Durch Yoga in Gemeinschaft kann man aus Angst und Corona-Lethargie herauskommen…

von Birge Funke

Die Kinder machen es uns vor. Sie kehren zurück in ihre alten Routinen: Schule, Sport und Hobbys am Nachmittag. Das alles meistens in Gesellschaft, in Gemeinschaft. Den Kindern in meinen Yogakursen geht es schon wieder relativ gut. Einige haben es während des Lockdowns allerdings nicht geschafft, an Online-Angeboten teilzunehmen – sie berichteten von absoluter Antriebslosigkeit. Das ist schlimm und traurig, wenn man diese sonst so begeisterten und lebensbejahenden Kids und Teens kennt. Umso mehr freue ich mich, dass sich die meisten von ihnen anscheinend recht schnell wieder von der Corona-Lethargie erholen. Die Eltern dieser Kinder scheinen allerdings noch immer in Schockstarre verfallen zu sein, auch wenn die Corona Situation nun doch wirklich entspannter aussieht. (Ich betreibe in Berlin die Bamboo-Yoga-Studios. Diesen Artikel schreibe ich Anfang September 2021 – 3 G ist gerade aktuell, ggf. kommt 2 G auf uns zu.)

Die Erwachsenen tun sich schwer damit, ihre alten Yoga-Rituale und -Routinen wieder aufzunehmen, obwohl sie ja wissen, dass das wichtig ist – nicht nur für die physische Gesundheit, sondern auch für die Psyche und das Lebensgefühl. Sonst würden sie uns ihre Kids ja nicht anvertrauen. Menschen, die immer sehr froh waren, unsere Yogakurse zu besuchen, und die unsere Yogakurse glücklicher, zufriedener und mit einem entspannten Lächeln verließen, sitzen nach wie vor zu Hause und finden den Antrieb nicht, wieder loszulegen – obwohl es nun schon seit über vier Monaten wieder möglich ist, an Präsenzkursen mit Abstandsregeln, Lüften und Tests teilzunehmen.

Yoga online – eine gute Alternative?

Klar, Yoga kann man auch zu Hause praktizieren. Wenn ich online übe, muss ich mir vorher nicht mal die Zähne putzen. Die Matte liegt noch da von gestern und ich muss nirgendwo hinfahren. Wenn ich online live mitmache, fühlt sich da also vieles bequemer an, allerdings – so berichten es die, die zu Präsenzkursen kommen – auch nicht so erfüllend. Und wenn ich bei bereits aufgezeichneten Yogavideos mitmache, kann ich die Praxis sogar auf später am Abend verschieben… oder auf morgen… oder übermorgen… Korrigiert werde ich dann natürlich nicht und ein Gespräch tut sich auch nicht auf. Der Punkt ist aber: Der beste Lehrer nützt nichts, wenn er dich nicht korrigieren kann. So bequem das ist, das Haus nicht verlassen zu müssen – bei vielen von uns haben sich womöglich, wenn auch nur kleine, Unkorrektheiten im Ausführen der Asanas eingeschlichen, auf die uns nur eine Lehrkraft vor Ort aufmerksam machen kann. Zu Hause haben wir auch keinen Abstand von unserem Alltag, dem homeoffice, den Staubflocken unterm Bett, die wir während der Umkehrhaltung entdecken. Und wer schafft es es schon, die Tür wirklich hinter sich zu schließen, wenn im Nebenzimmer die Familie rotiert. In Gesprächen merke ich: Das geht nicht nur mir so!

Den Blick auf das Positive richten

Als Lehrerin bei Bamboo Yoga sage ich meinen Schülern, wenn sie in Shavasana, der Endentspannung, liegen, dass wir einem möglichen negativen Gedanken, der den Geist bewegt, jeweils einen positiven entgegensetzen können. In der Pandemie konnten wir uns dann also sagen: „Toll, dass wir uns wenigstens online begegnen dürfen“ und „super, dieses ,Coocooning‘ – es ist so sicher“ und „irgendwie fühlt sich ein Leben im Lockdown nach Entschleunigung an, ich komme mal wieder dazu, den Keller zu entrümpeln…“ Wir machen also das Beste draus und nutzen mit yogischem Gleichmut die besonderen Anforderungen der Zeit für die innere Einkehr. Online-Unterricht hat es uns ermöglicht, Begegnungen immerhin zu simulieren. Nicht mehr und nicht weniger, aber immerhin.

Psychische und physische Folgen der Pandemie

Die Schutzmaßnahmen, die wir alle für die körperliche Gesundheit der Gemeinschaft einhalten mussten, stellen sich für seelische Leiden mitunter als Brandbeschleuniger heraus. Ärzte und Psychologen beklagen einen großen Andrang wegen psychischer Probleme. Die Universität Göttingen schreibt auf ihrer Webseite in dem Artikel „Wie Corona die Psyche belastet“ u.a.: „Während Emotionen wie Angst und Furcht, Desorientierung, Traurigkeit, Wut oder Ärger zunächst adäquate Reaktionen auf eine abnorme Situation darstellen, kann der anhaltende Ausnahmezustand bei Menschen mit psychischen Vorbelastungen intensiver wahrgenommen werden und infolgedessen zu einer Symptomverschlechterung führen. Hierbei entwickelt sich insbesondere der Kontrollverlust und das Gefühl des Ausgeliefertseins zu einer Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit. Bei fehlenden Bewältigungsressourcen besteht ein erhöhtes Risiko, in eine Depression zu verfallen.“

Als Hauptsymptome werden dort aufgeführt:
· Interessen- oder Freudlosigkeit: Aktivitäten und Interessen, die mit Freude verbunden wurden, werden vernachlässigt und verlieren an Bedeutung.
· Hobbys, der Beruf, Freizeitaktivitäten oder gemeinsame Unternehmungen mit der Familie oder dem Freundeskreis bereiten keinen Spaß mehr.
· Antriebsmangel bzw. erhöhte Ermüdbarkeit: Im Rahmen einer Depression ist der Antrieb häufig reduziert, d.h. Betroffene können sich nur schwer motivieren. Erledigungen alltäglicher Art wie Einkaufen, Aufräumen etc. erfordern große Überwindung und können schnell zur Ermüdung führen und teilweise nicht bewältigt werden.

Verbindung, Routinen, Gleichklang, Einstimmung… alle diese Dinge haben unter Corona stark gelitten. So glühten die Netflix- Kanäle, der Weg zum Kühlschrank scheint schon ausgetreten, der Hüftspeck wuchs (während Corona sollen die Deutschen im Durchschnitt mehr als fünf Kilogramm zugenommen haben) und Yoga wurde – wenn überhaupt noch – online im eigenen Zimmer gemacht in dem Raum, in dem man auch aß und arbeitete.

Hilf dir selbst! – die Initialzündung

Sucht man im Internet nach Hilfe und Wege aus der Angst, werden Routinen, regelmäßige Rhythmen, wiederkehrende Termine empfohlen. Für „psychische Gesundheit in der Coronazeit“ rät die Website „infektionschutz.de“ u.a. zu folgenden Maßnahmen:
– den Tag strukturieren
– für sich selbst gut sorgen
– Kontakte pflegen trotz Abstandhalten

Weiter steht dort: „Geben Sie den Tagen und der Woche die Struktur, planen Sie also ihre Aktivitäten für die nächsten Tage“…“ erstellen Sie eine Liste von dem, was Sie alles tun möchten“…“planen Sie Aktivitäten und Gewohnheiten, die Sie gerne machen, in ihren Tagesablauf ein“.. „sorgen Sie für ausreichend Schlaf und regelmäßige Bewegung“…“gehen Sie raus an die frische Luft“…“pflegen Sie Ihre Kontakte“…“motivieren Sie sich gegenseitig“.

„Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.“ Konfuzius

Wie kannst du anderen helfen?

Wenn du das Glück hast, die Corona-Krise bis jetzt psychisch einigermaßen gut überstanden zu haben, dann nimm deine Mitmenschen, denen es nicht so gut geht, an die Hand. Hilf, sie zu begeistern, sie mitzunehmen, ihnen zu zeigen, wie schön es sein kann, wieder mit anderen zusammen etwas zu unternehmen, Sport oder Yoga zu machen – oft ist der erste und beste Weg die Bewegung in der Natur. Einfaches Spazierengehen bewirkt häufig schon eine Verbesserung der Beschwerden oder Mangelgefühle und verhilft vielleicht dazu, auch den nächsten Schritt zu gehen (auch im Ayurveda wird dazu geraten).

Warum zusammen?

Der Mensch ist ein Wesen, das Kohärenz braucht, Gleichklang, Gleichschwingung (nach einem Vortrag vom Prof. Dr. Gerald Hüther „Der Anteil des Singens an der Menschwerdung des Affen“ https://www.youtube.com/watch?v=3JGTpEw6Uas). Jeder möchte ein wichtiges und nützliches Mitglied der Gemeinschaft sein (nach Alfred Adler, Gründer der Individualpsychologie). Nur in Verbindung und Gemeinschaft mit anderen können wir wirklich Erfüllung finden.

Wer sich also weiterhin in sein Online- Schneckenhaus zurückzieht, erhält keine körperliche Nähe und keinen echten Austausch, denn der entsteht durch Einklang, durch eine gute Stimmung. Er verliert den gesunden Blick nach innen, die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen, wird getrübt, weil auch der Spiegel, die Resonanz der anderen, fehlt. Ein Mensch, der glaubt, zu Hause sei alles besser und leichter, täuscht sich – vielleicht funktioniert das für einen gewissen Zeitraum, schafft mal eine Phase der Veränderung, der inneren Einkehr, aber ohne Reflexion kann das – diese These stelle ich auf – nicht gut gehen, denn es entspricht nicht der Natur des Menschen, der seit jeher in Gemeinschaft lebt, der mit anderen singt, lacht, tanzt, Feste feiert, sich streitet, diskutiert, im Wettkampf steht, sich berührt, ob mit Worten oder mit dem Körper.

Sich selber wieder spüren können

Sich zu spüren, sich zu verstehen, zu wissen, was einem wirklich gut tut – diese Fähigkeiten verkümmern in der gegenwärtigen Krise. So scheint das Glas Wein am Abend besser für die Entspannung geeignet als die Yogapraxis oder eine Atemübung, eine kleine Meditation oder ein Spaziergang. Ayurveda bezeichnet diesen Irrweg als „Leben im Adhamra“ – das ist das Gegenteil von Dharma (Quelle: https://wiki.yoga-vidya.de/Adharma) – das Leben nach der eigenen Bestimmung. Ich nenne es auch gern Leidenschaft, Talent – im Ayurveda einer der fünf großen Säulen der Gesundheit.

Wie kann Yoga helfen?

Dies ist ein Appell zurück zum Mut und zur Zuversicht: Tu dir etwas Gutes und wage wieder Yoga in Gemeinschaft. Yoga wirkt von außen nach innen. Eine simple Position wie der Baum schafft nicht nur Gleichgewicht im Körper, sie bringt auch die Emotionen, die Seele ins Lot. Der brüllende Löwe hilft dir, Ängste loszulassen, ein Sonnengruß schenkt dir die Kraft und das schöne Gefühl, den Körper wieder spüren zu können… Und auch wenn Yoga nicht unbedingt sehr viele Kalorien verbrennt, so verhilft es dir zu einem besseren Umgang mit Lebensmitteln und zu maßvollem Essen, weil das Frustessen weniger wird, zu mehr Ruhe beim Essen, was dein Sättigungsgefühl positiv beeinflusst, zu bewussterem Essen, was die Qualität der Nahrungsaufnahme erhöht. Nicht zu vergessen: Gesundheitliche Sorgen und existentielle Nöte rauben uns den Schlaf. Yoga kann nachweislich zu einer gesunden Nachtruhe beitragen, und eine regelmäßige Praxis kann den Cortisolspiegel (Cortisol ist ein Stresshormon) senken! Und im Yogasutra steht:“Ein Mensch, der Asanas richtig übt, kann auch durch extreme äußere Einflüsse nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden.“ Aus Sicht der Yogaphilosophie sollten wir Tamas überwinden und Sattva wieder die Führung übergeben! Tamas, eine der drei Gunas, der drei in der yogischen Philosophie beschriebenen „Qualitäten“ oder „Eigenschaften“, steht für Lethargie, Dunkelheit, Schwere. Dem entgegen steht Rajas, das Gegenteil: Aktivität, Unruhe, Getriebenheit. Sattva hingegen ist das Guna der goldenen Mitte. Vollkommenheit, Reinheit, Klarheit, Ausgewogenheit, innere Ruhe, Ausgeglichenheit, Gelassenheit, Harmonie, oder auch ein „In-der-eigenen-Mitte-Sein“.

Vielleicht ist unser Tamas auch längst von Rajas abgelöst worden. „Ich habe so viel zu tun“, „ich komme gar nicht zum Yoga“… Eifrige Geschäftigkeit, blinder Aktionismus. Alles nachholen, was während der Lockdowns liegengeblieben ist. „Kontemplative Yogapraxis? Kommt später: viel zu tun….“. Beide Gunas der Extreme haben ihre Berechtigung, muss doch unsere Mitte, unsere Balance jederzeit immer wieder neu ausgelotet werden! Insbesondere in ungewöhnlichen Zeiten wie diesen. Geben wir Sattva also wieder den Vorrang! Und das funktioniert am besten mit einer kontinuierlichen Yogapraxis. Yoga schenkt dir Kraft und gibt dir Struktur. Mit einer regelmäßigen Yogapraxis verbesserst du deine Konzentrationsfähigkeit und deine Ausdauer sowie deine Laune, die gefühlte Belastung wird geringer. „In der Ruhe liegt die Kraft“ – dieses Sprichwort, das wissen wir wohl alle, ist so wahr. Bei bamboo werden wir bis zum Ende der Infektionsgefahr weiterhin online-Stunden anbieten – für die, die noch Sorge vor Ansteckung haben, und natürlich, falls 2 G eintritt, damit auch Ungeimpfte weiterhin Yoga praktizieren können. Damit haben wir zwar für unsere SchülerInnen eine Ergänzung etabliert, aber sicher keinen Ersatz! Begegnungen online sind nur eine Simulation des echten Zusammenseins. Die Energie, die wir alle so lange vermisst haben, entsteht nur gemeinsam.

Ausbildungen online – eine gute Alternative?

Absolviert man eine Yogalehrerausbildung online, können sicher ein paar Dinge gut vermittelt werden: Anatomie, Yogaphilosohie, die Wirkungen der Asanas etc… Theorie halt. Aber was komplett auf der Strecke bleibt, ist das Hineinspüren, das Erlebnis, den Klang eines Mantras und seine Wirkung, wenn es zusammen mit einer Gruppe getönt wird, wahrzunehmen, die Durchführung von Korrekturen, zu erfahren, wie Menschen auf Ansagen reagieren. Wir von bamboo yoga halten eine reine Online-Ausbildung für nicht ausreichend – ich persönlich möchte nicht von einer Lehrkraft korrigiert werden, für die ich das erste Übungsobjekt bin. Pattabhi Jois (1915-2009) – einer der großen Gurus der Yogaszene – sagt dazu: „Yoga ist zu 99 % Praxis und zu 1 % Theorie!“

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*