Die Journalistin und Autorin Marlies Burghardt im Gespräch mit der spirituellen Lehrerin Pyar über die unterstützende Kraft der fünf Weisheitsbuddhas auf unserem Entwicklungsweg.

Ein bedeutendes Mandala des tibetischen Buddhismus ist das der fünf Weisheitsbuddhas – der Dhyani-Buddhas –, von denen vier im Sinne der Himmelsrichtungen um ein Zentrum herum angeordnet sind, in dessen Mitte der fünfte seinen Platz hat. Jeder dieser Buddhas ist Ausdruck einer besonderen Weisheit. Und alle gemeinsam stellen Kräfte und Bewusstseinszustände dar, die sowohl in jedem Menschen wirken als auch in der gesamten äußeren Welt. Insofern verbindet sich der mit den Weisheitsbuddhas Meditierende mit all diesen Aspekten in sich wie auch im Außen.

Jeder Buddha ist dabei Wegweiser zum höchsten Ziel der entsprechenden Weisheit und führt gleichzeitig durch die Schattenseiten, die sogenannten Geistesgifte, die sehr genau benannt werden. Auf diese Weise wird dem Meditierenden ein Spiegel vorgehalten, in dem er seinen jeweiligen Stand als auch sein höchstes Ziel erkennen, sich damit verbinden und all das transformieren kann, was ihm auf dem Weg zu Klarheit, Liebe und innerem Frieden im Wege steht.

Pyar, in der letzten Zeit stehen die fünf Weisheitsbuddhas in deinen Satsangs und Retreats sehr im Vordergrund. Warum?

Das ergab sich sehr natürlich. Wir haben ein Jahr lang gemeinsam mit Achtsamkeit und Atem geübt, danach verbrachten wir ein Jahr mit dem Herzsutra. Darin kommt ganz am Anfang die Geschichte vor, in der ein großer Bodhisattva aus seiner tiefen Einsicht heraus die historische Dimension der Welt anschaut und erkennt, dass alles, was existiert, grundsätzlich fünf – sagen wir mal – Abteilungen zuzuordnen ist. Diese sind: Formen, Gefühle, Gedanken, Handlungen und Bewusstseinszustände. Diesen fünf sogenannten Anhäufungen entsprechen die fünf Weisheitsbuddhas. Da war es nur ein kleiner Schritt, jetzt diese fünf genauer zu betrachten und ihren Segen zu erfahren. Ich selbst bin entzückt darüber, wie sehr uns die Weisheitsbuddhas helfen, unseren eigenen Geist zu verstehen und negative Konditionierungen zu transformieren, damit Weisheit, Freude und Mitgefühl in uns erstrahlen können. Viele Menschen finden mithilfe dieser Werkzeuge immer wieder den Weg in die Stille und Freude. Das Schöne dabei ist, dass dieses geniale Werkzeug uns hilft, an genau den Stellen, an denen wir bei bestem Bemühen immer wieder zu scheitern scheinen, eine neue Perspektive zu gewinnen und uns so aus der Verstrickung der alten Muster zu befreien.

Und wie geht das genau?

Jeder Weisheitsbuddha ist verbunden mit vielen Aspekten – einem Element, einer Farbe, einer Form, einer Himmelsrichtung, einem Mantra, einem Mudra. Wenn wir in Ruhe alle diese Aspekte betrachten. gewinnen wir einen leichten und anstrengungslosen Zugang zu jeweils einem Fünftel unserer inneren Welt. Und jeder dieser Buddhas weist den Weg von einer bestimmten Dummheit zu der dahinter verborgenen Dimension der Weisheit. Als Beispiel möchte ich gerne den in Asien beliebtesten dieser Buddhas nennen: Amitabha. Er ist die Verkörperung von Liebe und Mitgefühl. Seine Weisheit ist die Weisheit der Unterscheidung. Sie schenkt uns die Freude an der Individualität, an der Vielfalt und Einzigartigkeit jedes Momentes, jedes Wesens und jeder Erscheinung. Die verblendete Form dieser strahlenden Liebes-Energie ist die Gier, die alles besitzen oder in sich hineinstopfen will, nie satt wird und keine Freude empfindet. Wenn uns also eine Gierattacke packt, können wir uns an Buddha-Amitabha erinnern. Wir können uns seinen roten warmen Palast vorstellen und uns von seiner Freude an der Einzigartigkeit und von seiner Weisheit anstecken lassen. Wenn es uns gelingt, diese Freude ein wenig zu empfinden, wird sofort die Gier nachlassen. Denn hier geht es um die Unterscheidung von Qualität und Quantität! Ein sehr wichtiges Thema in unserer Zeit… insbesondere auch, was die Informationsüberflutung angeht und unsere eigene scheinbar unstillbare Gier nach Input.

Um welche weiteren Dummheiten geht es noch? Und welche Weisheit steht hinter welcher Dummheit?

Wichtig ist zunächst zu verstehen, dass all diese Verblendungen und Dummheiten, die bei uns Leiden verursachen, lediglich eine Verdrehung einer ursprünglich segensreichen Energie sind. Es geht also nicht darum, irgendetwas in uns „wegzumachen“, um dann die Weisheit zu erlangen, sondern es geht darum, das Verdrehte als verdreht zu durchschauen und es dann zu ent-wickeln, so dass dieselbe Energie wieder frei, freudig und klar fließen kann.

In diesem Sinne also jetzt ganz kurz die Gegensatzpaare der fünf Weisheiten und fünf Dummheiten:

• Buddha Akshobya, der blaue Buddha, sitzt ganz still und nimmt alle Phänomene nur wahr, die reine So-heit der Phänomene, ohne Urteil, ohne Einmischung. Das nennt man spiegelgleiche Weisheit. Sie ist die Medizin gegen Zorn, Ärger und Hass. Erst mal nur wahrnehmen: Ah, so ist es jetzt. Fremdes oder Unangenehmes nicht gleich attackieren, sondern betrachten.

• Der gelbe Buddha Ratnasambhava ist die Verkörperung von Kreativität und Großzügigkeit. Er sieht in allen Dingen und allen Wesen das, was in uns allen gleich ist – die Göttlichkeit, der Wunsch nach Glück usw. Das ist die Weisheit der Wesensgleichheit – Stolz, Überheblichkeit und Minderwertigkeitsgefühle werden durch diesen Aspekt der Weisheit transformiert: immer erst das betrachten, was uns allen gemeinsam ist.

• Die Weisheit der Unterscheidung des roten Buddha Amithaba erfreut sich an der Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Erscheinungen, ohne sie sich zu eigen machen oder einverleiben zu wollen – so werden Gier, Mangel und Anhaftung in Liebe verwandelt.

• Die alles vollendende Weisheit, die vom grünen Buddha Amogasiddhi repräsentiert wird, weiß, dass alles Handeln bestimmt wird von der Motivation, die am Anfang steht, und dass jedes Ergebnis sich zu seiner eigenen Zeit zeigen wird. Zeit und Bewegung kommen hier hinzu. Die Weisheit sieht die Lücken in der Zeit, in denen Ewigkeit aufscheint. Ehrgeiz, Neid, Konkurrenz, Angst vor Versagen, Rastlosigkeit kommen dadurch zur Ruhe und kraftvolles, erfüllendes Handeln wird möglich.

• Die raumgreifende Weisheit des weißen Buddha Vairocana erkennt Raum und Zeit, Raum und Inhalt, Form und Leerheit, Gott und Schöpfung in einem Rundumblick, ohne irgendetwas auszuschließen – Dumpfheit, Abgehobenheit und Dummheit sind in diesem glasklaren, kristallenen Erkennen unmöglich.

Wie hilfreich, dass der Meditierende erkennen kann, dass auch er im tiefsten Inneren über diese Weisheiten, die göttlichen Kräfte, verfügt – selbst wenn sie manchmal „vernebelt“ zu sein scheinen.

Ja, genau. All diese Weisheit ist von Anbeginn in uns vorhanden. Sie wird nicht erworben oder erlangt, sondern entwickelt oder von Nebel und Schmutz befreit.

Sehr sympathisch finde ich auch, dass jeder Buddha eine weibliche Gefährtin hat.

Ja, jeder Buddha hat eine Gefährtin. Und nicht nur das, man spricht von Buddhafamilien. Zu jedem der fünf Buddhas gehören weitere Gestalten weiblicher und männlicher Art. Jede mit eigenen Qualitäten. Die Gefährtinnen der fünf Buddhas repräsentieren immer die Reinheit des jeweiligen Elementes. Beispielsweise gehört zu Buddha Vairocana die weiße Tara. Sie repräsentiert die Reinheit des Raumes.

Eine ganz besondere Rolle spielt bei den Weisheitsbuddhas wohl überhaupt Buddha Vairocana, der im Zentrum steht und das „höchste“ Element Äther verkörpert?

Nein das sehe ich nicht so. Jeder der fünf Buddhas repräsentiert genau zwanzig Prozent der Weisheit. Und es gibt auch kein höchstes unter den Elementen, sondern nur das gleichwertige Zusammenwirken aller Elemente. Das macht das Leben aus. Obwohl die Weisheit Vairocanas allumfassend genannt wird, ist sie nicht besser oder mehr als zum Beispiel die Weisheit der Wesensgleichheit oder die Weisheit der Unterscheidung. Nur alle fünf zusammen bilden das Ganze! Dieses Mandala der fünf Buddhafamilien wurde von den tibetischen Meistern geschaffen, um uns zu helfen, uns der Weisheit anzunähern und unseren Geist zu verstehen und zu transformieren. Voraussetzung dafür ist das Verständnis, dass die Weisheit nicht wirklich teilbar ist. Vielmehr ist es in dieser Übung so, als ob wir einen Palast betrachten. Wir umrunden ihn und sehen seine verschiedenen Seiten, die unterschiedlich gefärbt sind, und doch bleibt es immer ein einziger Palast. Man kann nie eine einzelne Seite herausnehmen.

Ein gutes Bild ist auch das Licht. Das Licht selbst ist immer eines, wenn wir es aber durch einen Kristall leuchten lassen, dann sehen wir die Regenbogenfarben. Auch da können wir nie eine einzelne Farbe herausnehmen – es ist immer ein Licht. Und in all dem strahlen Liebe, Freude und Klarheit! Diese Liebe, Freude und Klarheit zu vermitteln – das ist mein Anliegen.

Satsang mit Pyar am 1.-3. Juni 2018
Ort: Bodhicharya Deutschland e.V., Kinzigstr. 25-29, 10247 Berlin
Zeit: Freitag 19.30 Uhr,
Samstag und Sonntag jeweils 11 und 15 Uhr
Teilnehmerbeitrag: jeweils 18 €

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