Mitarbeitern interne Fortbildungen und AG´s. Es gibt Tierhalter AG´s, Garten AG´s, Hüttenbau AG´s, Naturpädagogische Fortbildungen und vieles mehr. In den AG´s bietet ein Mitarbeiter auf Basis seiner spezifischen Ausbildung seine Fertigkeiten und sein Wissen an. Die freiwilligen Teilnehmer der AG können von einem in diesem Fachgebiet ausgebildeten Mitarbeiter beispielsweise etwas über Tierpflege erfahren. Was ist artgerechte Tierhaltung, tiergestützte Pädagogik uvm. So können sie fortan diesen Bereich in ihrem Projekt besser „mitbetreuen“ und die Kinder und Jugendlichen bewusster begleiten.

Die Naturpädagogik ist ein wesentlicher und eher natürlicher Bestandteil der Abenteuerspielplätze in Berlin. Schon allein deshalb, weil wir durch die „Bewirtschaftung“ kleine Oasen in der Innenstadt erhalten und alle Angebote ganzjährig draussen stattfinden. Kinder und Jugendliche kommen freiwillig hierher und nehmen die kostenfreien Angebote ebenfalls freiwillig und tagesformabhängig an. Wir möchten nicht „dogmatisch naturpädagogisch“ arbeiten, sondern durch eine natürliche Haltung unserer Umwelt gegenüber den Kindern zeigen, welche Möglichkeiten es noch gibt.

Was Kinder zuhause oder im nahen sozialen Umfeld im Umgang mit Mutter Natur nicht lernen, können sie an diesen Orten nachholen. Worum wir bemüht sind – so wie wir es von der Natur lernen können – ist eine bedingungslose Annahme aller Kinder und Jugendlichen, die uns besuchen. Immer wieder sind es Kinder, die im Klassenverband nicht gut zurechtkommen oder aus sozial schwierigen Verhältnissen stammen.

Natur ist ein Ort, in dem vermeintliche soziale Grenzen verschwimmen. Ein Ort, an dem Kinder sich als Menschen begegnen, die gemeinsame (oder auch unterschiedliche) Interessen haben: Klettern, basteln, bauen, spielen, Tiere pflegen, zur Ruhe kommen und mehr. Jeder findet etwas, womit er oder sie sich beschäftigen möchte. Und ganz nebenbei findet eine natürliche Gemeinschaftsbildung statt, die wir Pädagogen in geschlossenen Räumen entweder gar nicht oder nur durch explizite methodische Vorgehensweisen erreichen würden.

Seit ca 30Jahren bist du Leiter des Kinderbauernhofs auf dem Gelände der Ufa Fabrik – welche pädagogischen Ansätze vertrittst du?

Ich persönlich vermeide, wenn möglich, begrenzende pädagogische Begriffe. Wenn du dir einen wünschst, dann würde ich sagen, dass wir einem reformpädagogischen Ansatz folgen. Wir geben menschlichen Prozessen Raum. Wir möchten, dass Kinder und Jugendliche zunächst einfach hier sein dürfen, so wie sie sind. Sich angenommen fühlen. Nichts leisten müssen, um unseren Respekt und unsere Akzeptanz zu erfahren. Wir arbeiten situativ. Das heisst, wir Erwachsenen benötigen eine klare innere humanistische Haltung und verfügen bestenfalls über Intuition und Feingefühl, um situationsabhängig agieren zu können. Unsere Kinder können sich bei uns im emotionalen und sozialen Bereich so schulen, dass sie fit für ein gutes, soziales Miteinander sind.

Über den naturpädagogischen Ansatz erzähle ich gesondert etwas weiter unten.

Welche Rolle spielen bei euch die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit? – Und wie setzt ihr diese kindgerecht um?

Diese Aspekte sollen den Kindern und Jugendlichen vor allem spielerisch nahegebracht werden. Uns ist wichtig, dass diese Themen im alltäglichen Leben vermittelt werden, natürlich und kindgerecht. Wenn wir – wie Schulen – die Kinder aufklären und belehren wollen, erreichen wir sie nicht. Wir erreichen unsere Kinder letztlich nur über ihr Gefühl.

Wir arbeiten zum einen über eine authentische Vorbildfunktion: Das, was ich lebe kann in dem Kind neue Fragen aufwerfen. Ein sehr einfaches Beispiel hierfür: Wenige Wochen, nachdem ein Kind neu bei uns eingewöhnt ist, kann die Frage stellen: in welchen Mülleimer kommt was? Für ein Kind, bei dem Mülltrennung weder zuhause noch im nahen sozialen Umfeld eine Rolle spielt, ist das bereits eine Entwicklung. Mit dieser neu gewonnenen Erkenntnis kann das Kind nun nach Hause gehen und dort ähnliche Prozesse in den Eltern auslösen.

Wir sammeln für unsere Hüttenbauprojekte und Ähnliches jahrelang Holz in allen Formen, heben rostige Nägel auf, nutzen bereits gebrauchte Materialien immer wieder. Alles wird solange benutzt und eingesetzt, bis es praktisch „von alleine“ zusammenfällt.

Zum anderen stellen wir uns auf die Fragen unserer Kinder ein. Stellen unsere Kinder die Frage nach Klimawandel/Klimaschutz, gehen wir mit ihnen auf diese Themen ein. Manchmal bereiten wir dann über interessante naturpädagogische Projektangebote diese Themen auf. Jedoch weniger belehrend, sondern eher spielerisch. Weil wir möchten, dass unsere Kinder mit allen Sinnen lernen und begreifen. Und vor allem möchten wir ihnen eines dabei gewährleisten: Spaß und Freude am Lernen zu haben und daraufhin das Gelernte wiederum mit anderen zu teilen. Kinder werden die Natur wieder wertschätzen und lieben, wenn wir es ihnen entweder vorleben und/oder wenn wir sie emotional und nicht belehrend berühren.

Orte wie diese legen auf natürliche Weise in den Kindern eine Beziehung zu ihrer Umwelt an. So können sich von ganz alleine Fragen nach Klimaschutz, Umweltbildung, Tierschutz, Menschen- & Kinderrechten und mehr entwickeln.

Auf dem Kinderbauernhof leben unterschiedliche Tiere. Was gebt ihr mithilfe der tiergestützten Pädagogik unseren Großstadtkindern mit auf den Weg?

Unser Tierbereich ermöglicht die Erfahrung, Verantwortung für sich und andere übernehmen zu lernen. Das ist ein Prozess, der andauert und Kinder haben dabei ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Über ihre Beziehungen zu Tieren können sie Gefühle und Verhaltensweisen anderer Lebewesen kennen und akzeptieren lernen. Tiere können zudem in Kindern unterschiedliche Verhaltensweisen hervorholen. Ein Kind mit starkem Bewegungsdrang und einer geringen Aufmerksamkeitsspanne kann sich am Tier in Selbstkontrolle üben. Oder in Hilfsbereitschaft erfahren.

Zudem lernen Kinder, dass es sich hier nicht um Nutztiere handelt. Man kann hier erfahren, dass Schweine intelligente, freundliche und durchaus saubere Tiere sind und süße Kaninchen keine Kuscheltiere. Wir möchten zudem vermitteln, dass Tiere nicht weggegeben werden, wenn sie alt und „unbrauchbar“ sind. Sondern ihnen ein gutes Leben und unsere Zuneigung bis zum letzten Atemzug zusteht. Unser Angebot ist für Kinder und Jugendliche offen, die zuhause entweder vernachlässigt aufwachsen oder deren Leben sich hauptsächlich zwischen einem leistungsorientierten Elternhaus, Schule, Lernen und Hausaufgaben bewegen.

Wie werdet ihr der Stadtnatur – den freilebenden Tieren – und den Bedürfnissen eurer Tiere in Haltung gerecht?

Wir lassen den freilegenden Tieren Platz. Wenn sich ein Bussard auf einem Baum ansiedelt, passen wir vermehrt auf unsere Kleintiere auf anstatt uns auf das Vertreiben von einem Wildtier zu konzentrieren. Manchmal versuchen wir auch mit den Kindern heraus zu finden, wo dieser Bussard lebt und lernen so mehr über ihn und die Wildnis. Vor vielen Jahren hat sich ein Stadtfuchs angesiedelt. Er lebt unter einem Gebäude, hat dort seinen Fuchsbau und gebiert jährlich seine Fuchskinder. Wir haben zu Beginn wenige Hühner und Kaninchen einbüßen müssen, denn die Tiere durften sich bislang immer frei auf dem Gelände bewegen. Das geht seitdem nicht mehr. So haben wir neue Zäune gebaut oder auch Netze gespannt, um die Hühner und Kaninchen besser zu schützen. Wenn die Füchsin wieder Kinder hat, wissen wir, dass wir besser auf unsere Tiere aufpassen müssen. Wir wollen uns mit den Stadttieren unbedingt arrangieren.

Auf welche politische Unterstützung könnt ihr bereits zurückgreifen? Und was wünscht ihr euch an Unterstützung?

Wir geniessen eine hohe Akzeptanz in unserer Region und dem Bezirk Tempelhof – Schöneberg. Bis zu 30.000 Euro müssen wir jedoch jährlich selbst aufbringen, um den Tierbereich weiterhin unseren Kindern anbieten zu können. Hierfür erhalten wir keine staatliche Förderung. Was wir uns natürlich schon lange wünschen, ist eine Übernahme von Sachmitteln für den Tierbereich. Dass anerkannt wird, dass Orte wie diese für unsere Großsstadtkinder lebenswichtig sein können. Der sozial- sowie der naturpädagogische Stellenwert betreuter Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe wird noch zu wenig anerkannt. Bildung findet mitten im Leben und in unserer Freizeit statt, das soziales Lernen ebenfalls.

Wir nehmen oftmals Kinder auf, die das in der Schule oder im sozialen Umfeld nur bedingt lernen. Sie kommen so manches Mal als Nerd an, und gehen dann als gesellschafts- und teamfähiger, sozial gestärkter Mensch aus dieser Freizeiteinrichtung heraus. Natürlich freuen wir uns, wenn auch unser staatliches System eines Tages erkennt, dass Leben und soziale, emotionale, kognitive Bildung eben nicht (nur) in der Schule, sondern gerade in der Freizeit und mitten im Alltag stattfindet. Und solange das System noch im Dämmerschalf ist, erhalten wir uns über Projekte, Kinder- und Familienfeste und mitunter auch über Sponsoren, die natürlich bildende Orte wie diese zu schätzen wissen.

Vielen Dank für dieses Interview. Ich danke euch für euer unermüdliches soziales Engagement für unsere Großstadtkinder. Das ist eine notwendige und großartige Investition in eine positive gesellschaftliche Entwicklung.

Ein Interview mit Andreas Knöbel – Leiter des Kinderbauernhofs und der Abenteuerspielplätze in Berlin/Brandenburg, Erzieher/Naturpädagoge/Soziales Management

Webseite: https://kinderbauernhof.nusz.de/

Webseite: https://www.akib.de/

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