In der Schwangerschaft und während der Geburt gibt es oft überwältigende oder bedrohliche Situationen, die Mutter und Kind prägen und – vielfach für den Rest des Lebens – schmerzliche körperliche und seelische Spuren hinterlassen. Somatic Experiencing als Traumabewältigungsmethode kann Säuglingen, Kindern und Müttern bei Traumata helfen, die rund um die Geburt entstanden sind.

von Stephanie Schönberg

Das Geburtsgeschehen ist ein natürlicher und kein technischer Vorgang. Darum erleben ihn jede Mutter und jedes Kind individuell – und oftmals lassen sich Aufregung und Ängste unter der Geburt nicht verhindern. Nicht selten sind schnelle Entscheidungen gefragt und es können Gefühle der Überwältigung und Hilflosigkeit zurückbleiben. Beschwerden nach der Geburt können auf ein traumatisches Erleben dieser Situation hindeuten. Viele Mütter fühlen sich dem Erlebnis der Geburt im negativen Sinne ausgeliefert und rätseln dann, warum ihr Baby oder auch ihr Kleinkind unter andauernder Unruhe, Schlafstörungen oder Bauchschmerzen leidet.

Diese Beschwerden in Verbindung mit dem Geburtsgeschehen zu sehen – darauf kommen nur wenige. Oft leiden diese Mütter und ihre Partner im Stillen und sehen diese Probleme als normal und zur kindlichen Entwicklung gehörend an. Kommen sie dann in Berührung mit dem Thema Geburtstrauma, ist der nächste Schreck vorprogrammiert, denn „Trauma“ klingt so absolut und unveränderbar und kann erneut Ohnmachtsgefühle auslösen.

Eingefrorene Energie

Im Somatic Experiencing (SE), einer Methode zur Traumabewältigung, die von dem Psychologen und körperorientierten Traumatherapeuten Dr. Peter A. Levine entwickelt wurde, geht es um ein anderes Verständnis von Trauma. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung stehen die Vorgänge im Körper während der Situation in der Vergangenheit, in der die aktuellen Beschwerden ausgelöst wurden. Ein Trauma nach Somatic Experiencing ist demnach nicht die Situation an sich, sondern es beschreibt, wie der Organismus in der Lage war, mit einer Situation umzugehen.

Der Organismus hat dabei drei angeborene automatisch ablaufende Überlebensstrategien, wie er auf für ihn bedrohliche oder überwältigende Situationen reagiert: Er kann fliehen oder kämpfen – aber wenn diese beiden Optionen nicht zur Verfügung stehen, wird er starr und friert praktisch ein. Können wir in einer für uns bedrohlichen Lage fliehen oder uns erfolgreich verteidigen, stellt sich in unserem Körper meist das natürliche Gleichgewicht wieder ein und wir speichern die Situation als gut bewältigt ab. Sind Verteidigung oder Flucht aber nicht möglich oder bleiben wir mitten in unserer Reaktion stecken, wird die vorher mobilisierte Energie gespeichert. Diese überschüssige Energie, die im Nervensystem als gebundene Überlebensenergie verbleibt, wird im Somatic Experiencing Trauma genannt. Nach dieser Definition bildet die Gesamtheit aller steckengebliebenen Reaktionen auf ein lebensbedrohliches Ereignis das Trauma.

Traumageschehen Geburt

Schwangerschaft und Geburt sind zwei Situationen, in denen die Mutter nicht nur für sich allein verantwortlich ist, sondern immer für sich und ihr Kind entscheiden muss. In der heutigen Zeit ist allerdings bei vielen Frauen das Gefühl für den eigenen Körper und das Vertrauen in natürliche Vorgänge wie Schwangerschaft und Geburt verloren gegangen. Die werdende Mutter sieht sich zudem vielfachen Meinungen und Ratschlägen ausgesetzt. Aus Angst vor Fehlern oder aus eigenem Unwissen heraus stimmen Frauen beispielsweise Tests und Behandlungen zu, ohne ausreichend informiert worden und für sich zu einer guten Entscheidung gekommen zu sein. Auch wenn manche Schwangere wissen, ob es ihrem Kind gut geht oder welche Position sie bei der Geburt wählen wollen, und sie auch nach der Geburt zumeist instinktiv spüren, was ihr Kind braucht: Viele Frauen haben oft leider keinen Zugang mehr zu ihrem intuitiven Wissen und ihren eigenen Ressourcen. Sie fühlen sich von ihrer Umgebung auch häufig nicht richtig darin unterstützt, auf sich und ihr Gefühl zu vertrauen. Unter der Geburt können zusätzlich und spontan viele Momente und lebensgefährliche Situationen entstehen, die ein schnelles Handeln, manchmal aber auch ein Aushalten erforderlich machen.

Dabei können sich Mütter auch den Entscheidungen und der oft fehlenden Information durch das medizinische Fachpersonal ausgeliefert fühlen. In meiner Arbeit mit Frauen vor und nach der Geburt geht es häufig um genau die Frage, ob sich eine Frau vor und während der Geburt kraftvoll und handlungsfähig oder vielleicht zeitweise orientierungslos, überwältigt und hilflos fühlt bzw. gefühlt hat.

Das Kind im Mutterleib

Wie das Kind sich während Schwangerschaft und Geburt fühlt und in welcher Form sein Organismus auf äußere Reize und Erlebnisse reagiert, ist mittlerweile gut erforscht. Schon im Mutterleib nehmen die Zellen des Kindes Informationen auf energetischer Ebene auf, bereits der Embryo richtet sein Wachstum und Verhalten darauf aus. Das heißt: Alles, was der Embryo bzw. Fötus im Mutterleib und später das Kind während und nach seiner Geburt erlebt, kann Auswirkungen auf sein Verhalten, seine Gefühle und seine Körperhaltungen haben. Je nachdem, wie stark das einzelne Kind auf Erlebnisse reagiert bzw. mit wie viel angeborener Resilienz es sich auf seinen Weg in die Welt macht, fühlen sich die Ereignisse während Schwangerschaft und Geburt überwältigend bzw. traumatisch an oder nicht.

Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandskraft eines Menschen – wir sagen dazu auch: die Schwingungs- und Anpassungsfähigkeit seines Nervensystems. Diese Fähigkeit bekommen wir durch unsere Eltern vererbt. Wir erlernen und erweitern sie im Mutterleib und nach unserer Geburt durch den Umgang mit Erwachsenen, die sich im besten Fall fürsorglich, emotional eingestimmt und für uns passend um uns kümmern und uns versorgen. Ereignisse, die einen besonders starken Einfluss auf das Baby haben können, sind zum Beispiel eine nicht gewollte Schwangerschaft – so dass sich das Kind nicht gewollt und willkommen fühlt – , ein verlorener Zwilling, künstliche Befruchtung, eine Sturzgeburt, ein Kaiserschnitt, die Trennung von der Mutter nach der Geburt und vieles mehr.

Traumatisches Erleben und seine Folgen

Woran aber erkennt man, ob man selbst oder das eigene Kind ein Trauma erlitten hat? Bei Müttern können sich nach einer traumatischen Geburtserfahrung oft unerklärliche psychische und körperliche Symptome wie Überaktivität, Hilflosigkeit, Panikattacken, Wutausbrüche, Depressionen, Schlafstörungen, Herzklopfen, Taubheitsgefühle des Körpers, Empfindungsstörungen der Narben, Erschöpfung und vieles mehr zeigen. Dies macht Angst und verwirrt, zumal nach der Geburt gerade die umgebenden Erwachsenen eine „glückliche Mutter“ erwarten. Doch Traumafolgen zeigen sich vielfältig, oft auch in einem unsicheren Körpergefühl und dem diffusen Empfinden, die Welt sei kein sicherer Ort mehr. Der Körper befindet sich dann weiterhin im Alarmzustand.

Die Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen sind noch immer mit der überwältigenden Erfahrung aus dem bereits geschehenen Ereignis, hier der Geburt, gekoppelt. Bei Säuglingen können traumatische Geburtserfahrungen Auswirkungen auf ihr Verhalten und ihre Körperhaltung haben. Häufig verursachen sie in erster Linie körperliche Beschwerden wie Schreien, übermäßige Schreckhaftigkeit, Sich -nicht-ablegen-Lassen, Schlafstörungen, überstreckte Haltung, Schiefhals, Verdauungsbeschwerden, Spucken, fehlende Gewichtszunahme und anderes. Die Schwierigkeit, aber auch Chance besteht darin, dass das Nervensystem von Säuglingen mit der Geburt noch nicht voll entwickelt ist.

Die drei Teile des Gehirns sind alle schon angelegt, nehmen aber erst im ersten Jahr der Entwicklung ihre Funktion auf und sie werden noch bis zum 25. Lebensjahr weiter entwickelt und verändert. Der autonome Teil des Gehirns, das „spürende Gehirn“ ist von Geburt an aktiv, der limbische Teil des Gehirns, das emotionale Gehirn, beginnt mit drei Monaten zu arbeiten und der präfrontale Teil des Gehirns, das mentalisierende Gehirn wird mit zirka acht Monaten aktiv. Das noch unreife Gehirn des Säuglings kann Flucht- und Kampfimpulse zwar wahrnehmen, aber sie nicht bewusst ausführen und gerät dadurch eher in den Zustand der Erstarrung. Eben diese Unreife erlaubt jedoch auch sehr schnelles Lernen und Veränderungen im Gehirn, zum Beispiel über die Neubildung von Synapsen.

Den Geburtsprozess energetisch vollenden

In meiner Arbeit als Traumatherapeutin nach Somatic Experiencing unterstütze ich Eltern und Kinder dabei, die steckengebliebenen Reaktionen aus dem Geburtsprozess zu vollenden. So können sich die Energien entladen, die im Nervensystem als Trauma abgespeichert wurden. In den SE-Sitzungen lernen meine Klientinnen und Klienten, die Verbindung zum eigenen Körper und zu sich selbst wieder aufzunehmen – und zu verstehen, wie bestimmte Symptome mit der Traumatisierung zusammenhängen. Ein erwachsener Klient lernt nach und nach, präsent zu bleiben, während er über die vergangene traumatische Erfahrung spricht. Dies gelingt über die Aktivierung von Ressourcen (eigenen positiven Erfahrungen, Stärken oder Kraftquellen).

Er übt, zwischen der Ressource und dem überwältigenden Ereignis hin- und herzupendeln, und dadurch löst sich die im Nervensystem gebundene Überlebensenergie Stück für Stück. Durch die Langsamkeit des Prozesses und die Überschaubarkeit dessen, was gerade passiert, kann sich der Klient neu orientieren und die Veränderung wird gut im Organismus integriert – ohne das Gefühl, wieder überfordert und überwältigt zu werden, wie das bei der Geburt der Fall war. Natürlich sieht die Arbeit mit Erwachsenen anders aus als die mit Kindern.

Ich nutze in den SE-Sitzungen für Erwachsene Gespräche, Berührungen, Bewegungen und Spiele und arbeite mit den Klienten im Sitzen, Stehen oder Liegen. SE-Sitzungen für Säuglinge und Kinder sind eine Mischung aus Ansprechen der sich zeigenden Themen, Berührung, Simulationen von erlebter Geschichte und Spiel. Außerdem nehme ich je nach Bedürfnis die osteopathische Berührung hinzu und kombiniere sie mit anderen Berührungen aus der Körpertherapie. So konnte ich bereits vielen Müttern, auch Vätern und vor allem Kindern, helfen, traumatische Situationen im Nachhinein zu verändern. Ich habe ihnen so einen Zugang zu ihren eigenen Ressourcen verschaffen können und ihnen geholfen, zu einem veränderten Körpergefühl zurückzugelangen.

Somatic Experiencing – dem Trauma vorbeugen

Bleibt die Frage: Wie beuge ich bestenfalls einem Trauma in der Schwangerschaft oder während der Geburt vor? Für die Mutter und damit auch für das Kind sind das Vertrauen in das eigene Körpergefühl und das intuitive Wissen von großem Wert für eine gute Geburtsvorbereitung. Dazu leisten Menschen, die sie in dem Prozess begleiten, sie stützen, ihnen das Gebären zutrauen und die liebevoll und entspannt sind, einen unschätzbaren Beitrag. Auch gut informiert sein hilft: Was passiert bei der Geburt? Welche Möglichkeiten habe ich, mitzuentscheiden, was die Geburtsposition, eine PDA (rückenmarksnahe Regionalanästhesie), einen Kaiserschnitt usw. angeht? Wo möchte ich mein Kind bekommen, was steht an Orten zur Auswahl?

Auch die Möglichkeit, nach der Geburt versorgt zu sein und sich nicht gleichzeitig um sich, das Baby und den Haushalt kümmern zu müssen, trägt zur Entspannung der Familie bei. Es können immer wieder unvorhergesehene, auch bedrohliche Dinge unter der Geburt geschehen, aber eine liebevolle Begleitung, ein sicheres Gefühl für sich selbst sowie Wissen über das Geschehen können die Auswirkungen abmildern Und wie bereits gesagt: Ein Trauma ist nichts Absolutes, Unveränderbares. Ihm mit sanfter Energie und Berührung zu begegnen, wie es in Somatic Experiencing Sitzungen geschieht, ist die Chance, diesen Schrecken wieder aus dem Körper zu lösen und sich mit den eigenen Ressourcen zu verbinden.

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