Frauen wissen (eigentlich) sehr genau, was sie in Beziehungen wollen und was fehlt. Die meisten von uns wurden darauf konditioniert, sich mit eher mittelmäßigen Beziehungen zufrieden zu geben, die zwar irgendwie funktionieren, aber lange nicht unser volles Potenzial entfalten. Es existiert in uns die Ahnung einer radikal transformierenden, zutiefst erfüllenden Beziehung. Ich nenne sie eine heilige Beziehung.

von Andrea Lindau

Fangen wir mit einer scheinbar einfachen Frage an: Erlebst du dich in deinen wichtigsten Beziehungen glücklich? Vielleicht antwortest du wie aus der Pistole geschossen mit Ja oder Nein. Vielleicht zögerst du aber auch, weil du zuerst darüber nachdenken willst, was Glück eigentlich für dich bedeutet. Gut so. Denn manchmal haben wir in unseren Beziehungen vielleicht alles, wofür uns viele andere beneiden würden, und sind dennoch nicht glücklich. Ich stelle meinen Schwestern in Coachings und Gesprächen gern solche Fragen und stelle immer wieder erstaunt fest, dass viele von uns scheinbar gar nicht so genau wissen, was sie sich in ihren Beziehungen ganz genau wünschen.

Unsere Köpfe wurden so vollgestopft mit Ideen und Normen unserer Herkunftsfamilien oder der Gesellschaft. Unser feiner Instinkt für die Spur des wahren Lebens wurde oft schon irritiert, als wir noch ein kleines Mädchen waren. Unsere Wünsche wurden übergangen, Grenzen überschritten. So viel Nonsens über Beziehungen wurde uns erzählt und vorgelebt. Doch ich glaube, dass wir unter all diesen Konditionierungen immer noch ganz genau wissen, was unsere Beziehungen bräuchten, um voll zu erblühen. Vielleicht haben wir dafür manchmal zuerst nicht einmal Worte. Doch unsere Seele, tief verwurzelt in Eros, fühlt, wenn die Begegnung zweier Menschen nicht ihr volles Potenzial entfaltet. Wir werden dann zuerst verstimmt, dann frustriert und irgendwann wütend. Wut ist Shakti, die in uns pulsierende Lebenskraft, die auf nicht akzeptable Grenzen stößt. Je nach Persönlichkeitstyp und Resilienz wendet sich diese Wut entweder nach außen und wir werden zu jähzornigen Furien, oder sie implodiert nach innen, in Resignation und Depression.

Instinkt für Lebendigkeit freilegen

Ich möchte dir nicht erklären, wie eine wirklich lebendige Beziehung aussieht. Das geht gar nicht, weil das wache Aufeinandertreffen zweier Seelen immer eine einzigartige Spur durch dieses Universum legt. Ich möchte dir Mut machen, deinen Instinkt für Lebendigkeit freizulegen und deine Sehnsucht nach wahrhaft lebendigen Beziehungen zu bejahen. Veit und ich benutzen in unserer Arbeit eine einfache Definition, an der du messen kannst, wo eure Partnerschaft steht: Lebendige Beziehungen sind Felder, in denen alle Beteiligten erblühen. Also, denke einfach an den Menschen, mit dem du in Beziehung stehst, und frage dich: »Ist dies ein Feld, in dem alle Beteiligten erblühen? « Und dann rutsche nicht in das alte Muster der Verwirrtheit, mit dem wir gern unsere Power abschwächen. Sage dir nicht: »Ach, ich weiß nicht so richtig…«

Mache dir vielmehr bewusst, dass du es weißt! Wie solltest du es auch nicht wissen?! Millionen von Jahren Evolution haben dich darin trainiert, Beziehungsfelder aufzubauen und zu hüten, Gesichter und Gefühle auf feinster Ebene zu lesen. Du trägst die Quelle von Eros in dir und Eros ist Beziehung, Verbundenheit, Einheit. Klar ist es manchmal unbequem, uns die Wahrheit einzugestehen. Wir haben Angst vor den Konsequenzen, vor Chaos, Ablehnung, Einsamkeit. Wie heißt das Sprichwort so schön und dämlich: »Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.« Würden wir so denken, wenn wir uns wirklich ernst nehmen würden? Würden wir uns den Spatz schönreden, wenn wir verbunden wären mit der Kostbarkeit und Endlichkeit unseres Lebens? Ich frage dich daher: Reicht es dir oder brauchst du mehr, Schwester? Was brauchst du in deinen Beziehungen, damit sich deine Seele voll entfalten kann? Bist du bereit, den Spatz und die Taube loszulassen und dich als Adlerkönigin emporzuschwingen? Darauf vertrauend, dass die, die auf dich in deiner vollen Größe gewartet haben, dich auch finden und ihr gemeinsam das eingeht, was ich eine heilige Beziehung nenne?

Heilige Beziehung – das außerordentliche Wunder einer Begegnung

Wenn du eine Atheistin bist, lass dich nicht von dem Wort heilig abschrecken. Falls du Genesis. Die Befreiung der Geschlechter (von Veit Lindau) gelesen hast, weißt du, dass es bei Veit und mir nicht für etwas Religiöses steht, sondern für das Außerordentliche und das Heilende, Ganzmachende. Heilige Beziehungen sind für uns Felder, in denen Menschen sich den wachen Blick für das außerordentliche Wunder ihrer Begegnung wahren. Ja, es mag sich im Alltag, wenn wir uns in steter Hektik, in Einkaufszetteln, Windelnwechseln, Arbeit und Steuerabrechnung verlieren, oft in Tristesse und Routine widerspiegeln, doch letztendlich ist doch jede Begegnung zweier bewusster Wesen in diesem unendlich großen Universum ein Wunder. Heilig kommt aber auch vom Wortstamm heil und ist so auch mit unversehrt gleichzusetzen.

Die Heilige Beziehung fördert deine Heilung, indem sie dir einen so sicheren, vertrauensvollen Raum anbieten, dass du mental, emotional und oft auch körperlich von alten Beziehungswunden heilen kannst. Du entspannst dich. Du verstehst besser und kannst die Vergangenheit vergeben. Heilige Beziehung fördern deine Ganzheit. Nicht in der Form, dass du selbst ganzer wirst, sondern in der, dass du deine Ganzheit immer tiefer und weiter erfasst. Während herkömmliche Beziehungen oft vor allem dazu dienen, sich so, wie wir eben sind, auszunutzen oder möglichst fair miteinander zu kooperieren, fordern uns heilige Beziehungen zur Schattenarbeit heraus. Ich entdecke das, was ich an dir hasse und bewundere, auch in mir.

Deswegen gibt sich die heilige Beziehung auf eine gute Weise nie zufrieden. Natürlich muss es Phasen des Genusses, der Erholung und des Feierns geben. Doch ihr werdet weiter drängen, weil ihr wisst, dass diese Reise – innen und außen – kein Ende hat. Ich glaube, dass jeder Mensch eine ganz eigene Bestimmung hat. Manch einer will gar nicht zu den Sternen greifen und ist glücklich, wenn er warm und sicher durchkommt. Das ist voll okay. Aber wenn es dir nicht reicht, dann reicht es dir nicht. Dann bleib nicht stehen und versuche nicht, dein Herz mit eingeredeter Zufriedenheit zu bändigen.

Die bestehende Ordnung immer wieder in Frage stellen

Heilige Beziehung ist außerordentlich, weil sie die bestehende Ordnung immer wieder in Frage stellen müssen. Je besser wir diese Dynamik verstehen, desto weniger kriegerisch-dramatisch müssen wir die alte Form einreißen. Wir können die erneute Häutung unserer Seelen durch Ehrlichkeit, gute Fragen und den Empfang von Visionen sanfter begleiten. Heilige Beziehung löst im Gegensatz zu normalen Beziehungen Kernreaktionen aus. Mir geht es mit dieser Metapher nicht um wissenschaftliche Exaktheit, sondern um einen Punkt, den ich verdeutlichen möchte. Erinnerst du dich noch an den Chemieunterricht in der Schule? An die großen Modelle der Moleküle? In einer einfachen, chemischen Reaktion kommen verschiedene Atome, etwa zwei Wasserstoff- und ein Sauerstoffatom, in einem Molekül, nämlich Wasser, zusammen. Sie gehen wie in einer normalen Beziehung eine Zweckbindung ein. Wenn sie sich wieder trennen, zerfallen sie zurück in Wasserstoff und Sauerstoff. Sie haben sich benutzt, aber nicht verändert.

Eine Kernreaktion hingegen ist ein Prozess, bei dem ein Atomkern durch den Zusammenstoß mit einem anderen Atomkern oder Teilchen seinen Zustand oder seine Zusammensetzung entscheidend ändert. Es entsteht ein neues Element. Heilige Beziehungen wirken wie Kernreaktionen. Sie verändern euch für immer. Und spätestens jetzt wird klar, warum sie (noch) relativ selten sind. Unsere Seelen sehnen sich nach dieser Kernreaktion. Unsere Egos fürchten sie. Denn für sie bedeutet es den kleinen Tod. Solange wir in Familien und Erziehungssystemen groß werden, die uns beibringen, uns als eine relativ feste Form anstatt als lebendigen Prozess zu begreifen, der wir in Wahrheit sind, werden wir diesen kleinen Tod fürchten. Wir stehen immer wieder vor einem scheinbar unlösbaren Dilemma: Wir sehnen uns nach Nähe und wahrer Lebendigkeit, doch gleichzeitig wollen wir unsere Form, unser Ego bewahren. Wir lassen uns ein, bis es heiß wird. Bis diese Beziehung unser verletztes bockiges Rechthaben fordert, und dann springen wir wieder aus dem Schmelztiegel heraus. Indem wir intellektuell herumlabern, anstatt zu fühlen. Indem wir auf Distanz gehen, anstatt im Feuer stehen zu bleiben. Indem wir einen Streit anfangen, der uns von diesem eigentlich so spannenden Punkt ablenkt. Was willst du? Was willst du wirklichwirklich in deinen Beziehungen? Möchtest du sicher durchkommen oder möchtest du dich finden?

Der Sprung in den Transformationskessel

Nach 54 Jahren Leben glaube ich zutiefst, dass das gesamte Universum permanent lauscht und wissen will, was wir wirklich wollen. Und wenn wir es ausdrücken, dann bekommen wir es. In Form von Partner* innen, die exakt zu unserer wahren Absicht passen. Denn auch diese Ausrede möchte ich dir gern nehmen: Es ist eine Lüge, wenn du behauptest, du würdest dich ja voll einlassen, aber der Mann* spiele nicht mit. Erstens: Warum hast du wohl gerade ihn gewählt? Zweitens: Sich wirklich auf die Kernreaktion einlassen, bedeutet nicht, nett zu sein und darauf zu warten, dass in dem anderen ein Wunder passiert. Spring du zuerst in den Transformationskessel. Was hast du noch nicht gegeben? Vielleicht hast du ihn noch nie wirklich vor diese Wahl gestellt. Vielleicht hast du noch nie deine Furie gezeigt. Vielleicht hast du noch nie eine königliche Einladung ausgesprochen und bist gegangen, wenn er nicht geantwortet hat. Hast du dich je klar dazu bekannt, was du wirklich, präzise, messerscharf und radikal willst? Hast du dich dafür mit allem, was du bist, eingesetzt? Und was hast du noch nicht gegeben?

Denn eine heilige Beziehung wird nicht nur Männer* verwandeln, sondern auch uns. Aus Schafen werden Löwinnen. Aus kontrollierbaren Ehefrauen* werden unberechenbare, lebendige Weiber. Wenn deine Seele sich zu diesem existenziellen Hunger bekennt, werden deine Augen anders leuchten. Und ihr werdet einander erkennen und euch magisch anziehen. Der Alltag schläfert uns manchmal ein. Das ist der Moment, in dem die Kriegerin in uns den heiligen Kampf um Wachheit und Lebendigkeit aufnehmen sollte. Widerstehe den Einflüsterungen all derer, die selbst auf halber Strecke eingeschlafen sind und dich nun beschwichtigen wollen, indem sie sagen: »So ist es nun mal. So geht es uns allen. Man muss nehmen, was man/frau kriegt.« Was für ein Bullshit! Du lebst nur einmal. Jetzt lodert deine Fackel. Trage sie so weit, wie du kommst. Nicht nur für dich. Auch für unsere Kinder und Enkelkinder. Denn heilige Beziehungen dienen nicht nur dem Selbstzweck. Sie erschaffen neue Möglichkeiten. Für ein neues Selbstverständnis, ein neues Miteinander, eine neue Zukunft der Menschheit.

Dieser Text stammt aus Andrea Lindaus Buch „Queen is Rising. (R)evolution einer neuen Weiblichkeit“. Das Pendant für Männer ist „King is back. Aufbruch in eine neue Männlichkeit“ von Veit Lindau. Zu beiden Büchern gibt es einen umfangreichen Downloadbereich mit Videos und Meditationen.

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