Gerade in der momentanen Zeit, die von zunehmender Haltlosigkeit und Vereinsamung geprägt ist, sind Liebesverbindungen tragende Säulen. Doch oft tragen genau diese Säulen nicht. Denn die wenigsten von uns haben gelernt, Liebe zu empfangen, auszudrücken und zu geben. Und vor allem nicht, sich selbst zu lieben, wie sie sind. Die Paar-Synthese, eine psychologisch-therapeutische Liebeslehre, kann den Grundstein für eine gelungene Beziehung legen – zu anderen und zu sich selbst.

von Ulla Holm-Cöllen

Lieben und geliebt werden – diese Sehnsucht ist uns Menschen in die Wiege gelegt. Die „Kunst des Liebens“ müssen wir allerdings erst lernen. Viele Paarbeziehungen scheitern – in den Großstädten über 50 Prozent. „Sie wollen sich lieben und wissen nicht wie“, hat ein kluger Mann gesagt. Denn niemand lehrt uns, wie Liebesbeziehungen auf Dauer nachhaltig gestaltet werden können. Im tiefsten Inneren hat wohl jeder Mensch das Bedürfnis, in der Liebe nichts tun zu müssen – einfach so geliebt zu werden, wie man nun einmal geworden ist. Aber: Welch eine Liebende, welch ein Liebender ich geworden bin, ist geprägt von allen vorigen Liebesbeziehungen, vor allem von denen zu Mutter und Vater. Was habe ich von den Eltern über die Liebe gelernt? Wie haben sie mich geliebt und auch meine Geschwister? Gab es eine Sprache für die Liebe, für die Sehnsucht des Herzens? Gab es liebevolle Gesten? Gab es eine Streitkultur?

Oft gab es das nicht oder nur ansatzweise. Oft wussten doch die Eltern auch nicht mehr von der Kunst des Liebens – wer hätte sie diese auch lehren können? Es sind in unserem Kulturkreis wohl nur wenige Glückliche, die von ihren Eltern eine Liebeskompetenz mitbekommen haben, bei den meisten war es wohl eher das Gegenteil. So tragen die Liebenden und Streitenden – oft unbewusst – seelische Verletzungen mit sich herum und kollidieren damit dann in der Paarbeziehung mit dem Gegenüber.

Von der Verliebtheit zur Entfremdung

Werden wir Menschen in unseren frühen Kinderimpulsen nicht angemessen gespiegelt und in unseren Bedürfnissen gesehen, beginnen wir, um diesen Schmerz nicht länger ertragen zu müssen, uns anzupassen, uns eine Maske zuzulegen, mit der wir hoffen, mehr Zuwendung zu bekommen.

Die Entwicklung unserer Liebesfähigkeit wird dadurch allerdings negativ beeinflusst, denn schon hier beginnen wir, uns selbst abzulehnen und zu verbiegen. Doch wir bemerken das nicht: Die erfahrenen Verletzungen kapseln sich ab, beginnen ihr Dasein im Schattenreich unserer Seele und blockieren immer wieder unsere bewussten Absichten. Besonders zeigt sich dies in Paarbeziehungen. Wir Menschen streben zum Glück nach Ganzheit und Verwirklichung, nach Ausgewogenheit der Kräfte in uns. Wir verlieben uns intuitiv gerade in den Partner, der ein Versprechen zu sein scheint, uns das geben zu können, was wir so dringend brauchen, was wir als Kinder entbehrt haben und was nicht geheilt ist in uns. Der enthusiastische Flow der Verliebtheit versiegt jedoch nach einiger Zeit, und in den Alltag schleichen sich Ernüchterung und Enttäuschung ein.

Die Partnerin ist doch nicht in der Lage, unsere Verletzungen zu heilen. Im Gegenteil drückt sie sogar die alten Knöpfe und aktiviert alte Pein. Gefühle des Verlassenseins, des Unverstandenseins, des Zorns und der Kränkung stellen sich ein. Das tut weh, macht bitter – also doch nicht die richtige Partnerin? Besser nach jemand anderem suchen? Eine – offene wie auch verdeckte – Anklage gegenüber dem Partner beginnt. Die Entfremdung hat unterschiedliche Gesichter und geschieht manchmal leise und schleichend. Das Paar blockiert sich gegenseitig in seiner Entwicklung. So kommen Paare oft in die Beratung oder Therapie.

Der Mut, sich zu begegnen

Die gute Botschaft: In der Liebesbeziehung ist tatsächlich Heilung auch der alten, mitgebrachten Wunden möglich. Gerade die sogenannten Fehler der/s anderen fordern uns zur eigenen Entwicklung heraus. Aber nur dann, wenn beide Partner immer wieder neu den Mut aufbringen, sich zu begegnen und herauszufordern auf der Ebene von Körper, Geist und Seele. Dafür braucht es allerdings ein Wissen um die Liebe, und dieses Wissen ist uns nicht in den Schoß gelegt, wir müssen – und können es auch – erwerben. Ja, es will errungen sein! Doch es braucht Mut, sich gegenseitig mit den eigenen Blockaden und Defiziten zu zeigen. Es braucht Mut, für die zugefügten Wunden um Verzeihung zu bitten und Verzeihung zu gewähren. Wir sind aufgefordert, daran zu denken, dass eine dauerhafte Liebe eine Kunst ist und voraussetzt, eine Liebeskultur zu entwickeln. In diese Liebeskultur sind eine Streitkultur und eine erotische Kultur eingeschlossen.

Es ist zudem wichtig für Paare, eine Antwort auf die Sinn-Frage zu finden: Wozu hat das Leben dich mir gegeben? Was habe ich zu lernen durch dich? Paare darin zu unterstützen, eine Kultur der Liebe zu entwickeln, ist Hauptanliegen der Paar-Synthese. Sie ist in ihrem methodischen Vorgehen Therapie, Pfad und Übungssystem zugleich. Jedes Paar bekommt auf diesem Weg ein machtvolles Werkzeug an die Hand, mit dem es sich übend sowohl in tiefenpsychologischer, dialogischer als auch spiritueller Dimension entwickeln und helfen kann – und zwar lebenslang. So bleibt die Liebe lebendig

Austausch von Körper, Geist und Seele

Ein SEIN-Interview mit Ulla Holm-Cöllen über die Grundlagen der Paar-Synthese

Was würdest du als den zentralen Aspekt einer gelungenen Liebesbeziehung bezeichnen?

Liebe beruht auf Austausch von Körper, Geist und Seele zwischen zwei Menschen – und nicht auf Ausbeutung. Austauschen aber heißt: Geben und Nehmen, Hingabe und Abgrenzung, Gemeinsamkeiten ausbauen, trotzdem Gegensätzliches austragen. Es geht darum, Harmonie zu schaffen ebenso wie eine „Streitkultur“ – denn das eine ist ohne das andere nicht möglich. Autonomie und Bindung sind beide nötig für eine gelingende Liebesbeziehung.

Und wie kann das die Paar-Synthese unterstützen?

In der Tradition der Humanistischen Psychologie verankert, geht die Paar-Synthese als psychologische Methode und paartherapeutisches Verfahren drei Wege:
1. die Bearbeitung von Partnerkrisen durch Ablösung von den biographisch entstandenen Altlasten der „verletzten Kinder“ in uns und ihren paardynamischen Kränkungsmustern (also ein tiefenpsychologischer Ansatz)
2. die schöpferisch-sinnliche Entfaltung der im Paar angelegten Liebespotenziale durch den vertieften intimen Dialog, also Dialog-Therapie. Manche Paare schreiben zum Beispiel das erste Mal seit vielen Jahren einen Liebesbrief. Oder sie schreiben einander über ‚das Gute in Dir‘, trotz vorhandener Konflikte.
3. die gemeinsame Sinn- und Werte- Findung des Paares zur bewussten Gestaltung von Liebesglück und zur Erfüllung menschlicher Sinnsuche. Hier geht es um die Spiritualität des Paares. Oft haben Paare den Sinn ihrer Beziehung verloren, verkantet in Kränkung und Streit. Oder ihnen ist nicht wirklich klar, dass jeder Quadratzentimeter Haut beseelt ist (Wenn ich dich berühre, berühre ich auch immer deine Seele).

Was braucht es, um sich all dem zu stellen?

Vor allem Mut. Es kostet die Paare und auch deren Therapeut*innen Mut, in die lebensgeschichtlich geformten Blockaden und Nöte des verletzten Kindes hineinzutauchen. Die Kränkungsmuster zu erforschen, die in der Paarbeziehung so virulent aufbrechen. Es kostet Mut, sich der Partnerin, dem Partner zu öffnen mit dunklen Seiten, Verletzungen, Abwehrund Widerstandsmustern. Es kostet die Therapeut*innen Mut, die Paare dabei zu begleiten, sinnvoll zu stützen, zu schützen, aber auch sinnvoll herauszufordern und zu konfrontieren.

Wie sieht das konkret aus?

Um den Austausch von Gefühlserleben in den drei Ebenen des Menschseins von Körper, Geist und Seele möglich zu machen, braucht es qualitative Paar-Zeit. Gefühle müssen wie Energie aufgebaut bzw. angewärmt werden; sie brauchen Nahrung und sie brauchen Zeit zum Ausklingen. Verschiedene Qualitäten von Zeit sind dazu nötig: Intensivzeit füreinander, Parallelzeit der Partner (Eigenzeit für jeden), Traumzeit (mal träumen, auf einer Wiese oder am Fluss – mal jeder für sich, mal gemeinsam) usw. Verena Kast spricht vom Zeitnotstand vieler Paare. Ich würde es so formulieren: Liebe schenken heißt vor allem Zeit schenken. Nicht müde von der Arbeit zur Liebe heim kommen, sondern müde von der Liebe zur Arbeit gehen. Die Liebe gibt uns Menschen Kraft, auch dafür, mal müde zur Arbeit zu gehen, weil wir miteinander Liebeszeit verbracht haben mit Worten, Gesten und Kosen.

Ab 2023 wird in Berlin eine Fachfortbildung in Paar-Synthese starten mit den Begründern der Paar-Synthese Michael Cöllen undUlla Holm-Cöllen. Information und Literatur:
www.Paar-Synthese.de
info@michaelcoellen.de
info@ullaholm.de 

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