Deutschland neu erfinden

Hamburg unter Volldampf – ein offener Brief an die Hamburger Bürgerschaft

Am 31. Mai 2006 übergab der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) ein Sondergutachten mit dem Titel: „Die Zukunft der Meere: zu warm, zu hoch, zu sauer“. In dem Gutachten zeigt der Beirat, dass der Klimawandel zwar schwerwiegende Folgen für den Zustand der Meere hat, schlussfolgert aufgrund der Datenlage jedoch, dass der Anstieg des Meeresspiegels nur sehr langfristig eine Bedrohung darstellen wird. Im Juli 2006 sendete die BBC einen Fernsehbeitrag über das Phänomen des “Global Dimming” (globale Verdunklung). Im September 2006 folgt ebenfalls auf BBC ein Interview mit Prof. Chris Raply, dem Director des British Antarctic Survey. Das Fazit: alle bisherigen Klimamodelle sind falsch! Und Eile ist geboten. Sehr große Eile!

Ein Anstieg des Meeresspiegels gehört zu den physikalisch unausweichlichen Folgen der globalen Erwärmung. Das zeigt uns die Klimageschichte. Während der letzten Warmperiode, dem Eem (vor 120.000 Jahren), war das Klima geringfügig wärmer als heute (ca. 1 °C), der Meeresspiegel aber wahrscheinlich mehrere Meter höher: Schätzungen variieren von 2–6 m. Geht man Jahrmillionen in der Erdgeschichte zurück, findet man noch wärmere Klimaepochen. Vor 3 Mio. Jahren, im Pliozän, war das mittlere Klima etwa 2–3 °C wärmer als heute  und der Meeresspiegel lag 25–35 m höher.

Der Hauptgrund dieser großen Meeresspiegeländerungen liegt in der Veränderung der Wassermenge, die in Form von Eis an Land gebunden ist. Das „Meeresspiegeläquivalent“ der Eismasse auf Grönland beträgt 7 m, das des westantarktischen Eisschildes 6 m und das des ostantarktischen Eisschildes sogar über 50 m. 

Zurzeit lassen sich aufgrund der derzeitigen Datenlage zwei Folgerungen ableiten. Die Anstiegsraten des Meeresspiegels bis 5 m pro Jahrhundert sind dokumentiert,  die wahrscheinlich noch keinen oberen Grenzwert darstellen,  und die Klimageschichte zeigt, dass ein vielfach schnellerer Anstieg möglich ist, als für das 21. Jahrhundert erwartet wird.

Die Erde hat derzeit zwei große kontinentale Eisschilde mit einer Dicke von 3–4 km, in Grönland und in der Antarktis. Was ist nun in Zukunft bei weiter fortschreitender Erwärmung zu erwarten? Modellrechnungen zeigen, dass bei einer Erwärmung der oberflächennahen Luftschicht über Grönland um 2,7 °C oder mehr wahrscheinlich der gesamte Eisschild allmählich abschmelzen wird und dass eine kritische Erwärmung über Grönland bereits bei einer globalen Erwärmung von 1,2 °C erreicht werden könnte.

Für Europa wird geschätzt, dass bei einem Meeresspiegelanstieg um 1 Meter, 13 Mio. Menschen bedroht wären (EEA, 2005). Soweit das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates.

In das Gutachten sind noch keine Forschungsergebnisse zum Phänomen des “Global Dimming” – globale Verdunklung (BBC vom Juli 2006) eingeflossen. Die globale Verdunklung ist eine allmähliche Reduzierung der Sonneneinstrahlung, die die Erdoberfläche erreicht. Dieser Effekt wurde zum ersten Mal von Dr. Gerry Stanhill, einem englischen Forscher in Israel dokumentiert. Er verglich Strahlungsmessungen von 1950 bis in die 1980er und stellte dabei fest, dass in diesem Zeitraum die Sonneneinstrahlung in Israel um 22 Prozent zurückgegangen ist. Mit der deutschen Wissenschaftlerin Dr. Beate Liepert, die zu gleichen Ergebnissen für die Bayerischen Alpen kam, sammelte Dr. Stanhill weltweit Daten. Das Ergebnis: eine Reduzierung der Sonneneinstrahlung in der Antarktis um 9%, in den USA 10%, in Grossbritannien 16% und in Russland um 30%, und dies, obwohl die globalen Temperaturen steigen. Die Ursache: die Verschmutzung der Atmosphäre durch die erhöhte Konzentration von Feinstaubpartikeln, die bei der Verbrennung von Holz, Kohle, Öl und Gas entstehen und die in Kombination mit Wassermolekülen das Sonnenlicht reflektieren. Globale Verdunklung wirkt entgegengesetzt zu der globalen Erwärmung. Während die globale Verdunklung durch Reflexion der Sonneneinstrahlung das Klima abkühlt, heizen Treibhausgase wie Wasserdampf, CO2 und Methan die Atmosphäre weiter auf. Bisher ergaben die Rechenmodelle eine Zunahme der maximalen Durchschnittstemperatur um etwa 5 °C bis zum Jahr 2100. Neue Zahlen, die eine Verringerung des Kühleffektes durch die globale Verdunklung mit einbeziehen, sprechen von einer Erhöhung auf 8 bis 10 °C. Ein Temperaturanstieg in dieser Größenordnung würde den Grönländischen Eispanzer und Teile der Westantarktis unweigerlich zum Schmelzen bringen, ohne dass dieser Prozess je wieder rückgängig gemacht werden könnte. Lord Rees, President der Royal Society nannte es: “Der Riese (die Antarktis) ist erwacht”.

Hamburg liegt 4,40 bis 7,20 m über NN.  Die neue Hafen-City wird ohne den Schutz von Deichen gebaut. Hamburg muss eine führende Rolle in der Klimaallianz mit Städten wie Tokio, New York oder Shanghai einnehmen. Worauf warten? Volldampf voraus!

Der stellvertretende Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Hans Joachim Schellnhuber, wurde am 1. 12.2006 von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Klimaberater der Bundesregierung ernannt. Gleichzeitig wurde der Chef des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, Lars Josefsson, in dieses Amt berufen.

Die Bundesregierung will mit externen Beratern die Themen Klimaschutz und Energiepolitik während der deutschen EU- und G8-Präsidentschaft 2007 voranbringen.

Hans Joachim Schellnhuber ist Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung,
Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam und Visiting Professor der Oxford University

www.wbgu.de/wbgu_sn2006.html

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Bild: V.l.n.r. : Lars Josefsson (Vattenfall), Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, Hans Joachim Schellnhuber (PIK, WBGU)

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