Haben Sie schon einmal still meditiert? Das verbreitete Bild von Meditation ist ein Mensch, der milde lächelnd dasitzt, vollkommen versunken im Nirgendwo. Doch der Alltag der Meditation sieht oft anders aus: Gedanken, unangenehme Körpergefühle oder schmerzhafte Emotionen bedrängen den Sitzenden und lassen ihn nicht in Stille und Wohlgefühl abtauchen. Wie können wir mit solch nervender Ablenkung in der Meditation umgehen? Wie halten wir uns aus, wenn es ungemütlich wird?

von Matthias Grimm

Meditation ist mehr als eine Entspannungspraxis

In meinen Gruppen taucht bei der Frage am Anfang jeden Seminars, warum der jeweilige Teilnehmer denn hier ist, immer wieder der Wunsch nach Lösungen auf, die helfen sollen, im Tagesgetriebe relativ einfach Entspannung zu finden. Das ist eine vollkommen nachvollziehbare Sehnsucht, aber Entspannung ist nur ein Teil des Weges zu sich selbst, eher so etwas wie ein Einstieg. Wenn der augenblickliche Fokus eines Menschen auf Entspannen liegen sollte, können bewährte Übungen wie Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Body – scan usw. genügen. Hier befinden wir uns erst einmal auf der Ebene der Symptomregelung. Doch selbst diesen einfachen Entspannungsübungen wohnt bereits das Potential zu weiterer Öffnung inne, sie sind Schnittstellen zur eigentlichen Reise in die Meditation. Auch der anfängliche Wunsch, eine schnelle Methode zu lernen, um immer abrufbar Entspannung erzeugen zu können, birgt oft schon Probleme.

Wir sind es in unserer aktuellen Kultur gewohnt, schnell verfügbar zu konsumieren – mit Apparaten, einem Wochenendlehrgang, ein paar Tabletten. Wir wollen mit irgendeinem spezialisierten Erzeugnis oder Werkzeug sozusagen auf Knopfdruck etwas erreichen. Auf diese Weise soll bitte auch die gewünschte Entspannung eintreten.

Doch wer sich einmal ein wenig mit dem Themenfeld der Meditation beschäftigt hat, wird schnell merken, was das bedeutet. Setzen oder legen Sie sich einmal still hin – sagen wir mal fünf Minuten – und lauschen Sie in den Raum, beobachten Sie, was passiert. Sie werden schnell spüren, wie lärmend Stille sein kann. Endlose Gedankenschleifen, sich verselbständigende Bilder, Körpergefühle, Unwohlsein oder Langeweile machen es schwer, einfach mal still zu bleiben. Die Versuchung, sich abzulenken, zu bewegen oder aufzustehen, wächst zusehends.

Grundlegende Veränderung

Vielleicht beginnen Sie zu ahnen, dass Sie die wahre Stille nicht ohne eine grundlegende Veränderung in Ihnen selbst bekommen werden. Und: Diese Veränderung wird Ihr ganzes Leben durchdringen müssen. Und es wird nicht von heute auf morgen gehen. Denn es hat auch ein ganzes langes Leben im Modus von Handeln und Reagieren gebraucht, um Ihre Abgrenzungsstrategien, Abwehrmechanismen und Ihr Selbstbild zu installieren. Lassen Sie sich auf den Weg der Selbstfindung ein, werden Sie bald merken, wie viel Illusion und Verklärung in diesem konditionierten Selbstbild liegt. Abwehrstrategien und Konzepte, die einmal gute Dienste geleistet haben, haben sich durch langjährige Nutzungsroutinen tief im Nervennetzwerk zu Automatismen verschaltet. Unsere Verhaltensmuster und Panzer sind nicht einfach so gekommen, wir haben sie erlernt. Sie werden auch feststellen, dass dieses gepanzerte Selbst, das nur bestimmte Gefühle und Erfahrungen zulässt, mit vielen Ihrer immer wiederkehrenden Probleme direkt zusammenhängt. Diese gepanzerte Egoblase ist in ihrem Beharren auf den erlernten Strategien ziemlich trickreich und fährt an den Grenzen einer sich nähernden Öffnung in einen neuen Raum alle Register von Widerständen und Ablenkungen auf. Geahnter Kontrollverlust jeder Art lässt die Alarmsirenen ertönen und setzt den ganzen Apparat der erlernten Sicherheits-Strategien in Bewegung. Und genau das erfahren wir, wenn wir uns einmal ganz still hinsetzen und gar nichts weiter tun. Aber wie sieht nun die Lösung aus?

Praxis der Selbstspiegelung

Der wirkungsvollste Weg, hier weiterzukommen, ist eine regelmäßige Praxis der Selbstkonfrontation. Meditationstechniken bieten dazu wunderbare Hilfsmittel. Sie sind Werkzeuge, uns in unsere ursprüngliche authentische Form und ihre Potentiale zurückzuführen. Stück für Stück, tiefer und tiefer – ohne den Kontext der uns umgebenden Welt zu verlassen. Meditationswerkzeuge haben keinen Selbstzweck, den man perfektionieren sollte, sie sind auch keine Mittel, Weltflucht zu organisieren oder Paralleluniversen aufzumachen. Es geht um die Aufnahme einer Beziehung zum eigenen tiefen Selbstsein und dem Erfahren der Verbindung zum großen Ganzen über eine schonungslose Öffnung in diesen Augenblick. Es ist ein Prozess, der weit weg von jeder Wohlfühlesoterik ist, vom süßen Schwelgen in einem spirituellen Mehr-davon-Materialismus. Es ist im besten Sinne eine spannende Reise über viele Klippen, Untiefen und Abgründe.

Dazu gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht: Die scheinbar schlechte Nachricht ist, dass wir dieses immerwährende Kopfkino wirklich nicht abstellen können. Die gute Nachricht ist, dass unsere Widerstände und Abgründe – zu denen auch das Kopfkino als Ausweichmechanismus vor unangenehmen Gefühlen gehört – unsere ganz persönlichen Schlüssel zur Entwicklung beinhalten. Denn hinter all den Schattenzonen existiert immer das Licht. Die Konfrontation mit Widerständen ist daher ein wesentlicher Teil meditativer Praxis. Widerstände kommen in Form von Verklärung, Verwirrung, Wahrnehmungsverzerrung, Zorn, Zweifel, Selbstverurteilung usw. daher. Es gibt unendlich viele Varianten von Abwehr. Durch diese Krusten mit Wachheit hindurchzugehen, vermag innere Türen dauerhaft zu öffnen. Meditationstechniken sind wirkungsvolle Lotsen in diesem Prozess.

Meditationstechniken der Postmoderne

Es gibt eine große Anzahl von Meditationslinien mit meist uralter Herkunft. Viele davon sind stark philosophisch intellektualisierte Gebilde mit ethnischer Prägung und oft mit kognitiven Komponenten verzahnt. Die Ebene des Körperbewusstseins wird in vielen Fällen zugunsten rein geistiger Orientierung als unentwickelt und dunkel vernachlässigt. Geist und Körper werden dann getrennt wahrgenommen. Ich halte die ungefilterte Übernahme von Überbaukonzepten aus oftmals lokal verankerten Linien für wenig hilfreich. Die Gefahr, in den Endlosschleifen eines ethnologischen und intellektuellen Interpretationslabyrinths steckenzubleiben, ist groß. Auch Intellektualisierung kann eben ein Teil des Abwehrprogramms sein. Wirklich weiterführende Meditationstechniken werden immer das ungefilterte, ganzheitliche Erfahren in den Mittelpunkt stellen. Da sind sie zeitlos und übergreifend. Die für mich wirkungsvollsten regen das Wiederverfügbarmachen tiefer Körperweisheit an. Unser Körper ist unsere einzigarige und wahre Verbindung zur Realität der Existenz.

In den vergangenen 50 Jahren wurden im Zusammenführen von psychotherapeutischem und neuropsychologischem Wissen mit den alten Erfahrungslinien Meditationstechniken entwickelt, die dem Menschen unserer gejagten und fortschrittsneurotischen Kultur den Einstieg erleichtern. Sozusagen im besten Sinne essenzielle Übersetzungen bewährter Praxis- Systeme unserer Vorfahren.

Yoga

Für mich ist Yoga ein wunderbarer Einstieg und ein wirkungsvolles Begleitungssystem für die Meditationspraxis. Yoga ist mehr als nur Körperhaltungspraxis oder Fitnesssystem. Yoga ist Körpermeditation. Asana-Yoga beispielsweise konzentriert und richtet sich auf Körper und Atmung aus. Im Fluss der Körperhaltungen hat der Geist eine ganz natürliche Anbindung an die augenblickliche Wahrnehmung und lernt auch in herausfordernden Situationen Gelassenheit. Es reichen eigentlich Serien von sehr einfachen Übungsfolgen, um eine Kultur der Hingabe und des Ausrichtens zu entwickeln. Man muss nicht den Ehrgeiz eines Perfektionisten und Artisten auf der Matte zelebrieren. Perfektionssucht führt aus der Verbindung mit dem Augenblick und in die Fallen der Egoschleifen. Das wiederholte Vertiefen der einfachen Abfolgen ist allein schon durch die Erfahrung einer tieferen Verbindung mit sich selbst wirklicher Reichtum. In der Vielfalt der Angebote stellen für mich selbst Ashtanga(Vinyasa)- Yoga und die einfache Folge von Vor- und Rückbeugen in den Fünf Tibetern diesen Entwicklungsraum zur Verfügung.

Atempraxis Pranayama / Tsa Lung

Ein wesentlicher Teil der yogischen Praxis dreht sich um Atemübungen. Atem ist die tiefste Verbindung, die wir zu unserem Körper haben. Atem ist mit unserem unbewussten vegetativen Nervensystem verbunden, das im Hintergrund die Körperenergien steuert. Über den Atem können wir allerdings auch bewusst dieses System steuern lernen. Einatmen aktiviert, Ausatmen beruhigt. Je nach Stärke und Ausrichtung können wir unterschiedliche Energiezustände erzeugen und diese in den Klärungsprozess integrieren. Atempraxis ist wesentlicher Teil fast aller großen spirituellen Systeme. Im hinduistischen Yoga beispielsweise ist das der große Bereich der Pranayama- Übungen. Auch im tibetisch-tantrischen Tsa Lung, besonders in der Vajrayanalinie, oder im Taoismus finden wir Ähnliches. Allen ist gemeinsam, dass sie uns über Übungen, die Energie entstehen lassen und kanalisieren, mit unserem Körper fühlend in Kontakt bringen. Diese Erfahrung bringt aber auch Stockungen, Blockierungen und bisher abwesende Bereiche in unser Erleben und leitet uns da hindurch.

Eine effektive Methode in diesem Bereich ist die “Quantum Light Breath“-Meditation, die uns darin unterstützt, mit teilweise starker Atmung bisher unbewusste Muster und Strukturen in unsere Wahrnehmung zu bringen, zu lösen und die befreite Energie zu integrieren. Die Technik wurde in den 1970er Jahren von dem US-Therapeuten Jeru Kabbal aus Erfahrungen der uralten Vipassanameditation hin zu einer mehr dynamisierten Ausführung entwickelt. In dem teilweise heftigen Prozess geht es darum, Widerstände, Dramen und andere Gefühlsreaktionen zwar als Teil der eigenen Entwicklung zu respektieren, zu ertragen und nicht zu unterdrücken, ihnen dabei aber keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Alle Aufmerksamkeit bleibt allein bei der Atembewegung. Alles, was auftaucht, wird einfach als Teil vergangener Episoden gesehen – Illusionen, die in der Jetzt-Realität keine Kraft und Bedeutung mehr haben. So können Heilung und innere Klärung ohne Flucht oder Verdrängung geschehen.

OSHO-Meditationen

Die OSHO-Meditationen sind aus der Erkenntnis entstanden, dass der Neuzeitmensch nur schwer in der Lage ist, in stille Meditation zu gehen. Weil er durch die Hamsterräder seiner Existenzblase pausenlos mit Agieren, Konzeptualisieren und Reagieren beschäftigt ist, kann er tatenlose Stille nicht ertragen. Also wurden im OSHO-Feld mit Vision, Genialität und viel therapeutischem Wissen Meditationen entwickelt, die den ruhelosen Geist erst einmal binden, indem sich all seine verschiedenen Energien und Kräfte ungehemmt ausagieren dürfen. Meditationen wie die „Dynamische“ oder die „Kundalini“ gehen trotzdem teilweise unglaublich tief, entschleunigen und führen in vorher nicht gekannte Offenheit. Die Meditationen sind genauestens strukturiert, mit stimulierender Musik umrahmt und enden immer in einer Phase der Stille.

Ankommen in der weiten Stille

Die uralte und immer aktuelle Mutter der Meditation ist das Sitzen in Stille. Sitzend, aus- und aufgerichtet in flexibler Vertikale, bin ich in einem wachen, erwachsenen Zustand. Es geht darum, sich einfach jetzt mit dem zu konfrontieren, was erscheint – ohne Anhaften, ohne Beurteilung, ohne Wunschdenken. Es ist ein Sitzen in Verbindung mit dem zentralen inneren Raum in mir, der sich ausdehnt in entleerte Fülle. In diesem Bewusstseinsraum löst sich die Trennung vom Ganzen auf und der Meditierende ist dabei absolut präsent mit dem, was als Leben gerade erscheint. Verankert in allen Ebenen darf sich ein authentisch kreatives Wesen entwickeln.

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