Homöopathische Antworten am Puls der Zeit

von Werner Baumeister

 

Samstag, 7. Oktober 2023. Thema des Workshops, den ich an diesem Tag veranstalte, ist die homöopathische Arznei Androctonus hebraeus, der israelische Skorpion. Zeitgleich ereignet sich der existenzbedrohende Überfall auf Israel. In der Arzneimittelprüfung des israelischen Skorpions taucht immer wieder ein Bild dazu auf: Man fühlt sich wie die Besatzung eines Panzers, die durch ein kleines Loch raus in die Welt guckt. Man rechnet immer mit einem Angriff und ist bereit, sofort zu schießen. Diese Bedrohung von außen, dieses existentielle Bedrohtheitsgefühl, das ist übergreifendes Thema der Skorpione in der Homöopathie. Dabei dominiert das Gefühl, angefeindet und angegriffen zu werden und von der Welt getrennt zu sein. Homöopathisch führt uns der Skorpion zurück zu traumatischen Ohnmachtssituationen und absolutem Ausgeliefertsein – und da will keiner von uns freiwillig hin. Der Skorpion untergräbt unsere derzeitige Identität so lange, bis wir unsere wahre Natur wiederentdecken. Er sensibilisiert dafür, dass die Zerstörungswut, die wir nach außen oder gegen uns selbst richten, in Verbindung steht mit unserem tiefsten Schmerz und dem unerträglichsten Trauma unseres Lebens.

Wir alle sind verwundet
… und es ist die Natur des Skorpions, mit seinem Stachel unseren wundesten Punkt schmerzhaft zu berühren.
Das tut er, weil wir im Wesentlichen so sehr an uns vorbei leben, dass eine Alles-oder-nichts-Situation entsteht. Wir müssen hier radikal bis an die Wurzel (Radix) gehen, sonst lösen wir das nicht. Und wir müssen es lösen, weil es sonst unseren Tod bedeutet. Alle Erkrankungen basieren hier auf akkumuliertem Gift, das wir zurückgehalten haben. Egal ob Zahn, Organ, Gelenk, Haut oder emotionaler Unruheherd – der Skorpionweg verlangt nach Entgiftung. Die zurückgehaltenen Gifte müssen raus inklusive unserer giftigen Gefühle. Wir haben das Unerträgliche einst abgeschaltet, sind dissoziiert, um zu überleben. Und jetzt kommt der Skorpion und sagt: Wenn du wieder in die Lebendigkeit willst, dann muss ich dich noch einmal mit deinem Schmerz konfrontieren.

Mit dem homöopathischen Skorpion aktivieren wir wieder diese Situation, die wir damals abspalten mussten und gehen nochmal durchs Feuer. Das chronische Trauma wird erneut akut durchgespielt (individuell und kollektiv auf der Weltbühne), damit es wirklich heilen kann. Wir sind aber jetzt nicht mehr das ohnmächtige Kind, sondern können uns selbst vertreten. Der Skorpion zeigt dabei den Weg raus aus der Traumaspirale in unsere ganz eigene Gesundheit und Freiheit.

Wie arbeitet der Skorpion? – Ein konkretes Beispiel…

Neulich bat ich einen Taxifahrer, eine bestimmte Strecke zu fahren, da die gängige Strecke aufgrund einer aktuellen Sperrung einen Riesenumweg bedeutet hätte. Der türkische Taxifahrer, der offensichtlich schon vorher schlecht drauf war, antwortet mir daraufhin: „Wenn Sie so genau wissen, wie Sie fahren wollen, können Sie doch auch zu Fuß gehen!“ Ich hatte gerade vorher den europäischen Skorpion genommen und war überrascht über eine für meine Verhältnisse relativ milde Reaktion. Statt einfach ein anderes Taxi zu nehmen, habe ich nur gesagt: „Sehr witzig!“ und sonst nichts. Während der Fahrt baute sich dann eine Verdauungssymptomatik in mir auf. Ich habe ganz deutlich gespürt, was mir blüht, wenn ich meine Wut in mich reinfressen würde. Also sprach ich den Taxifahrer nach der Fahrt auf seine Respektlosigkeit an, worauf er mir nur abfällig entgegnete, er hätte nichts falsch gemacht. Spontan kam dann folgender Satz aus mir raus: „Wir machen das ganz anders. Ich beschwere mich jetzt bei der Taxizentrale über Sie, damit Sie lernen, wie man sich als Ausländer hier in Deutschland anständig benimmt!“
Ich habe weder etwas gegen Ausländer, noch hatte ich ernsthaft vor, die Taxizentrale anzurufen. Aber ich habe das offensichtlich so scharf und überzeugend rübergebracht, dass er sichtbar nervös wurde – und mich so skorpionmäßig für seine Respektlosigkeit „gerächt“. Ich hatte instinktiv seinen wundesten Punkt getroffen und da bin ich reingegangen.

Am nächsten Tag hatte ich eine Klientin und Freundin, die Scorpio europäus bekommen sollte. Ich habe ihr, um ihr das Mittel vorzustellen, diese Geschichte erzählt. Hatte aber vergessen, dass sie vor über 30 Jahren zwei inzwischen erwachsene Kinder aus Südamerika adoptiert hatte, von denen sie sagt, dass sie alles für sie tun würde und auch die Kinder dürften alles mit ihr machen. Ich erzähle das also dieser Frau, die ich immer nur liebevoll erlebt habe, und sie guckt mich an und sagt: „Werner, dafür hasse ich Dich! Kannst Du andere Menschen nicht sein lassen, wie sie sind?“ …und dann mit laut erhobener Stimme: „KANNST DU DICH NICHT ANPASSEN !!!“. Nach einer Sekunde des Schocks und der Scham entgegne ich: „Ja, das ist ja das Problem. Ich habe mich viel zu lange angepasst und was du mir hier gerade anbietest, das ist deine Überlebensstrategie: Anpassung! Und die ist für mein System komplett unattraktiv!“

Interessanterweise sieht diese Klientin meiner Mutter zum Verwechseln ähnlich.
Ich stelle mir also vor, wie der kleine Werner sich gegen irgendwelche übergriffigen Spielkameraden gewehrt und zurückgeschlagen hat. Er kommt zu seiner Mutter oder einer erwachsenen Bezugsperson, erzählt das stolz und bekommt exakt diese Antwort: Kannst Du Dich nicht anpassen?! Das ist der Moment gewesen, in dem ich mich als Kind entschieden habe, etwas von mir zurückzunehmen. Und das ist das Geschenk des Skorpions: Mit ein paar Handgriffen inszenierte er ein geniales Setting. Ein Taxifahrer und eine Klientin ermöglichen mir jetzt hier und heute, die Reset-Taste zu drücken. Ich verurteile weder mich noch meine Bezugsperson von damals. Aber ab jetzt mache ich es anders. Ich lasse mir von niemandem mehr sagen, wie, ob und wann ich mich anzupassen habe.

Die Klientin und vielleicht damals meine Mutter haben mir beide ihre Überlebensstrategie angeboten: die Anpassung. Meine Klientin hat genau den Satz gesagt, der gesagt werden musste, damit ich verstehe, warum ich glaube, meine Kraft zurückhalten zu müssen in bestimmten Situationen. Weil wir das schließlich beide verstanden hatten, haben wir dann zusammen doch noch die Kurve gekriegt. Und ich hatte klar verstanden, wie Selbstbilder entstehen, die der Skorpion irgendwann untergräbt und sie im Grunde als Selbsthass entlarvt.
Für mich ist der Skorpion ein Life-Changer!

Das Gemetzel ist überall

Androctonus treibt die Idee eines bedrohlichen Feindes im Außen bis zum Äußersten und spiegelt sich in dem, was zwischen Israel und Palästina stattfindet – entstanden aus einem jahrelangen ungelösten Konflikt, der sich aufgebaut hat mit viel Gewalt auf beiden Seiten und dem Wunsch nach Rache. Für Androctonus wäre die höchste Heilung natürlich, in die Liebe zu kommen – und das kommt über das Ja zum verdrängten Schmerz. Androctonus ist aber auch das JA zu unserer Tötungsenergie, also zu töten, um nicht getötet zu werden.

Wir hier mit unserer christlichen Erziehung – und weil wir das Gewaltmonopol an den Staat abgegeben haben – bilden uns ein, mit diesen archaischen Emotionen „zivilisierter“ umzugehen als in Palästina. Aber mit der Leugnung dieser radikalen Energie verraten wir uns selber. Indem wir mit aller Kraft unsere Aggression im Außen beherrschen, geht diese Energie nicht einfach weg, sondern implodiert einfach genauso verheerend wie eine äußere Explosion. Unser Schlachtfeld ist unser Körper und unser Gazastreifen dieser hohe Grad an Auto-Aggressionserkrankungen hier bei uns. In unseren Krankenhäusern werden dann die Auswüchse unserer Selbstaggression aggressiv mit dem Skalpell beseitigt.

Das ist unser Gemetzel, wo genauso viel Blut fließt.
Wir machen das mit uns selber ab und richten diesen Hass nach innen! Nach dem Motto: Wenn mich hier überhaupt einer fertigmacht, dann bin ich das. Beim Skorpion geht es immer um Macht – und jemand, der diese Aggression gegen sich selbst richtet, der entzieht der Umwelt die Möglichkeit, gegen ihn aggressiv zu werden. Der ist kein Opfer, sondern Täter an sich selbst! Er will nach der Erfahrung des völligen Verlustes der Macht durch ein kindliches Trauma nie wieder eine solche Ohnmacht erleben und agiert lieber Gewalt einigermaßen kontrolliert an sich selbst aus. Der europäische und der nordafrikanische Skorpion helfen uns als radikale Anwälte intensiver Lebendigkeit hier in Europa, unserer Auto-Aggression auf die Spur zu kommen und durch den – oft erst einmal als sehr unangenehm erlebten – Verlust der Kontrolle über unsere beherrschten Gefühle Spontanität und Verletzlichkeit wieder zulassen zu können.

 

Schlagworte (mit Links zu weiteren Artikeln von Werner Baumeister):
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Werner Baumeister

ist Arzt und bietet individuelle homöopathische Begleitung an.

30 Jahre Erfahrung in eigener Praxis in Berlin.

Einzeltermine nach Vereinbarung, Behandlungstermine zum Thema des Artikels jederzeit möglich.

Information zu aktuellen Workshops immer auf der Seite „Homöopathie am Puls der Zeit“ 
(mit Themenregister) sowie unter Tel.: 0172 – 391 25 85 .

Oder Newsletter mit aktuellen Terminen abonnieren unter E-mail w.baumeister{at}gmx.net .

Die homöopathischen Arzneibilder von Werner Baumeister verstehen sich immer
auch als homöopathischer Spiegel aktuellen Zeitgeschehens.

Homöopathische Tages-Workshops am Nerv der Zeit:

(jeweils 13-19 Uhr, 90,- Euro, Anmeldung erforderlich,
Praxis in 10999 Berlin-Kreuzberg, Reichenberger Str. 114)

Die Workshops beinhalten eine lebendige homöopathische Mitteldarstellung & Arzneigabe.

Dezember-Workshops:
Das Feuer der Transformation – Sequoia, der Mammutbaum

Nur durch Feuer geben die Sequoiazapfen die Samen für neues Wachstum frei.
Burn the excess – das Zuviel unserer überlebten Struktur verbrennen, um Raum für das Neue (Jahr 2024) zu schaffen.

Termine: Sa, 2.12.23, Wiederholung: So, 3.12. / Sa, 9.12. / So, 10.12. / Sa, 16.12. / So, 17.12

Workshop-Themen und Termine für die Monate Januar und Februar 2024
zeitnah auf „Homöopathie am Puls der Zeit

3 Responses

  1. Bea
    Wie lange noch?

    Anpassen, integrieren, nicht werten, dulden….. das genau sollten (müssen) wir Deutschen uns nicht länger diktieren lassen.

    „Wer Unrecht duldet, ist schlimmer als derjenige, der Unrecht begeht.“

    Nachdenksatz, liebe Landsleute!

    Antworten
  2. Manuela

    Danke Werner, dass du in Worte gefasst hast, was ich selbst die letzten Wochen so deutlich in mir spürte und erfahren, besser gesagt durchlitten habe. Ich durfte den immer wieder hochkommenden Selbsthass erkennen und mein damit zusammenhängendes großes Thema der Ohnmacht. Mit deinem Artikel kommt noch ein Stück mehr Klarheit und Erkenntnis hinein. Vielen Dank dafür!
    Der Frieden beginnt IN MIR und damit kann er auch immer mehr im Außen und in meinem Umfeld entstehen. Danke an alle, die den Weg des Friedens gewählt haben und bereit sind, den Krieg in sich selbst zu beenden.

    Antworten
  3. Bettina Fuchs

    Sicher kein einfaches Thema um es in seiner Komplexität zu begreifen!
    In diesem Artikel stecken mal wieder viele Möglichkeiten eine Ahnung davon zu bekommen und den eigenen Blick zu weiten!
    Danke Werner💙

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