Der armenische Mystiker Gurdjieff entwickelte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spezielle Tanzformen, die eine Bewusstsseinsveränderung und Persönlichkeitstransformation ermöglichen sollen. SEIN sprach mit Wim van Dullemen, einem Lehrer dieser „Gurdjieffs Movements“ genannten Tänze.

Sein: Wer war eigentlich Gurdjieff und was genau sind Movements?
Wim: Gurdjieff war ein esoterischer Lehrer, griechisch-armenischer Herkunft. Schon in jungen Jahren ergriff Ihn ein Durst nach einem ganz speziellen Wissen, von dem er annahm, dass es irgendwo auf Erden existieren müsse. Dies führte ihn auf eine Suche in die unzugänglichsten Gebiete des Orients, die länger als zwanzig Jahre andauern sollte. Nach seinem Tod 1949 in Paris hinterließ er ein Erbe von einzigartiger Mannigfaltigkeit. Er schrieb drei Bücher, komponierte über 200 Musikstücke, und entwickelte um die 250 Tänze, die Movements genannt werden. Es besteht kein Zweifel darüber, dass diese Movements die Krone seiner Lehre sind, und er bezeichnete sich selbst als einen Lehrer des Tanzes. Den meisten Betrachtern vermitteln die Movements etwas noch nie Gesehenes, weil sie in der Welt der Bewegung mit nichts Bekanntem zu vergleichen sind. Sie werden heilig genannt, weil sie auf unseren psychologischen Zustand und unser Bewusstsein einwirken.

Sein: Auf welche Art unterscheiden sich diese Movements von anderen Körperbewusstseinstechniken wie Hatha Yoga, Qi Gong und Tai Chi?

Wim: Was die Movements mit den anderen Techniken gemeinsam haben ist, dass sie Disziplinen sind, die Anstrengung und Hingabe erfordern. Doch andere Elemente sind einzigartig, wie z.B. die wunderbare Musik, die sie begleitet. Das lässt sie viel tänzerischer werden, obwohl sie sich von Ballett oder Ähnlichem dadurch unterscheiden, dass hier der Tänzer nicht seine eigenen Individualität darstellt. Die Movements drücken eine objektive Annäherung der Gesetze aus, die unser Leben regieren.

Sein: Was verstehst du unter „objektiv“, und warum soll Gurdjieff objektiver sein als die Meister des modernen Tanzes wie Bejart oder Graham?

Wim: Ohne die großartige Arbeit dieser Pioniere des modernen Tanzes herabsetzen zu wollen, muss ich sagen, dass die Movements einer inneren Suche dienen. Der Tänzer hat sich hier ungewöhnlichen und mathematischen Positionen zu unterwerfen. Das befreit ihn einerseits von seinen Gewohnheiten und den Konditionierungen unserer Gesellschaft. Andererseits drücken diese Positionen, wie eine neue Art von Sprache, eine mögliche psychologische Entwicklung aus. Diese Sprache kann, obwohl sie so mathematisch präzise ist, auch sehr tief gefühlt werden. Ein neues Gleichgewicht kann sich in dem Tänzer entfalten; die Musik, die Gesten und unser inneres Sehnen werden eins, und es ist, als ob wir einen neuen Raum betreten, in dem es keine Grenzen und keine Zeit mehr gibt … Es ist, als ob uns eine Manifestation einer anderen Welt berührt und uns das Versprechen gegeben wird, dass wir uns verändern und erneut geboren werden können.

Sein: Warum sind diese Movements, die vor über 50 Jahren geschaffen wurden, so unbekannt, und wo kann man sie sehen und lernen?

Wim: Nach Gurdjieffs Tod beschlossen seine Schüler, die Movements geheim zu halten mit dem Ergebnis, dass die Öffentlichkeit erst vor kurzem Zugang zu ihnen bekommen hat. Meine Partnerin Christiane Macketanz und ich haben die Movementsstiftung ins Leben gerufen, eine unabhängige Organisation mit dem Ziel, diesen Prozess der Öffnung zu unterstützen. Mit der technischen Unterstützung von Martin Permantier haben wir eine interaktive CD-Rom mit einem Movements-Lernprogramm produziert. Öffentliche Aufführungen sind und bleiben leider selten. In einer Veranstaltung dieses Monats aber werden wir dem Publikum Kostproben der Musik und eine Auswahl an Tänzen zeigen. Gemeinsam versuchen wir sowohl zum Nutzen unserer Movements-Klassen als auch für individuelles Training neue kreative Elemente für die Lehre der Movements zu schaffen.

Sein: Kannst du einige dieser Elemente erläutern?
Wim: Innere Stille, Entspannung, Gewahrsein des eigenen Körpers, das Harmonisieren von Körper, Gefühl und Verstand, und natürlich, sich die Gurdjieffs Movements in der genauen historischen Überlieferung anzueignen. Wer Gurdjieffs Movements lernen möchte, muss übrigens keine körperlichen Voraussetzungen mitbringen und auch das Alter spielt keine Rolle. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in allen alten Kulturen der Tanz dazu diente, die Manifestationen Gottes und der Schöpfung sichtbar zu manchen. Die Movements sind eine Anstrengung Gurdjieffs, um in dem Leben der Menschen ein neues Ritual einzufügen, das den Prozess der Transformation stimulieren und begleiten soll, sowohl für den individuellen Menschen, als auch für die Gesellschaft im Ganzen.

2 Responses

  1. Peter Harnisch

    Ich bin Maler. Lese seit 2000 den „Beelzebub“. seit 2004 veröffentliche ich Wörterbücher mit namen „Der vergrabene Hund“. Am Ende habe ich eine Musik gefunden, davor natürlich hunderte graphischer Blätter.
    Außerdem steht hier das Festspielhaus in Hellerau, das Gurjieff tatsächlich einmal gekauft hat.
    Das Festspielhaus beherbergt heute das „Europäische Zentrum zeitgenössischer Künste“.
    Gern lasse ich Ihnen mehr Informationen zukommen.

    P.H.

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  2. S. Deutschmann

    Liebe Grüsse zum Jahresende. Ich bin Sigi der bei Dir ein paar mal zum Studium der Bewegungen gekommen ist. Ist es immer noch Dienstags um 18.30?

    Bitte um Antwort.

    Gruss Sigi

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