„Die Kunst der wachen Beziehung“ lautet das Thema des diesjährigen ­Celebrate-Life-Festivals, das vom 26. Juli bis 4. August 2013 in der Nähe von Bremen stattfindet. Im Vorfeld der Veranstaltung, die sich in vier ­Modulen mit frühkindlichen, erwachsenen, globalen und mystischen ­Beziehungen beschäftigt, haben Alexandra Scheper und Sylvia Grunwald Thomas Hübl zu Beziehungdynamiken bei Paaren befragt. Über Geben und Nehmen in partnerschaftlichen Beziehungen.

 

Wenn wir lieben, fühlen wir uns einerseits glücklich und verbunden, andererseits auch schnell verloren oder verletzt. Woher kommt diese Unsicherheit?
Wenn wir beginnen, uns zu öffnen, werden grundlegende Programmierungen in uns angesprochen. Gerade in intimen Beziehungen zeigen sich deshalb ganz frühe Beziehungsmuster. In einer erwachsenen Form von Beziehung stehen das Nehmen und Geben in einer gesunden Balance. Wenn aber erwachsene Menschen frühkindliche Muster leben, können sie weniger geben als nehmen und die Balance von Freiheit und Bezogenheit ist gestört. Dann haben wir entweder das Gefühl, unseren Partner konstant zu verlieren, und trauen uns nicht, uns weiterzuentwickeln. Oder wir haben die ganze Zeit Angst, unsere Freiheit zu verlieren, und lassen uns deswegen nicht ganz ein.

Als Kinder haben wir in unserer Familie gelernt, wie wir Aufmerksamkeit bekommen. Die einen durch Brav-Sein, die anderen durch Beleidigt- oder Ärgerlich-Sein. Da gibt es viele Möglichkeiten. Wenn mir das nicht bewusst ist, möchte ich diese Portion Aufmerksamkeits-Energie auch von meinem Partner haben. Wenn dieses Verhaltensmuster aber nach der Phase des Verliebt-Seins nicht mehr mit dem meines Partners korreliert, gibt es Spannungen. Ich denke zwar: Das ist Liebe. Aber im Prinzip ist es nur ein Weg, wie ich Energie in Form von Zuwendung bekomme.

Wie kann ich denn mein altes Rollenverhalten ändern?
Zuerst gilt es, Bewusstheit für das eigene Verhalten zu schaffen. Manchen Menschen fällt gar nicht auf, dass Anspannung und Unzufriedenheit da sind. Der zweite Schritt ist, sich genau zu beobachten in den Situationen, in denen das Verhalten auftritt. Was mache ich, was fühle ich? Der dritte Schritt ist, dass ich mir bei Beziehungsproblemen jemanden mit großer Klarheit hole, der mir ein guter Spiegel sein kann. Und das ist oft nicht der Partner. Wenn frühkindliche Anteile auftauchen, ist es gesund, zu sagen: „Okay, hier können wir uns nicht mehr klar sehen. Wir gestehen uns das ein. Jetzt übernehmen wir dafür die Verantwortung. Ich schaue mir meinen Teil und du schaust dir deinen Teil mit jemandem an. So erhalten wir die Mann-Frau-Beziehung. Und diese Projektionen, die aus frühkindlichen Anteilen entstehen, löse ich mit einem Therapeuten auf.“ Wenn du eine starke, erwachsene Perspektive hast, können natürlich auch Partner, Freunde und die Menschen, mit denen du dich sonst auf einer tiefen Ebene austauschst, helfen. Dann ist eine therapeutische Unterstützung nur für schwierigere Fälle notwendig.

Angenommen, ich durchblicke meine Beziehungsmuster und höre auf, meine Liebesbeziehung mit einer Soll-und-Haben-Liste zu verwechseln: Wo beginnt wirkliche, erwachsene Liebe?
Es ist schon eine Leistung von Liebe, wenn ich mich auf dich beziehen kann, egal, ob du mir gerade angenehm oder unangenehm bist, und ganz egal, was in mir gerade auftaucht. Je erwachsener ich werde, desto größer ist der Präsenzraum in mir. Ich kann mich selbst und den anderen beinhalten, ohne mich verspannen und von ihm wegbewegen zu müssen. Mit allen positiven und negativen Emotionen. Eine Leistung des Erwachsen-Seins ist: Ich kann einem anderen Menschen Raum geben, auch wenn es einen Konflikt gibt. Wenn ich aber sage: „Ich liebe dich!“ und in den Momenten weglaufe, in denen du dich nicht so verhältst, dass es mir angenehm ist, dann geht es mir vor allem um mein eigenes Wohlbefinden. Und nicht darum, einen Raum zu bilden, der größer ist als meine Bedürfnisse.

Wenn mir eine Situation nicht angenehm ist, muss ich als Erwachsener Verantwortung dafür übernehmen, wie es mir damit geht, und kann das nicht auf dir abladen. Ich kann natürlich entscheiden, dass ich nicht mehr in Beziehung mit dir sein will. Dann muss ich gehen. Aber ich kann nicht bei dir den Grund dafür suchen, dass es mir nicht gut geht. Wenn ich sehr selbstzentriert bin, habe ich wenig Raum für andere. Liebe beginnt da, wo ich zunehmend mehr von der Welt mit einbeziehen und Spannungen in mir halten kann. In dem Moment findet Transformation statt. Das ist der Grund, warum der Kontakt und die Bezogenheit aufeinander so wichtig sind.

Kommt jeder Mensch irgendwann an einen Urschmerz wie Alleinsein oder Einsamkeit?
Jedenfalls werden wohl viele Menschen auf irgendeine Form von Schmerz stoßen. Es gibt unterschiedliche Dinge, die wir nicht integriert haben. Wenn ich anwesend bleibe mit dem, was wir Schmerz nennen, sehe ich auch den Impuls der Vermeidung dieser Empfindung in mir selbst. Ich kann beobachten, wie ich eine Empfindung von Zurückgestoßen-Sein, von In-Konkurrenz-Sein, von Alleingelassen-worden-Sein erst einmal ablehne.

Wenn wir das Ganze auf eine Erwachsenen-Perspektive heben, muss ich sehen, dass das, was ich als ‚Alleinsein’ interpretiere, mein Rückzug von Empfindungen ist, als etwas Unangenehmes in meiner Vergangenheit – Kindheit – stattgefunden hat. Wenn dieses Gefühl, dass da kein Gegenüber war, als ich auf jemanden zugegangen bin, regelmäßig wiederkehrt, wird das zu meinem Innenraum. Ich beginne, in einem sehr jungen Alter mit diesem Gefühl irgendwie umzugehen – meist, indem ich meine Sensitivität unterdrücke. Damit spalte ich es ins Unbewusste ab, wo es immer weniger zugänglich ist. Da dies für mich in diesem Moment eine Erleichterung ist, mache ich es weiter. Irgendwann vergesse ich, wie ich es gemacht habe, weil es normal geworden ist. Und das bedeutet: Immer, wenn ich mich alleine fühle, kann ich mich nicht mehr ganz wahrnehmen.

Wenn wir nicht allein sein können, versuchen wir, dieses Loch gleich wieder mit der nächsten Beziehung stopfen. Wie ist das mit dem Alleinsein?
Wenn ich emotional erwachsen bin, kann ich auch gut allein sein, weil ich mit mir in Balance bin. Dann fällt es mir auch leicht, einen Partner zu finden. Nicht, weil ich ein Loch stopfen möchte, sondern weil ich meine Sehnsucht nach Beziehung leben möchte. Aber wenn diese Sehnsucht so penetrant wird, dass sie mich nicht in Ruhe lässt, ist das ein Zeichen dafür, dass hier unintegrierte Anteile sprechen. Je mehr ich eine Ressource habe in meinem erwachsenen Dasein, desto mehr werde ich Phasen des Alleinseins für andere Dinge nutzen, die in mir wachsen und sich entwickeln wollen. Eine Partnerschaft ist zu diesem Zeitpunkt vielleicht gar nicht angebracht.

Wenn Menschen darunter leiden, dass sie nicht in einer guten Partnerschaft sind, ist das oft ein Ausdruck von Mangel, der auch in einer Partnerschaft zutage treten würde. Auf der anderen Seite lassen sich manche Menschen erst gar nicht auf eine Beziehung ein, weil sie Angst bekommen, dass sie dann gebunden sind und ihre Freiheit verlieren. Wenn sie sich wirklich verlässlich binden, werden sie mit ihren Ängsten konfrontiert.

Wie stellt man die Beziehung in den Dienst von etwas Größerem?
Die Frage ist: Was fördert Entwicklung? Und: Was hemmt Entwicklung? Viele Menschen schlafen in der Beziehungsdynamik einfach miteinander ein und entwickeln sich nicht mehr gemeinsam. Die Evolution baut dann mehr und mehr Druck auf. Deswegen bin ich der Ansicht, dass wir Beziehungen in den Dienst des Erwachens stellen müssen. Dann ist das Erwachen die erste Priorität und die Beziehung ein Ausdruck davon. Und dann orientiere ich mich wieder an der Essenz und nicht an der Form.

Ich glaube, die Praxis der Liebe kann uns zeigen, wie wir größere Räume von Bewusstheit umarmen und spannungsgeladene Konflikte in uns halten können. Es ist ein Zeichen einer hohen Entwicklung, wenn wir Spannung nicht wegdrücken, sie nicht abspalten, sie nicht an anderen Personen ausagieren müssen, sondern sagen können: Ja, im Moment ist Spannung, im Moment gibt es keine Antwort. Bedingungslose Liebe heißt: Ich gestatte mir, dich voll zu erfahren, so wie du bist. Und übernehme die Verantwortung dafür, was das für mich bedeutet. Ich nehme die Intensität Augenblick für Augenblick und trenne mich dadurch nicht mehr weiter vom Leben.


Abb: © Jari Aherma – Fotolia

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