„You don’t need anybody to tell you who you are
or what you are.
You are what you are!“
John Lennon

Die eigene Quelle finden: Selbstheilung beginnt mit der Erkenntnis, dass wir selbst am ­besten wissen, welches Heilmittel uns hilft. Doch wie kommen wir an dieses Wissen heran? Es liegt tief in uns verborgen, in den untersten Bewusstseinsschichten. Die Quellenanamnese führt den Patienten an diese Quelle seines Wissens und kann, umgesetzt in ein homöopathisches Mittel, zu tief greifenden Heilungen verhelfen.

 

Der Weg zur Quelle eines Patienten beginnt in der Anamnese bei den Beschwerden, wegen derer der Patient kommt. Entlang der Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten in der Sprache des Patienten tastet sich der Homöopath voran – durch die Beschreibung der körperlichen, emotionalen und geistigen Symptome. Es braucht ein gutes Ohr und Einfühlungsvermögen, um herauszuhören, wo die wichtigen Informationen liegen. Ein Beispiel: Eine Patientin beschreibt mir ihr müdes Gefühl, als wäre sie „innerlich so gedämpft“. Spiegle ich ihr diese Worte wider und frage sie danach, konkretisiert sie: „Das Gefühl ist dumpf, als wäre das ohne Knochen, tuffig irgendwie.“ Diese Worte sind seltsam, ungewöhnlich und zeigen den ganz individuellen Charakter der Beschwerden dieser Frau. Ich frage also weiter und sie kommt schließlich zu folgenden Worten: „Das ist gallertartig, wie Gelee, und es geht immer so rein und so raus“. Dazu zeigt die Patientin mit der Hand, dass da etwas größeres Rundes ist, aus dem etwas rein und raus geht.

In der Methode der Quellenhomöopathie nach Dr. Irene Schlingensiepen-Brysch gehen wir davon aus, dass das Wissen um das beste Heilmittel tief in jedem Menschen verborgen liegt. Allerdings haben wir darauf keinen direkten Zugriff. In der Fallaufnahme tauchen wir deshalb mit unseren Patienten tief in die verschiedenen Schichten der bewussten oder unterbewussten Wahrnehmung ein. Am Ende dieses Prozesses sind die Menschen in der Lage, ihr individuelles Heilmittel ganz genau zu beschreiben. In erstaunlich vielen Fällen können sie es sogar genau benennen.

 

Gemeinsamer Weg ins Unbekannte

Dabei hangeln wir uns an ungewöhnlichen Worten und Begriffen immer weiter voran, bis wir an einen Punkt kommen, an dem der Patient ein ganz bestimmtes Phänomen genau beschreibt. Jetzt fragt der Behandler: „Was genau ist das, was wie Gelee ist und wo etwas rein und raus geht?“ Wie durch ein Wunder und teils mit schlafwandlerischer Sicherheit nennt der Patient daraufhin eine Substanz. Eine Pflanze, ein Gestein, ein Element, ein Tier oder etwas ganz anderes. In diesem Fall hatte die Frau eine Qualle vor Augen, die sie dann noch weiter ganz genau beschreiben konnte.

Das Finden der Quelle ist für die Menschen in meiner Praxis oft ein sehr befriedigender Moment. Sie merken, dass alles sich zu einem Ganzen zusammenfügt. Einige Patienten erleben nach der Fallaufnahme auch ohne Mittelgabe bereits eine deutliche Verbesserung.

Die Anamnesen dauern je nach Patient unterschiedlich lang. Gerade Menschen, denen es schwerfällt, die Welt der Logik und des Verstandes zu verlassen, benötigen Vertrauen zu mir als Begleiterin, um sich auf diesen Weg ins Unlogische einlassen zu können. Behutsam und achtsam gehe ich mit ihnen auf diesen gemeinsamen Weg ins Unbekannte. Durch gezielte Hilfe tauchen die allermeisten Patienten tief in ihre inneren Bilder, Empfindungen und Assoziationen ein. 

 

Ein langer Weg: eine Frau mit Burn-out-Symptomatik

Eine Patientin kommt wegen Erschöpfung in die Praxis und beschreibt ihre Zustände zunächst so: „Der normale Akku ist leer. Es ist, als ob ich einen ­Onboard-Akku hätte und immer auf Notstrom unterwegs bin. Wenn ich in einem Zustand bin, in dem es aus mir rausfließt, dann bin ich nicht bei mir. […] Da ist Energie, die durch Panik aus mir oben herausfließt.“

Auffällig ist, dass sie das Gefühl hat, aus ihr fließe Energie heraus, zumal sie den Begriff zweimal verwendet. Daher frage ich weiter nach dem Fließen und sie schildert mir Streitsituationen. „Ich kann Dinge durch mich hindurchlaufen lassen. Das Blut einfach fließen lassen. Die Muskeln nicht anspannen. Durchlässig sein.“ Mein Stichwort hier ist „durchlässig“, denn es ist die konkretere Schilderung für das Fließen und bezieht sich auf ihren gesamten Zustand. Als ich danach frage, erklärt sie: „Das bedeutet: Wenn ich Druck kriege, nicht etwas entgegenzusetzen. Sondern alles einfach durch mich durchlaufen lassen. Weitergeben, keinen Gegendruck geben.“ Ich bitte sie, mir das Phänomen von Durchlassen, von Druck und Weitergeben ganz genau zu beschreiben: „Die Energie kommt. Ich bin viele kleine Teile. So eine Materie, durch die etwas hindurch kann. Wenn ich anspanne, ist meine Energie so fest, dass es gegen mich knallt.“

Ich frage sie, was das in der Natur oder im Universum sein könnte, was genau diese Eigenschaften hat. Sie antwortet: „Das ist wie Licht, das durch Glas scheint. Oder wie Wasser. Wasser ist auch so was. Das fließt durch ganze Berge durch, ohne sich zu verändern. Licht und Wasser fällt mir da ein.“

Da sie sich nicht sicher zu sein scheint, bitte ich sie, mir das gesamte Phänomen noch einmal ganz genau zu schildern. Sie beschreibt mir lange einen physikalischen Vorgang, wie die Atome in einem Gitter näher aneinanderrücken und dadurch weniger Energie verbrauchen. Ich frage sie noch einmal, was das sein könnte und sie antwortet: Wasser. Wenn Wasser Wasser ist, dann scheint Licht durch und dann kannst du einen Stein reinwerfen, das interessiert das Wasser gar nicht. Und der feste Zustand ist Eis. Ich liebe Wasser, wenn es geschmolzen ist. Während ich Schnee und Eis total hasse.“

Um es noch ein wenig genauer zu bekommen frage ich sie, welches Wasser sie vor Augen hat, denn in der Homöopathie gibt es sehr viele verschiedene Wasser-Mittel. Sie sagt: „Das Meer, den Ozean.“ Ich verschreibe ihr Aqua marina, das homöopathische Meerwasser. 

 

Was ist die Quelle?

Die Methode der Quellenhomöopathie verbindet Altes mit Neuem und bricht dabei ein Prinzip: Der Patient wird zum Wissenden – der Therapeut wird zum nicht-wissenden Begleiter. Seine Aufgabe ist es, in der Anamnese lediglich da zu sein und mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen den Patienten auf seinem Weg in die unbekannten Tiefen seiner Wahrnehmung zu begleiten. Das erlernte Wissen muss er dabei über Bord werfen. Der Patient beschreitet seinen Weg zum Heilmittel selbst. Er entscheidet an jeder Kreuzung, wohin es geht. So gelangt er zu seinem tiefsten Heilmittel und kann die Selbstheilung beginnen.

Das Quellenmittel ist die genaue Entsprechung unserer tiefsten inneren Bilder und Wahrnehmungen. Es ist vergleichbar mit einem inneren Muster. Ein Muster, das unser Menschsein überlagert und zu dem wir immer wieder zurückkommen. Irene Schlingensiepen vergleicht es mit Obertönen, die einem Ton erst seinen besonderen Charakter verleihen. Ich spreche gerne von einem goldenen Faden, der in ein bestehendes Muster eingewebt ist. Man sieht ihn immer, er verändert das ursprüngliche, menschliche Muster und doch gehört er dazu. Die Quelle birgt sowohl das positive wie auch das krankhafte Potenzial in uns. So finden sich überall im Leben Analogien: Der Mensch, der eine Heilpflanze benötigt, ist vielleicht selbst ein begabter Heiler. Der Kaninchen-Patient entpuppt sich als Kaninchen-Flüsterer und der Mensch, der ein vulkanisches Mittel benötigt, hat zwar ein großes zerstörerisches Potenzial, doch erzeugt er auch die fruchtbarste Erde. Yin trifft Yang und ergibt ein Ganzes. Das ist die ursprüngliche Bedeutung von Heilung: das Ganz-Werden.

 

Die Quellenhomöopathie und andere Therapien

In Zukunft könnte das Wissen um die Quelle auch für andere Therapien von Bedeutung sein. Da Heilung immer auch ein Prozess der Bewusstwerdung ist, kann allein die Beschäftigung mit der Quelle ein heilsamer Schritt sein. In der Psychotherapie arbeitet die Schweizerin Hanna Hadorn mit heilenden Bildern, welche die Patienten selbst finden. Ich könnte mir zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit Psychotherapeuten vorstellen, die mit der Quelle arbeiten und die Klienten so durch ihre Heilung begleiten. Sicherlich gibt es zahlreiche andere Therapien, die mit der Quelleninformation eines Menschen arbeiten könnten. Ich bin für Ideen, Anregungen und Vernetzung offen.


Abb: © patrick – Fotolia.com

Buchtipps zum Thema:
Rajan Sankaran: Das andere Lied, Narayana Verlag, 2009

Irene Schlingensiepen:
Die Quelle spricht, Band I, Narayana ­Verlag, 2008
(Band II in Vorbereitung)

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