Yoga und Spiritualität haben etwas miteinander zu tun. Die ersten Yoga-Bilder, die im Westen auftauchten, waren die von Yogis mit asketischem Körper in indisch anmutenden Gewändern, die in körperlicher Verknotung spirituelle Erbauung suchten. Heute ist Yoga in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen und steht nicht mehr primär für einen spirituellen Weg, sondern ist Abbild eines gesunden und hippen Lebensstils. Topmodels ebenso wie Hollywood-Stars präsentieren daher gerne – die gerollte Yogamatte unterm Arm – bauchfrei und in hautengen Leggings ihre perfektionierten Körper. Was ist übrig geblieben von der ursprünglichen Tradition? Und wie sollten Yogalehrer die Kernideen des Yoga vermitteln, ohne zu überfordern oder zu langweilen?

von Birge Funke (Co-Autorin Kirsten Richter)

Der Begriff „Yoga“ muss mittlerweile für so einiges herhalten. Auf Instagram finden wir Yoga-Tipps, bei denen sich erfahrenen LehrerInnen die Haare sträuben – da gibt es Sequenzen mit Titeln wie „gegen Rückenschmerzen“, in denen Pflug (belastet Hals- und Lendenwirbelsäule) und Taube (belastet Lendenwirbelsäule und Iliosakralgelenk) empfohlen werden, oder auch Übungen gegen Kopfschmerzen mit 80 Prozent Umkehrhaltungen, die nur bei sehr wenigen Menschen Kopfschmerzen lindern, sie aber bei den meisten verstärken. Aber dafür ist das Outfit meistens der letzte Schrei. Das zeigt sich deutlich, wenn Yogamode mit Sätzen wie „Wer will denn schon mit der alten Jogginghose auf die Matte?“ beworben wird. Dass Yoga sexy ist, wissen mittlerweile auch Computerhersteller, die ihren Laptop dann „Yoga“ nennen, oder clevere Softwareunternehmen, die ihrem Programm den Namen „Asana“ verpasst haben und damit bei der Googlesuche des Wortes „Asana“ an erster Stelle erscheinen. Ja, früher war Yoga für viele Eso-Kram, heute füllen damit jede Menge Angestellte im Start-up-Unternehmen ihre Mittagspause.

Hatha Yoga und seine „Kinder“

Hatha Yoga ist einer der sechs großen Yogawege, die alle ein Ziel haben: die Erleuchtung und die Verbindung von Yoga und Spiritualität (erkennen, dass alles eins ist, und das Leben danach ausrichten). Im Hatha Yoga wird dies durch Körperübungen, Atmung und Meditation angestrebt. Diese Form ist wohl am bekanntesten und wird im Westen am häufigsten praktiziert. Millionen Menschen machen mit, Milliarden Euros, Dollar, Yen… werden damit umgesetzt. Die meisten neuen Stile sind Variationen des Hatha Yoga, indem ein oder mehrere Elemente verändert oder vorhandene Sequenzen neu zusammengefügt wurden. Beim Hot Yoga beispielsweise hat ein geschäftstüchtiger Yogi 26 Asanas des Hatha Yoga genommen, zu einer Reihe zusammengefügt und lässt sie in Räumen praktizieren, die auf 39 Grad erhitzt sind. Das Ganze wird mit einem ® versehen und ist dann ein neuer Stil, den viele Menschen schätzen und an dem einer sehr viel Geld verdient.

Vinyasa – auch eine Form des Hatha, aber fließender praktiziert – zieht eher Menschen an, die körperlich kaum oder gar keine Einschränkungen haben. Durchschnittlich sind diese Yogis nach unserer Erfahrung jünger als der Durchschnitt der Bevölkerung. Um dem Wunsch nachzukommen, diesen sportlich orientierten Menschen auch ein möglichst „sportives“ und „modernes“ Yoga anzubieten und viel „Action“ in ihren Stunden unterzubringen, gehen einige YogalehrerInnen und Yogaschulen leider oft einen ungesunden Kompromiss ein. So ist eine stehende Vorwärtsbeuge als Aufwärmung für fast jeden – besonders aber für Menschen, die eh schon Probleme mit dem Rücken haben – auf Dauer nicht gesund. Das geht viele Male gut, bis der Körper „Aua“ sagt und streikt. Bei einer Verletzung heißt es dann, Yoga sei eben doch nicht so gesund. Klar, das sieht so aus, wenn man die wichtigsten Regeln missachtet, und das ist schade, weil es Menschen gibt, die sich dann komplett vom Yoga verabschieden. Dabei ist Yoga und Spiritualität eine so wunderbare Form der Bewegung, der Innenschau und der Gesunderhaltung von Körper, Geist und Seele, die bis ins hohe Alter praktiziert werden kann. Unsere ältesten Yogis sind 82 und 83 Jahre alt – da geht natürlich nicht mehr alles, aber doch noch vieles!

Kompromisse versus Optimum

Eine originale Hatha-Yoga-Einheit dauert, so habe ich es gelernt, 90 Minuten. Zu den Eckpfeilern gehören Atemübungen und -techniken (Pranayama), Tiefenentspannung (Shavasana) und Meditation genauso wie aufwärmende Sequenzen und die typischen Yogahaltungen (Asanas). Häufig wird der Sonnengruß praktiziert – mit oder ohne Variationen. Das alles ist energetisch sinnvoll aufgebaut, so lehren wir es auch in unserer Ausbildung. Da wir Studiobetreiber eine möglichst hohe Auslastung unser Klassen anstreben – schließlich müssen wir ja Miete, Personalkosten und unseren Lebensunterhalt damit verdienen – und weil viele TeilnehmerInnen auch nicht die Zeit haben, gehen viele von uns Kompromisse ein: So dauern etliche Yogaklassen in Berlin nur noch 75 Minuten, was häufig dazu führt, dass entweder die Atemübungen, das Aufwärmen oder die Endentspannung zu kurz kommen. Das passiert, weil die meisten Yogis auf die volle Zeit der körperlichen Übungen nicht verzichten wollen. “Richtig schwitzen“ ist für viele Teilnehmer wichtiger als „richtig atmen“ – nur sehr erfahrene Yogis bekommen all das innerhalb von 75 Minuten unter einen Hut und bleiben dabei gesund und entspannt. So kommt es, dass wir den Stress des Alltags – höher, schneller, weiter – mit in die Yogastunde nehmen und dort auch noch etablieren. Wäre es nicht schöner, in dieser Zeit, die man sich genommen und selbst zum Geschenk gemacht hat, mal wirklich zur Ruhe zu kommen und keine Höchstleistung erbringen zu müssen und die Verbindung von Yoga und Spiritualität zu feiern…?

Was ist überhaupt der „klassische“ Stil?

„Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedankenwellen im Geist“ heißt ein Vers aus dem Yogasutra, den wahrscheinlich jeder ernsthaft interessierte Aspirant schon einmal gehört hat. Nach dieser Idee geht es bei den Körperübungen also nicht in erster Linie um Gesundheit um der Gesundheit willen und schon gar nicht um hippe Instafotos, sondern eher darum, dass ein gesunder Körper die beste Voraussetzung für lange Meditations-Sessions im Meditationssitz ist. Gut, damit lockt man kaum mehr jemanden zum Yoga. Die meisten Anfänger kommen wegen Rückenbeschwerden und einem hohen Bedürfnis nach Entspannung. Yoga ist hier ein großartiges Werkzeug auf dem Weg innerer und äußerer Heilung und auch als Verbindung zwischen Yoga und Spiritualität. Uns als LehrerInnen sollte immer wieder bewusst sein, dass wir eine große Verantwortung haben: den TeilnehmerInnen, aber auch dem Yoga gegenüber. Ich darf als LehrerIn einen guten Mittelweg finden zwischen Verkaufsargument (denn wir müssen – wie gesagt – mit dem Unterrichten unser Geld verdienen, und nur so können wir auf Dauer Yoga anbieten) und Substanz, denn wenn sich der Yoga in oberflächlichen Turnstunden verwässert, wird in zwanzig Jahren keiner mehr wissen, warum dieses Yoga-Ding eigentlich mal so beliebt war – einfach, weil dann nichts mehr von der Tiefe, die diese wundervolle Lehre mit sich bringt, übrig ist.

Entspannter Umgang

Wie viel Anpassung an heutige Bedürfnisse kann Yoga also vertragen und doch im Kern das bleiben, wofür es einmal konzipiert wurde? Keine Angst, liebe YogalehrerInnen: Zitiert Patanjali, singt Mantren. Die einen werden es lieben, die anderen, denen das eher fremd ist, kommen trotzdem wieder. Wir wissen: Das Niyama* „santosha“ bedeutet, davon auszugehen, dass all das, was geschieht, richtig ist, um daran zu wachsen. Das gilt für mich und die, die um mich sind. So mag gerade derjenige, auf dessen Shirt „get the yoga- butt“ (Holen Sie sich den – knackigen – Yoga-Hintern) prangt (was der ein oder andere vielleicht peinlich findet), der Erste sein, der die Bewegungen seines Geistes zur Ruhe bringt. Und lasst uns immer daran denken, dass die meisten Menschen ganz normale Körper mit Einschränkungen hier und da haben, dass die Kondition oft nicht besonders gut ist und die Fähigkeit, Signale des Körpers zu verstehen und dann auch noch zu beachten, oft wenig ausgeprägt ist.

Für mich ist darum wichtig: fordern, aber nicht überfordern und achtsam bleiben beim Unterrichten. Was sich für mich auch noch als zentral herausgestellt hat, ist in der Sprache der TeilnehmerInnen zu reden und Sanskrit-Begriffe nur zusätzlich, aber nicht hauptsächlich zu benutzen. Ich biete auch alternative Ausführungen einzelner Haltungen/Übungen an für diejenigen, die sich mal mehr, mal weniger herausfordern wollen oder können, und mache dabei darauf aufmerksam, dass nicht jeder Tag gleich ist. Ich ermuntere dazu, dies zu erspüren, und weise hin und wieder auf die Atembeobachtung hin. So werden mit der Zeit Grenzen ganz intuitiv wahrgenommen. Wenn wir dann noch gelegentlich darauf hinweisen, welche Bewegungen die Wirbelsäule kann und gerne macht, formulieren wir positiv und müssen nichts „verbieten“. Im Fach „Unterrichtstechniken“ vermitteln wir diese Art des Lehrens und auch die Verbindung von Yoga und Spiritualität auch an unsere TeilnehmerInnen der Ausbildungen.

Yoga und Spiritualität

Liebe Yoga-Praktizierende: „Yoga ist eine Verabredung mit dir selbst, dein Atem sagt dir, ob du zu Hause bist.“ Patanjali empfiehlt im Yogasutra die Entwicklung von Maitri Bhava. Das bedeutet: liebevolle Güte. Entwickle diese Eigenschaft für dich selbst! Sag deinem Yogalehrer, wenn es dir nicht gut geht, wenn du Einschränkungen oder Krankheiten hast, damit er/ sie gut auf dich eingehen und reagieren kann. Sag das auch beim nächsten und übernächsten Mal, weil sich die LehrerInnen nicht alles merken können (ist zumindest bei mir so). Gehe in Kurse, in denen du vom Lehrer noch gesehen wirst. Natürlich kann man sich auf der Matte verletzen, aber nicht beim Yoga, höchstens beim Übertreiben. Denn Yoga bedeutet, achtsam Tag für Tag neu zu erspüren, was dein Körper heute braucht – das kann kein Lehrer und keine Lehrerin wissen! Entwickle die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen einem Ziehen in der Dehnung (okay) und einem stechenden Schmerz (Aufhören! Jetzt!). Lass dich also niemals in Haltungen zwängen, die sich nicht gut anfühlen. Lass den Fitness-Tracker zu Hause und freue dich auf Shavasana. Oder wie es Sigmund Feuerabend, einer der ersten Wegbereiter des Yogas in Deutschland, sieht: „Yoga ist unendliches Nachgeben.“ Lasst uns also gemeinsam auf unsere Grenzen achten, in Vorsicht und Achtsamkeit praktizieren, lieber tief statt schnell praktizieren, damit wir uns nicht irgendwann mit schmerzverzerrtem Gesicht fragen müssen, ob das Räucherstäbchen und der tönerne Buddha in der Ecke jetzt der klägliche Rest einer wunderbaren Philosophie ist, die uns tausend Möglichkeiten angeboten hat, ein besseres Leben zu führen.

*Niyama ist die persönliche Disziplin, die Ethik im persönlichen Lebensstil (aus: https://wiki.yoga-vidya.de).

Co-Autorin: Kirsten Richter ist seit zehn Jahren Yogalehrerin bei bamboo yoga, gern auch in billiger Baumwollhose. Sie unterrichtet dort unter anderem sehbehinderte Frauen, außerdem Teens in der Jugendhilfe und gibt Privatunterricht zu Hause, im Park, im Büro… immer unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse.

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