Der letzte Winter war einer der schönsten meines Lebens. Noch nie bin ich so oft draußen in der Kälte schwimmen gewesen. Selbst im Sommer war ich nicht so viel draußen. Und als dann Anfang Februar diese epische Kältewelle über das Land hereinbrach und langsam alle Seen zufroren, wurde es richtig abenteuerlich: All diese wundervollen Effekte der Kälte für Körper und Immunsystem ließen sich beim Eisbaden nun mit einer weißen Winterlandschaft kombinieren – die Magie der inneren Biochemie entfaltete sich inmitten von Eis und Schnee…

von Illian Sagenschneider

Wann haben Sie das letzte Mal etwas gemacht, das Sie noch nie zuvor im Leben getan haben? Etwas wirklich Außergewöhnliches, Aufregendes? Mir wurde im Februar irgendwann klar, das ich ja gerade Dinge tue, die völlig neu für mich waren. Von Woche zu Woche konnte ich das Zufrieren der Berliner Seen buchstäblich hautnah und mittendrin erleben! Ich werde nie vergessen, wie unsere Schwimmgruppe zum ersten Mal am zugefrorenen Teufelssee stand. Zuerst Atemübungen und heißer Tee im Schnee. Dann ausziehen und mit Baseballschläger und Axt die feine Eisdecke im Uferbereich aufbrechen. Es war wie ein gewaltiges Kinderzimmer aus Eis und Wasser. Wie ein Elefant im Porzellanladen konnte ich mich austoben. Große Eisplatten zersplitterten nur so vor mir und langsam schwammen überall kleine leuchtend schimmernde Bruchstücke herum. Es macht soviel Spaß, mal Sachen zu zerschlagen! Und dabei passierte nix Schlimmes – ich habe ja nur etwas Wasser „kaputt“ gemacht.

Eisbaden macht glücklicher

Und dann bin ich in das Eiswasser abgetaucht. Die Töne dabei waren einfach sphärisch – als würde man durch ein gläsernes Klangspiel schwimmen. Zu dem magischen Klang kam das Glitzern der Eissplitter im Sonnenlicht. Es war für mich fast unglaublich, dass mein Körper sowas konnte! Am Seeufer fand sich immer mehr Publikum ein, das ungläubig diese Handvoll von Verrückten beobachtete, die dort inmitten der Eisplatten badeten. Ich habe mich wieder gefühlt wie ein kleiner Junge und die Zeit völlig vergessen. Unter Applaus verließen wir am Ende den See. Später wurde mir klar, dass ich fast zwanzig Minuten lang im Eiswasser herumgespielt hatte. Ein völlig unbeabsichtigter Rekord. Eingehüllt in Wolldecken machten wir uns auf den Weg zurück durch den Grunewald. Die fröhliche Stimmung, die wir alle hatten, war unbeschreiblich. Und dann diese wunderbar warme S-Bahn. Es war tatsächlich einer der schönsten Tage meines Lebens…

Stärkung der Abwehrkräfte

Natürlich reichen auch schon kurze Kälteimpulse draußen im Freien völlig aus, um diese großartigen Momente zu erleben, in denen der eigene Körper von Glückshormonen überflutet wird. Bereits im vorletzten Jahrhundert beschrieb der Pfarrer Sebastian Kneipp die heilenden Wirkungen von solchen Kälteanwendungen. Nachdem er sich selbst von einer schweren Lungenerkrankung im Winter 1849 mit Bädern in der eiskalten Donau geheilt hatte, konnte er vielen Tausenden von Menschen mit seinen Erfahrungen weiterhelfen. Kälteimpulse machen uns nicht krank, sondern stärken uns und unser Immunsystem. Schon zehn Wochen regelmäßiges Kältetraining sorgt für einen Anstieg der weißen Blutkörperchen im Körper. Lymphozyten, Granulozyten und natürliche Killerzellen werden vermehrt gebildet. Das spezifische Immunsystem wird gestärkt und die Häufigkeit von Atemwegsinfektionen reduziert. Wenn das kein Vorteil in diesen Zeiten ist.

Entzündungshemmung durch Kälte

Eine gute Körperabwehr zeigt sich im komplexen Wechselspiel von angeborenem Immunsystem und spezifischer Immunantwort, die auf spezielle Erreger reagiert. Dieses Zusammenspiel wird durch Botenstoffe reguliert. Wichtig ist hier ein Gleichgewicht aus Stimulation auf der einen und Hemmung der Körperabwehr auf der anderen Seite. An dieser Stelle greifen übrigens Omega-3-Fettsäuren in das Geschehen ein und können ein zu stark in Richtung Entzündungsreaktionen agierendes Immunsystem wieder dämpfen (siehe SEIN 04/2021). Aber auch Kälteanwendungen können in diesem Bereich wieder eine Balance herstellen: Sie reduzieren nämlich Entzündungswerte. Bei Allergien, Autoimmunerkrankungen, Schuppenflechte, Neurodermitis, multipler Sklerose, Rheuma, Asthma, Fibromyalgie u.ä. sind solche Effekte erfahrungsgemäß hilfreich. Die Molekularbiologin Dr. Josephine Worseck beschreibt, dass diese Wirkungen vermutlich mit der entzündungshemmenden Eigenschaft des Hormons Noradrenalin zusammenhängen. Denn im Gegensatz zu unserem Stresshormon Kortisol, dessen Ausschüttung sich nach zwölf Wochen regelmäßigen Eisbadens verringert, wird Noradrenalin dauerhaft – auch nach wiederholten Kältereizen – weiter ausgeschüttet.

Kälte und aktives Vitamin D

Einen weiteren Ansatz, der die beachtlichen gesundheitlichen Erfolge von Kaltwasseranwendungen erklären könnte, bringt der Vitaminforscher Dr. von Helden ins Spiel: Er hat im Eigenversuch gemessen, dass kalte Wasseranwendungen zu einer verstärkten Aktivierung (plus 17 %) des Vitamin D führen. Bekannt ist, dass durch Sport vermehrt passives Vitamin D in aktives umgewandelt wird. Das aktive Vitamin D spielt in unserem Körper eine gewichtige und vielfältige Rolle: Es aktiviert ein breites Spektrum an Genen, so dass diese aus ihrem „Dornröschenschlaf“ erwachen und abgelesen werden können. Dadurch laufen wiederum bestimmte Körperprozesse stärker ausgeprägt ab. Weiße Blutkörperchen werden in Gang gesetzt. Aktives Vitamin D ist auch am Schutz vor Viren und an der Bereitstellung von Neurotransmittern beteiligt. Antibiotische Wirkungen werden durch aktives Vitamin D ebenfalls veranlasst und es spielt auch bei der Krebsabwehr eine wichtige Rolle. Generell werden hohe Spiegel an aktivem Vitamin D mit Langlebigkeit in Verbindung gebracht. Leider sind solche Reaktionen auf Kältereize bisher erstaunlicherweise wenig erforscht. Ich fände es sehr spannend, diese Beobachtungen in diesem Winter einmal zu überprüfen und solche Vorgänge vor und nach dem Eisbaden genauer zu untersuchen. Doch ganz unabhängig davon, welche biochemischen Erklärungsmuster nun die Richtigen sind – an den heilsamen Effekten von kaltem Wasser, mit denen Sebastian Kneipp schon vor 170 Jahren Menschen helfen konnte, ändert das nichts.

Abenteuer Eismeditation

Am Ende kommt es immer nur darauf an, ob wir den buchstäblichen Sprung ins kalte Wasser nun wagen oder nicht. Ich weiß nicht, ob Verstand und Fachwissen hierbei helfen oder uns eher im Weg stehen. Die Frage ist letztlich, ob wir Lust haben auf ein sinnliches Abenteuer. Ob wir etwas völlig Neues erleben möchten. Nichts hilft so sehr, aus der gewohnten Alltags- Routine auszubrechen wie Eisbaden. Es ist eine Methode, die in kürzester Zeit zu großen Veränderungen führt. Kaum etwas hilft beispielsweise so sehr beim gedankenlosen Verweilen im Moment (Meditation) wie das kalte Wasser eines Sees nahe des Gefrierpunkts. Es ist dann so viel leichter, Stress und Sorgen einfach loszulassen. In solchen Momenten zählt nur noch das „Hier und Jetzt” – alles andere wird unwichtig. Unser Körper ist dafür gemacht, in der freien Natur und der Wildnis zu überleben. Die gewaltigen Kräfte, die in ihm schlummern, einmal im Eiswasser zu entfalten, ist unvergesslich. Und ich weiß, dass der erste Schritt in diese Richtung der schwierigste ist. Daher werden wir ab November wieder gemeinsam mit Eistraining und Atemübungen beginnen. Damit jeder, der kann und möchte, am Ende des Winters genau solche Erfahrungen erleben kann, wie ich sie oben beschrieben habe. Denn die gesundheitlichen Vorteile sind letztlich nur willkommene Nebeneffekte. Das Beste daran ist, wenigstens einmal selbst zu erleben, wie mächtig und kraftvoll der eigene Körper inmitten einer Landschaft aus Eis und Schnee sein kann.

Zuletzt noch ein paar Zeilen, die ich spontan bei einem der Schneespaziergänge nach dem Eisbaden geschrieben habe…

Unberührtes

Weites Überall…
Leuchtend fließendes Parkett,
Weiße Noten aus Kristall,
tanzen magisch durch die Nacht.
Fröhlichkeit erwacht allein,
keine Pfoten, keine Spur –
nur der Schall wagt erste Schritte…
Ungeteilte Stille –
und Gedanken mit der Bitte,
mit Dir hier zu sein…

Die Termine und Veranstaltungsorte fü die Eisbaden-Vorträge und das Eistraining werden noch festgelegt.

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