Wir leben, lieben und fühlen mit dem Körper. Können Therapien, die den Körper ausklammern, da erfolgreich sein? Bioenergetik heilt die Seele durch den Körper.

Von Steve Hofmann

Viele meiner Klienten haben zwar in früheren Therapien gelernt, ihre Probleme rational zu beleuchten und herzuleiten, dabei aber keine Veränderung auf einer tieferen, emotionalen Ebene erfahren. Eine tiefgreifende Transformation ist tatsächlich nur dann möglich, wenn neben der Arbeit an den eigenen unbewussten einschränkenden Haltungen und Beziehungsmustern auch der Körper und die Gefühle in den Wachstumsprozess einbezogen werden. Wilhelm Reich entdeckte in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, dass der Körper eine entscheidende Rolle bei der Abwehr und Unterdrückung von Gefühlen spielt.

Indem wir den Körper unbewusst anspannen und die Atmung verflachen, schützen wir uns vor schmerzhaften Empfindungen. Zugleich verschließt dies aber auch unser Herz und wir schneiden uns vom Fluss des Lebens ab. Reichs Schüler Alexander Lowen, der Vater der Bioenergetik, war überzeugt, dass eine Veränderung der Person nur durch ein Durcharbeiten der körperlichen Blockaden und die Bewusstmachung verdrängter frühkindlicher Gefühle möglich ist.

Bindung, Bindung, Bindung

Jedes Kind ist auf den Kontakt und die Bindung zu seinen Eltern angewiesen. Die Bindung zu ihren Bezugspersonen ist für kleine Kinder genauso wichtig wie Nahrung, Kleidung und die Luft zum Atmen. Nehmen die Eltern diese Bindungswünsche in angemessener Weise wahr und fördern das Kind entsprechend, ermöglichen sie ihm eine freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Versagen die Eltern bei dieser schwierigen und komplexen Aufgabe zu sehr, unternimmt es seinerseits ungeheure Anstrengungen, um doch noch eine Verbindung zu den Eltern herzustellen. Diese Anstrengungen können mit der Aufgabe der eigenen Gefühle, des Willens und letztlich auch des gesamten Selbst einhergehen.

So kann man bei Kindern, die man schreien lässt, beobachten, dass sie schließlich scheinbar ruhig und angepasst werden. Indem sie also resignieren, stellen sie sicher, dass die Eltern sich weiter um sie kümmern. Später leiden sie dann eventuell an unerklärlichen Ängsten, da der körperliche Ausdruck der Gefühle zwar blockiert, die ursprüngliche emotionale Erregung im Körperkern aber noch voll vorhanden ist. Lowen erkannte bereits sehr früh, in welcher Form elterliches Versagen die Persönlichkeit des Kindes und des späteren Erwachsenen prägt, und entwickelte in Anlehnung an Reich eine eigene Charakterlehre.

Er beschrieb fünf verschiedene Persönlichkeitstypen mit speziellen Eigenschaften, die im Zusammenhang mit dem elterlichen Versagen in den verschiedenen kindlichen Entwicklungsphasen entstehen.

„Ich habe kein Recht zu existieren“ – die schizoide Struktur

Bei Menschen mit einer schizoiden Charakterstruktur geht es im Kern um das Recht auf Existenz. Schizoide machen schon im Mutterleib oder um die Geburt herum die Erfahrung, dass sie nicht gewollt sind. So erinnerte sich ein Klient von mir während einer Sitzung daran, wie er als Baby beinahe von seiner Mutter ertränkt worden wäre. Schizoide werden häufig von Müttern geboren, die ihr Kind unterschwellig oder offen ablehnen. Diese Menschen lernen die Welt früh als grauenerregenden Ort kennen und ziehen sich daher in sich selbst zurück. Tief im Inneren schämen sie sich, überhaupt zu existieren, und fühlen sich nirgendwo dazugehörig. Ihre unerträglichen frühen Erfahrungen führen oft dazu, dass sie sich von ihrem Gefühlsleben vollständig abgetrennt erleben. Dies kompensieren sie dadurch, dass sie versuchen, die Welt mit dem Kopf zu begreifen. Aufgrund ihrer hoch entwickelten intellektuellen Fähigkeiten ergreifen sie oft Berufe, in denen logisches Denken gefordert wird. Ein bekanntes Beispiel für einen Schizoiden ist Sheldon Cooper aus der Serie „The Big Bang Theory“.

Ziel der Arbeit mit Menschen mit einem schizoiden Grundthema ist es, sie über die Körperarbeit aus dem Kopf in den Körper und ins Fühlen zu holen. Sie müssen dabei unterstützt werden, ihr Recht auf Existenz einzufordern.

„Ich bekomme nicht genug“ – die orale Struktur

Während Menschen mit einer schizoiden Struktur den Kontakt zu anderen Menschen scheuen, lieben orale Menschen den Kontakt zu anderen. Dass sie gerne und viel reden, hat seinen Grund darin, dass ihren Bedürfnissen im ersten Lebensjahr nicht genügend Gehör geschenkt wurde. Dadurch, dass die Mütter dieser Personen sich nicht ausreichend auf ihre emotionalen Bedürfnisse einstellen konnten, bleiben sie mit einer großen inneren Leere zurück. Zentrales Thema oraler Menschen ist das Brauchen-Dürfen und Umsorgtwerden-Wollen: Wenn ich mich schwach und abhängig zeige, bekomme ich Zuwendung. Der grundlegende Mangel der frühen Kindheit war es, dass die Fürsorge der Eltern nie ausreichte, um die Bedürfnisse des kleinen Kindes zu stillen.

Im Erwachsenenalter versuchen orale Personen, diesen Mangel nachträglich erfüllt zu bekommen. Das, was sie bekommen, ist für ihr hungriges inneres Kind allerdings nie genug. Der Wunsch, rückwirkend für die Entbehrungen der Kindheit entschädigt zu werden, lässt sich nicht einlösen und führt immer wieder zu Enttäuschungen. Therapeutisches Ziel in der Zusammenarbeit mit oralen Menschen ist es, ihnen zu helfen, ihre Angst vor dem Alleinsein zu bewältigen und sie auf ihre eigenen Beine zu stellen.

„Ich genüge nicht“ – die masochistische Struktur

Masochistische Menschen machen um das dritte Lebensjahr herum die Erfahrung, dass ihr Streben nach mehr Selbständigkeit abgelehnt wird. Sie werden untergebuttert statt bemuttert. Durch diesen harten Erziehungsstil wird das Kind überfordert und an seiner weiteren Entfaltung gehindert. Es reagiert mit Zorn und Wut auf die Einschränkungen, muss sich aber dennoch unterwerfen, um die Liebe der Eltern nicht zu gefährden. Das kleine Kind wird gebrochen. Die Lektion für’s Leben heißt: „Wenn ich mich unterwerfe und anpasse, werde ich geliebt.“

Das zentrale Problem dieser Struktur ist der Konflikt zwischen dem Streben nach Autonomie und dem Wunsch nach Geliebtwerden, da die Liebe der Eltern nur um den Preis der Selbstaufgabe zu haben war. Auch wenn Masochisten sich nach außen nett und liebenswürdig zeigen, brodelt es tief in ihrem Inneren. Ihre Wut zeigen sie aus Angst vor Bestrafung jedoch niemals offen. Vielmehr haben sie die tragische Tendenz, ihren Ärger dadurch zu äußern, dass sie regelmäßig versagen (Selbsthass) oder andere enttäuschen (Bestrafung anderer).

Mit Hilfe von Übungen, die ihnen beim Ausdruck negativer Gefühle wie Ärger helfen, lernen masochistische Menschen im Laufe einer bioenergetischen Therapie, dass sie für sich einstehen dürfen und trotzdem geliebt werden.

„Ich muss siegen“ – die psychopathische Struktur

Psychopathen möchten gerne das Sagen haben und stark und erfolgreich sein. Sie sehen sich in einem beständigen Kampf gegen die Welt. Bevor andere sie klein machen und unterwerfen, wie in der Kindheit ihre Eltern, tun sie alles dafür, um sich in die Position des Stärkeren zu begeben. Während andere Menschen nach Liebe und Lust streben, streben Menschen mit dieser Struktur vor allem nach Macht. Solange sie die Stärkeren sind, fühlen sie sich sicher und nicht so klein, ohnmächtig und verraten wie in ihrer Kindheit. Dies zeigt sich oft im Körperbau:

Der Oberkörper wirkt mächtig und aufgeblasen, wogegen die Beine klein und schmächtig sind. Ein prominentes Filmbeispiel ist etwa Sylvester Stallones Rambo. Die tiefste Angst von Menschen mit einem psychopathischen Thema ist es, besiegt, manipuliert und erniedrigt zu werden. Auf dem Weg zu ihrer Ganzheit müssen sie wieder in Kontakt zu ihrer weichen, verletzten Seite kommen. In der Therapie lernen sie, dass es Menschen gibt, denen sie vertrauen können. So kann das Streben nach Macht allmählich dem Wunsch nach Liebe und Verbundenheit weichen.

„Komm mir nicht zu nah, ich habe Angst vor der Liebe“ – die rigide Struktur

Menschen mit dieser Struktur lernen sehr früh, Leistungen erbringen zu müssen, um von ihren Eltern geliebt zu werden. Noch als Erwachsene streben sie nach Liebe und Anerkennung und setzen alles daran, um noch höher und weiter zu kommen. Die Tragik hinter diesen häufig sehr erfolgreichen Personen ist eine tiefe Verletzung ihres Herzens. Diese rührt daher, dass sie von ihren Eltern nicht für das eigene Sein, sondern für erfolgreiches Tun geliebt wurden. Die Angst, sich zu verlieben, ist sehr groß. Aus diesem Grunde sind sexuelles Begehren und Liebesgefühle voneinander getrennt: Wo sie begehren, lieben sie nicht, wo sie lieben, begehren sie nicht. Im Laufe der Therapie lernen Rigide, ihre Angst vor einer Zurückweisung ihrer Liebe zu ertragen.

Hierdurch können Herzgefühle und sexuelle Empfindungen zusammenwachsen und Liebe und Begehren gleichzeitig empfunden werden. Bioenergetische Analyse – mit den Gefühlen leben lernen Seit Jahrtausenden wird körperliches und seelisches Leid als Ausdruck von Störungen oder Blockierungen des Lebensenergieflusses verstanden und mit unterschiedlichen Methoden behandelt. Die Bioenergetische Analyse steht in dieser Tradition und bindet Körper und Atmung in ein Verständnis vom Menschen als komplexe körperlich-seelische Einheit ein. Wir können unser volles Potential nur entfalten, wenn die unterdrückte Energie aktiviert wird und körperliche wie seelische Blockaden aufgelöst werden.

Für die Aktivierung der blockierten Energie stellt die Bioenergetik eine Vielfalt an körperlichen Übungen bereit. Diese können den Menschen in einer Tiefe berühren, die durch rein verbale Therapien nicht erreicht wird. Schon Wilhelm Reich beobachtete bei seinen Klienten, dass diese sich durch die bei der Körperarbeit auftauchenden Gefühle wieder an die Situationen erinnern konnten, die in ihrer Kindheit dazu geführt hatten, dass sie ihr Herz verschließen mussten. Indem die Klienten in der Bioenergetischen Analyse dazu ermutigt werden, selbst ihre dunkelsten Gefühle und Gedanken auszudrücken, erlangen sie allmählich die Kontrolle über ihre Emotionen und ihr Leben. Denn zu leben heißt zu fühlen und mit statt gegen seine Gefühle zu leben.

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