Auf die Anfrage, darüber zu schreiben, wie ich zur Kunst als spirituellem Weg für mich gekommen sei, gelange ich in ehrliches Ringen. Die Frage ist nicht, ob Kunst grundsätzlich spirituell ist, was einfach zu beantworten wäre, da sie in mir eine Weltsicht zum Klingen bringt, die über rein materielle Perspektiven weit hinausgeht. Es ist das Persönliche in der Frage, was mich stolpern lässt und mich rückschauend auf meine eigenen verschlungenen Wege schickt.

Von Corinna Wittke

Wenn ich mich frage, wie ich zur Kunst gekommen bin, dann sehe ich einerseits einen holperigen Weg durch schmerzhafte Ereignisse, Missverständnisse und den unbewussten Wunsch eines Kindes, aus diesem Wirrwarr zu entfliehen. Malerei als mein kindlicher Rückzug und Schutzort, als „kreativer Paradieswinkel“. Zum anderen war da, immer schon, eine tiefe Liebe zur Kunst: das Kind, das sich eins zu eins mit der Farbe ins Abenteuer stürzt und malt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Gedankenlos und vertieft in der Präsenz des schöpferischen Spiels und dadurch naturgemäß zu Hause und verbunden im inspirierten Geist.

In meinem Kunststudium stellte ich immer desillusionierter fest, dass ich mich nicht zurechtfand in dieser Welt der Bedeutsamkeit einer von starken Ego-Strukturen geprägten Kunstszene. Es herrschte ein rüder Umgangston im Klassenzimmer. Der lautstarke, oft alkoholisch angeheizte intellektuelle Diskurs galt mehr als die intuitiv empfundene Wahrnehmung. Der Boden unter meinen Füßen wankte, hatte ich doch mein verlässliches Refugium, meinen künstlerischen Ausdruck, preisgegeben: Ich erkannte meine eigenen Bilder nicht wieder, sie erschienen mir fremd und unzulänglich, weil ich sie nun aus den vernichtend kritischen Augen der anderen sah.

Ein Teil in mir wollte dieser Kunstbetrachtungsweise entsprechen, ein anderer Teil in mir heulte über den Verlust meiner natürlichen Identität. Heimatlos geworden, nagte der Zweifel an mir und meinen Fähigkeiten. Ich verleugnete meine eigenen Werke, verbog mich um Anerkennung und schämte mich dafür. Doch eine tiefe Sehnsucht ließ mich nicht los: Was suchte ich wirklich in der Kunst?

Nach Hause kommen

Wenn ich mich frage, wie ich zur Spiritualität gekommen bin – oder kam sie zu mir? –, dann erkenne ich auch hier zuerst das Motiv der Flucht vor mir selbst. Eine jahrelange Suche in der Vielfalt der Lehren und Übungen, getragen von der Hoffnung auf ein glücklicheres, harmonisches Leben. Mit dieser spirituell materialistischen Haltung fand ich nicht, wonach ich mich in Wirklichkeit sehnte, doch öffnete sich dadurch meine Wahrnehmung für den innerlich brodelnden Vulkan, der mich unausweichlich zu tieferer Veränderung drängte.

Dann eines Tages vor vielen Jahren beginnt sie: Ich befinde mich auf der Empore der Stadthalle in München-Germering. Unter mir der Saal gefüllt mit tausend Menschen und vor mir, weit weg, ganz klein unten auf der Bühne, sitzt der Schweizer spirituelle Lehrer Mario Mantese, Meister M., der von sich sagt, er sei kein Lehrer, sondern ein Ent-leerer. Seine bloße Präsenz berührt mich sofort. Als er dann davon spricht, dass seine Arbeit kein Platz für Weltenflüchter sei, dass die Füße hier auf den Boden gehören und der Kopf in die Weite des Himmels, da weiß ich, dass meine Flucht und meine Suche zu Ende sind, dass ich zu Hause angekommen bin.

Kein Versteck mehr, keine Ausweichmanöver, keine träumerischen Verheißungen. Normalwerden ist angesagt. Frisch beheimatet bin ich bereit für den geduldigen Weg des tiefen Entdeckens der eigenen lieblosen Schatten, Muster und Gewohnheiten, die im „liebevollen Röstofen“ dieses ungewöhnlichen Meisters radikal transformiert werden. Ein uferloser Weg ist das. Nichts zum Festhalten weit und breit, während sich Schicht um Schicht Altes ablöst, wie abgetragene Kleider, adaptierte Hüllen, die ich fälschlicherweise für mich selbst gehalten hatte. Aus denen ich nun herauswachsen darf in meine ursprüngliche Größe, ohne Minderwert und ohne Größenwahn, dann, wenn das „Ich will“ langsam verblasst.

Ein malerischer Mahlprozess: Abschied von Vorstellungen und Vorlieben

Malen – und ich könnte auch sagen: Singen, Cello-Spielen, Gurken-Schneiden, Bügeln, Tanzen, Schreiben, Putzen, Kunst, Büroarbeit… das Leben in all seinen Schattierungen – ist ein gutes Feld, um sich zu erkennen. Von wo aus wird mein Handeln gesteuert, was bindet mich, wo verlaufe ich mich, wer agiert? Spiritualität findet genau hier statt, mitten im Alltag. So kann auch die intensive Arbeit an einem Bild einem Prozess gleichen, in dem ich zwischen den Mühlsteinen meiner Absichten so lange zermalmt werde, bis es still wird in mir und nur noch die Essenz meines Bildes übrig bleibt.

Oder bis mein Widerstand am Rande der Verzweiflung mit dem Pinsel um sich haut: Das Gefallen des gerade von mir gemalten Bildes blitzt dabei auf wie eine kurze glücksverheißende Spur, die schnell zu kleben anfängt, wenn ich ihr zu folgen versuche. Jetzt könnte ich noch einfach aufhören und den Gefallens- Moment im Bild konservieren. Doch irgendetwas drängt mich, weiterzumalen. Sekunden später gefällt es mir nicht mehr. Nun beginnt das orchestrale Werk der inneren Stimmen: „Alles verloren! Das Bild misslingt!“, sagt die Stimme, der es vor Sekunden noch so gut gefiel. „Ach hätte ich doch geendet, anstatt weiterzumalen, als könnte es noch besser werden. Welch ein Irrtum“, schimpft sie, „nun ist es zu spät!“ Schon übernimmt eine andere Stimme. „Sei still, das haben wir gleich!“ Sie möchte das Verlorene wieder zurückholen, es wieder herausschälen, das, was vor Minuten noch so gefiel. Sie kämpft und ringt, sie malt und kratzt, sie erinnert und wiederholt, bis sie aufgibt, einsieht, dass es kein Zurück mehr gibt. Nur ein Vorwärts: „Los, los, mach weiter!“

Atemlos treibt nun eine andere Stimme an. Sie will etwas sehen, was sie wieder beruhigt, was ihr das Gefühl gibt, Herr der Lage zu sein und Profi, kein Dilettant, der sich vergeblich abmüht. Nun fauchen die Stimmen der Erwartung, des Anspruchs, der Absicht und der Beweisführung um eine gute und wertvolle Arbeit. Der Kampf um die Anerkennung als Künstler, um die Existenzgrundlage. Der Chor der Stimmen schwillt an, der eigene Atem wird flach, der Körper schmerzt vor Anspannung. Die Stimme finaler Verzweiflung murrt: “Ich kann das nicht!“ Die Freude an der Arbeit ist lange schon verloren. “Freude?“ raunzt mich da eine Stimme an, „Kunst muss erarbeitet werden. Hart geschürft aus den Tiefen der Kunstminen. Im Feuer des Zweifelns.“

Unterdessen ist mir das Bild fremd geworden, wie angehaltener Atem, künstlich, gewollt, bemüht. Ich habe mich total verlaufen und weiß es auch. „Jetzt kannst du es nur noch wegschmeißen, zerreißen, zerstören oder vielleicht übertünchen.“ Wut macht sich breit über die verlorene Zeit, das missglückte Bild, den Zeitpunkt, den ich verpasst hatte, als „alles noch gut war“. Dann taucht noch einmal ein magnetischer Hoffnungsschimmer auf: „Nur noch ein Versuch, dann hören wir auf, ein Rettungspakt, eine Brücke zum Gelingen!“ Und schon werfe ich mich hypnotisch angezogen von diesem Gedanken erneut in eine qualvolle Runde zwischen Gefallen und Hoffen, Ärger und Enttäuschung, zwischen Höhenflug und Absturz.

Wie ein Hund, der sich verbissen hat, der einfach nicht mehr loslassen kann, erliege ich dem eigenen Willen, dessen magnetische Ich-Kraft sich gnadenlos festsaugt und einen Haufen zerstörerischen Zweifels generiert. Nur jene eine Stimme überhöre ich konsequent, jene, die mir freundlich, aber bestimmt sagt: „Mach jetzt Pause, lass sofort los, schau genau hin, höre dir selber zu, warum glaubst du dieser destruktiven Gedankenmeute?“

Heilende Wertschätzung

An so einem Tiefpunkt, ehrlich verzweifelt, und das weniger über das Bild als über mich und meine zerstörerische Schlaufe des krampfhaften Handelns, musste ich eines späten Abends zerknirscht unterbrechen, um noch meinen Koffer zu packen und ein paar Stunden zu schlafen, bevor ich mich auf die Reise in die Schweiz begab, zur Begegnung mit Meister M. Als ich am nächsten Tag beim Darshan, dem Lichtsegen, für jenen winzigen und doch ewigen Augenblick vor ihm stand, rief diese Verzweiflung so laut und ehrlich in mir, dass er es wohl in der Stille gehört haben muss. Er winkte mich zu sich auf die Bühne, sah mich lachend an und sagte: „Danke für deine Arbeit.“

Auch wenn er sich scheinbar vordergründig auf die helfende Arbeit an der Kasse beim Einlass der vielen Teilnehmer dieser Begegnung bezog, öffneten sich in diesem Augenblick Schleusen in mir und ließen urplötzlich die Wertschätzung und Liebe in mir fließen, die – trotz aller Bewusstseinsarbeit – von meinen harten schöpferischen Kämpfen und Ansprüchen noch immer in fest zementierten Staubecken gefangen gewesen waren. Als ich dann wieder im Berliner Atelier stand, neugierig vor jener großen Leinwand, die dort im hinterlassenen Durcheinander von unausgewaschenen Pinseln, Tusche-Fässchen und angetrockneten Mischtellern auf dem Boden lag, wusste ich, dass es ein wunderbares Bild werden würde, weil es bereits ein wunderbares Bild war, eine gute Grundlage, wie das gedroschene Getreide, wie das gemahlene Mehl, gereinigt, zermahlen, geknetet, bereit. Staunen bleibt Und seither hat mich diese tiefe Berührung nicht mehr verlassen.

Noch immer können Malprozesse mitunter erstaunlich langwierig sein. Doch gewandelt hat sich der Fokus. Jetzt staune ich, was da geschieht. Anstatt mich hypnotisch in den Bann ziehen zu lassen von den unterschiedlich gestimmten Befürchtungen, Vorwürfen und Behauptungen, betrachte ich sie beim wilden Gestikulieren und staune über diesen emotional verhedderten Gedankenhochbetrieb. Jetzt lasse ich Schicht für Schicht des Bildes wachsen und gedeihen, füge hinzu, lasse gehen, ohne zu verteidigen, ohne zu beweisen, ohne zu wollen. Oder beobachte den Moment, wenn das „Ich will“ sich vordrängt. Erlebe die gelungene und die verpasste Pause. Entdecke, dass mein ganzes Herz und Hiersein nur so weit in meine Arbeit und mein Leben fließen kann, wie ich mich ohne Umschweife traue, den magnetischen Kräften des Zweifels ein klares Nein entgegenzustellen, und mir dennoch freundlich distanziert ihre Facetten anschaue.

Nicht, dass ich dies alles nicht schon vorher gewusst hätte. Doch mit der Wortkraft von Meister M. ist wirksam allumfassende Wertschätzung – am Wissen vorbei – direkt und nachhaltig bis in mein Herz gerutscht.

Wenn ich Kunst mache, liebe ich

Es mag hoch gegriffen klingen, doch wenn der Ort, von dem die Kunst kommt, sich wandelt, dann ist das direkt in mir spürbar. Ich spüre dann gleichermaßen die Inspiration wie die Notwendigkeit zu kreieren – und fühle mich dennoch frei. Es ist ein Gefühl von Einssein, von Einverstandensein, das sich in meinem Herzen breit macht. Von hier aus weiß ich genau, was gerade zu tun ist, ohne mich besserwissend einzumischen. Ich kenne nur den nächsten Schritt, bin im besten Wortsinn planlos in Bezug auf das Endergebnis meines Bildes und bleibe doch keinesfalls beliebig. Ich folge den ursprünglichen Ideen und lasse sie in der Umsetzung wieder frei.

An diesem Ort zählt alles gleich: die Inspiration, die Notwendigkeit der Umsetzung und die Weite, die entsteht, wenn die Ideen, wieder freigelassen, im „großen Atem“ wirklich werden dürfen. Hier begegne ich meinem Humor und der Normalität eines wachsamen, liebevollen Blickes. Von diesem „Ort“ aus Kunst zu machen ist weder kitschig, esoterisch noch hingesäuselt, sondern im Grunde ein ziemlich radikaler Prozess und ein Geschenk des Wachstums. Es ist das Umpflügen in ein Feld bedingungsloser Liebe: Ich spüre die Weite meines Herzens in jedem Pinselstrich, suche und entdecke das Echo dieses spirituellen Herzraums im Farbraum. Wenn ich, in meinen alten Mustern gefangen, kämpfe, entsteht auch Kunst, doch nur weil sich der Herzton auch aus diesem Kampf allmählich wieder herausschält und der Rest langsam verblasst.

Im besten Fall bleibt nur übrig, was ewig und tief ist. Berührt es auch andere, lässt Funken überspringen, entsteht für mich ein noch größeres Geschenk.

Versunken wie ein Kind

Als ich kurz vor einer Ausstellung an einem meiner Herzwandelbilder, „espace de coeur“, einem dieser großen runden und später in der Aufhängung drehbaren Tuschebilder, gearbeitet habe, hatte ich eine lange Nacht, in der das zweite der Bilder einfach nicht fertig werden wollte. Immer wenn ich es fast „hatte“, wenn ich freudig-begeistert über dem Boden balancierte, den großen Tuschepinsel zufrieden in der Hand pausieren ließ, entglitt es mir wieder. Es wollte weiter. Nicht ich. Ich war müde, wusste aber, es war noch nicht fertig. Also begab ich mich in die nächste pinselschwingende Runde, durchlief noch mal die Momente des Gefallens und des Missfallens, des Festhaltenwollens und des Drängens nach Entwicklung, doch diesmal blieb etwas still in mir, unberührt vom stetigen Wandel, vom Wechsel der Vorlieben, während ich versunken wie als Kind, doch wach und bewusst malend, entdecken und staunen durfte, atmen und stöhnen, lachen und gähnen.

Früh morgens beugte ich mich über das Bild, jenen runden blauen Kosmos aus sich ständig wandelnden Aspekten und Schichten, die alle zusammen das Bild formten, und hörte mich laut in meinen Atelierraum rufen: „Bitte! Ich möchte schon mitbekommen, wann es fertig ist!“ Und wenig später wusste ich: Jetzt! Leg den Pinsel fort, sofort. Es gibt nichts mehr zu tun. Natürlich gibt es auch die Bilder, die einfach so heraushüpfen, gedankenlos, ahnungslos, nebenbei und ohne große Erwartung an etwas, und schwupps, wie sie dich dann so anschauen, berühren sie dein Herz so tief, dass du es kaum verstehen kannst. Musst du auch nicht, denke ich lächelnd. Es reicht ja, dass sie dich berühren und öffnen, einzigartig, gerade weil sie so leicht und frei, an deinem Willen vorbei geschehen konnten. Kunst gehört zu mir. Sie ist mir wohl in die Wiege gelegt worden, als Herzöffner und Mühlstein. Und immer wieder kläre und wärme ich meinen Mut, meine Geduld, mein Erforschen an diesem Satz, den Meister M. mir in der Tiefe gab, „Danke für deine Arbeit“.

Eine Antwort

  1. Denise
    DANKE!

    Liebe Corinna,

    herzlichen Dank für diesen wunderbaren Artikel!
    Ich habe mich erkannt und so verstanden gefühlt!
    Ich werde gerade innerlicher ruhiger, weil es mir sehr gut tut zu lesen, dass auch Du ähnliche Prozesse durchläufst.
    All das, was Du beschreibst kenne ich nur allzu gut. Wie oft verurteile ich meine Bilder, die Art und Weise, wie sie entstehen, wie oft bin ich überkritisch ….
    Es hat lange gedauert bis ich begriffen habe, warum ich male und welche Bedeutung meine Bilder haben – sie sind ein Ausdruck dessen, was tief in mir ist und weder durch Worte noch irgend etwas anderes zum Vorschein kommt, sie sind ein Ventil für all das, was nie zur Sprache kommt, sie eröffnen mir einen wunderbaren Zugang zu mir selber – zu all dem, was verschüttet, vergraben, abgekapselt wurde.
    Und genau deshalb kann Kunst nicht nach irgendwelchen Maßstäben bewertet werden – einzig und allein können wir berührt werden oder eben nicht – das ist alles!
    Dein Artikel ist mal wieder eine schöne Erinnerung, weil ich, obwohl ich das alles weiß, trotzdem immer wieder in die Falle tappe und bewerte, mich schlecht fühle … und und und.
    Wie wunderbar aus dieser Spirale herausgerissen zu werden!
    Herzlichen Dank nochmal!!!
    Alles Liebe – Denise

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