Klimawandel, Energiewende, Nachhaltigkeit etc. sind große Zukunftsthemen. Wie wollen wir miteinander leben (im Einklang mit anderen Lebewesen)? Was ist uns wichtig? Wie soll unsere Erde in 20, 30 Jahren aussehen? Werden wir Natürlichkeit und Vergänglichkeit immer mehr durch Künstlichkeit in allen Lebensbereichen ersetzen?

Von Kirsten Scherbaum

Zwischen Überforderung und Zuversicht

Mal überfordern mich die Themen, mal fühle ich mich machtlos und hilflos, mal denke ich: „Was kann ich schon bewirken?“. Aber doch gewinnt in mir immer wieder die Zuversicht. Wenn ich beispielsweise an der Spree spazieren gehe, versuche ich auf die so bekannten und deshalb scheinbar selbstverständlichen Dinge um mich herum zu achten (je nach Jahreszeit): Bäume, Enten, Gräser, Wasserläufer, Libellen, Gänseblümchen usw.

In meiner Wahrnehmung neigt der Mensch gelegentlich dazu, sich selbst zu erhöhen und sich an die Spitze allen Lebens zu stellen. In meiner Welt eint alle Lebensformen aber die Gemeinsamkeit, Lebewesen zu sein. Und in meinen Augen steht niemand über dem Leben selbst.

Die Welt von morgen interessierte mich nicht

Mir ist bewusst, dass ich hier auch ein wenig den Zeigefinger hebe. Weil mir die Themen so am Herzen liegen. Und weil mir die Welt von morgen ganz und gar nicht egal ist. Aber das war nicht immer so. Meine heutige Haltung der Umwelt und anderen Lebensformen gegenüber hat sich erst in den letzten 3 Jahren herausgebildet. Und deshalb möchte ich dich im Folgenden auf einen etwas anderen Weg bezüglich der Diskussion über den Klimawandel und eine nachhaltige und ressourcenschonende Lebensweise einladen.

Ich erzähle dir, warum mir diese Themen völlig egal waren und warum auch ich der unbewussten Überzeugung war, über anderen Lebensformen zu stehen. Warum ich es als Kind lustig fand, Tiere zu quälen und mir überhaupt keinen Kopf machte, was ich da (mit-)tat. Warum es mir völlig egal war, ob zum Beispiel meine Kleidung mittels Kinderarbeit etc. hergestellt wurde. Und warum ich mittlerweile der festen Überzeugung bin, dass ein bewusster Umgang mit den Gefühlen ein tiefer und nachhaltiger Zukunftsbaustein sein kann (dabei meine ich folgende 10 Gefühle: Wut, Verzweiflung, Angst, Hass, Freude, Missgunst, Trauer, Eifersucht, Scham und Neid).

Mit 15 schwor ich mir: Mir tut niemand mehr weh

Schaue ich heute zurück, erkenne ich, warum ich keinen Bezug zur Natur und meiner Umgebung hatte: Weil ich letztlich keinen Bezug zu mir selbst hatte. Ich war völlig verschlossen; nach einem bestimmten Ereignis schwor ich mir mit 15 Jahren endgültig: Mir tut niemand mehr weh. Der Anfang vom Ende. Mächtige, überlebensnotwendige und natürlich völlig unbewusste Schutzmechanismen schotteten mich von einer mitfühlenden Verbindung zum Außen ab. Meine Verletzlichkeit hatte (musste) ich tief vergraben. Um Haaresbreite fast zu tief. Meine inneren dicken Mauern schützten mich zwar zuverlässig vor erneuter Verletzung. Doch diesen Schutz zahlte ich u. a. mit Gleichgültigkeit und innerer Leere. Mir selbst und natürlich auch anderen gegenüber.

Wie innen, so außen

Als erwachsene Frau war ich lange unfähig, stabile Beziehungen aufzubauen. Zu tief saßen Ängste und Misstrauen. Ich brach Kontakte bei der kleinsten Unstimmigkeit ab; gab es keine Unstimmigkeit, dachte ich so lange in möglichen Katastrophenszenarien, dass ich unweigerlich zu dem Schluss kam, irgendwann MUSS die Verletzung passieren – und brach den Kontakt ab.

Es gab viele Verletzungen. Und so machte ich mir auch keinen Kopf, wenn andere durch meine Handlungen litten. Die beiden folgenden Ereignisse aus meiner Kindheit sind keine „Kinderstreiche“. Es ist, was es ist: Tierquälerei. Ich hatte sie lange scheinbar vergessen; doch während der Aufarbeitung meiner Depression und weiterer Begleiterkrankungen holten sie mich wieder ein. Und es fällt mir bis heute schwer, mir die Handlungen selbst zu verzeihen. Auch wenn ich heute noch so gut nachvollziehen kann, warum ich damals mitgemacht habe. Das macht es leider nicht ungeschehen:

Kindheitserinnerungen

Um meinen 10. Geburtstag herum fuhren ein Teil meiner Familie und ich im Sommer nach Zingst zur Kur. Für mich war die Kur unter anderem deshalb nicht ganz unbeschwert, weil ich nicht mit zur Abschlussfahrt meiner Klasse fahren konnte. Es war die 4. Klasse und ich sollte viele meiner Freunde nicht mehr wiedersehen. Ansonsten war mein innerer Rucksack auch damals schon zu schwer. Während der Kur lernten wir ein anderes Geschwisterpaar kennen. Wir verstanden uns gut und machten viel zusammen. So hielten wir es an einem schönen Strandtag für lustig, eine Sandgrube auszuheben, Ohrenquallen zu sammeln, die Quallen in die Grube zu legen – und dann nacheinander mit Anlauf in die Grube zu springen.

Das zweite Ereignis geschah etwas später. Wir waren bei Verwandten zu Besuch und irgendwann gingen wir Kinder zu einem nahegelegenen, umzäunten Spielplatz. Wie es dann so ist, lernten wir andere Kinder kennen, spielten zusammen und jemand kam auf die Idee, Regenwürmer zu sammeln. Dabei sollte es leider nicht bleiben: Wir spießten die Regenwürmer auf dem Zaun auf. Und fanden das lustig.

Was geht mich fremdes Elend an?

Und auch als Jugendliche und Erwachsene berührte es mich kaum, ob irgendjemandem auf der Erde ein Leid passierte. Außerdem: Was interessierte mich denn, wo ein Windrad steht oder auch nicht? Was ging mich Massentierhaltung an? Erderwärmung? Kinderarbeit? – Schulterzucken. Da ich schon als Jugendliche unbewusst große Angst davor hatte, „zu wenig“ Geld zu haben, war ich ein großer Geizkragen (all das hatte natürlich tiefere Ursachen). So auch bei Lebensmitteln. Die Diskussionen um Palmöl, Zusatzstoffe, Antibiotika im Fleisch usw. interessierten mich nicht. Hauptsache, mein Essen kostete nicht viel. Der Rest war mir egal.

Gleichgültigkeit als möglicher Schutzmechanismus

Diese gleichgültige Haltung entsprang aber keinem bösen Herzen. Sie war letztlich das Ergebnis eines sehr einsamen und verletzten Kindes. Ein Kind, das sich nicht selbst kennenlernen konnte. Ein Kind, welchem Türen um die Ohren geschlagen wurden. Welches im Dunkeln allein sitzen gelassen wurde. Ein Kind, welches Sachen erzählt bekam, die nichts für Kinderohren sind. Ein Kind, welches viel zu früh viel zu viel Verantwortung übernehmen musste. Ein Kind, welches schnell merkte: „Ich darf nicht aufmucken.“ Ein Kind, welches mitunter monatelang ignoriert wurde. Meistens ohne erkennbaren Grund. Immer und immer wieder.

Deshalb verstehe ich übrigens auch viele Jugendliche (und Erwachsene), die mit der Haltung „Wenn ich euch egal bin, dann seid ihr mir auch egal“ durch das Leben gehen. Gleichgültigkeit kann auch der Ausdruck eines sehr verletzten Herzens sein.

Wie uns Social Media den Spiegel vorhält

Und so schaue ich heute beispielsweise mit einem mal mitfühlenden, mal besorgten und mal wütenden Blick auf das Social-Media-Geschehen. Wenn für Likes und Follower Fotos in Naturschutzgebieten gemacht werden und über die möglichen Konsequenzen dieses Verhaltens nicht nachgedacht wird (vgl. Mederle & Schiemenz, 2020). Oder unser Konsumverhalten: Da ich 4,5 Jahre in Leipzig wohnte, habe ich beispielsweise oft das Geschehen vor dem Primark in der Innenstadt mitbekommen (vgl. Dittrich, 2022). „Gut aussehen“ um jeden Preis, egal ob in der Schule oder bei der Arbeit. „Beliebt“ und „erfolgreich“ sein, so schnell wie möglich – auf wessen Kosten diese (unbewusste) Einstellung geht, spielt dabei erstmal keine Rolle. „Machen doch alle so.“, „Die Bäume sind doch grün.“, „Ist mir doch egal.“

„Ist mir doch egal“ – Ja, den Gedanken bzw. diese Einstellung kenne ich gut. Doch woher kommt dieses Rücksichtslose, Unbeteiligte, Gleichgültige anderen gegenüber? Nicht nur Menschen gegenüber, sondern auch Tieren, Pflanzen und anderen Lebensformen? Ich persönlich bin kein Freund davon, den Menschen zu verteufeln und dessen „Abschaffung“ oder ähnliches herbeizusehnen. In meiner Welt sind wir Menschen ein Teil dieser Erde, der sich nicht rechtfertigen muss, warum er da ist. Doch woher kommt diese Gleichgültigkeit?

Die enorme Bedeutung der Gefühle

Aus meiner Sicht ist ein Grund für die Gleichgültigkeit und das mehr oder weniger offen bekundete Desinteresse die Unverbundenheit mit uns selbst. Den eigenen Körper kaum oder nicht spüren zu können (außer wenn er schmerzt), nicht fühlen zu können, keinen bewussten Umgang mit den Gefühlen zu haben. Ich staune immer wieder darüber, dass beispielsweise viele Männer unterschiedlichste Automodelle aufzählen können; da kann mitunter stundenlang über Baumaschinen gesprochen werden. Und wie gern sprechen wir Frauen beispielsweise über Kinder. Aber über Gefühle? Und unsere damit verbundenen Bedürfnisse (Puca, 2021, S. 505)? Wer kennt seine eigenen Bedürfnisse?

Gefühle sind kein „esoterisches Chichi“

Wer von uns traut sich beispielsweise, vor seinen Kindern, dem Partner zu weinen? Wer von uns traut sich, Gefühlen Raum zu geben und nicht gleich nach einer Lösung zu suchen? Wer hält Angst und Verzweiflung aus? Wer hat den Mut und die Stärke, sich trösten zu lassen? Wer hat den Mut, den eigenen Kindern (Schülern) gegenüber einen Fehler zuzugeben und sich bei ihnen zu entschuldigen? Wer sieht darin keine „Selbsterniedrigung“ oder ähnliches? Wer traut sich, bei einer bevorstehenden Trennung mit den Kindern aufrichtig und ehrlich zu reden; sich Zeit für ihre Fragen, Ängste und ihre Wut zu nehmen?

Denn mit unseren Gefühlen sind unsere Bedürfnisse verbunden und damit unsere Verletzlichkeit. Wer gesund und bewusst mit seinen Gefühlen umgehen kann, braucht aus meiner Sicht und nach meiner Erfahrung keine inneren (Schutz-)Mauern und (Schutz-)Fassade mehr. Da ein gesunder Umgang mit den Gefühlen untrennbar mit der Körperwahrnehmung zusammenhängt, spüren wir auch dieses Wunderwerk wieder und hören auf, den Körper wie eine Maschine zu behandeln. Mit dem Körper ist wiederum ein weiteres Tabuthema verbunden: Die Vergänglichkeit.

Und weil wir die Vergänglichkeit lieber ausklammern, kann Künstlichkeit ungebremst wachsen. Künstliche Nahrungsmittel, künstliche Körper, künstliches Leben und eine künstlich gestaltete Natur. Ich schließe mich den Worten des Theologen Fulbert Steffensky an: „Ich habe Angst vor einer Welt, in der der Mensch vollkommener Macher seiner selbst wird und alles seinen Machenschaften unterwirft, den Anfang des Lebens, die Tiere, die Bäume und die Flüsse, das Klima und schließlich auch seinen eigenen Tod.“ (Steffensky, 2007, S. 26 f.)

Wer den Fokus nur auf die Freude legt, erzeugt damit Leid

Für mich persönlich ist der Zustand unserer Erde ein Spiegel unseres „kollektiven, menschlichen Innenlebens“. Wie innen, so außen. Natürlich bin auch ich der Meinung, dass es politische Maßnahmen gegen den Klimawandel etc. braucht. Aber eben auch gesellschaftliche. Und wer ist „die Gesellschaft“? Wir alle, jede/r Einzelne von uns.

Und mit Worten von Vivian Dittmar danke ich dir herzlich fürs Lesen: „(…) solange wir unsere Bemühungen darauf richten, mehr Freude, Liebe oder Lust und weniger Wut, Angst oder Trauer zu fühlen, sind wir zum Scheitern verurteilt. Wenn wir leben, dann fühlen wir. Und wenn wir fühlen, dann fühlen wir die gesamte Palette. Wir brauchen die gesamte Palette, um den Facetten des Lebens angemessen begegnen zu können.“ (Dittmar, 2018, S. 84).

Quellen:
Dittmar, V. (2018): Gefühle & Emotionen. Eine Gebrauchsanweisung. 5. Auflage. edition est.

Dittrich, L. (2022): Tagesthemen kritisieren Primark: „Nur ein Marketingfaktor…“. wmn. URL: https://www.wmn.de/lifestyle/fashion/primark-nachhaltigkeit-farce-id343032 (abgerufen am 16.01.2022)

Mederle, S. & Schiemenz, C. (2020): Social Media im Tourismus – Fluch und Segen zugleich. Bayerisches Zentrum für Tourismus. URL: https://bzt.bayern/social-media-tourismus/ (abgerufen am 16.01.2022)

Puca, R. M. (2021): Emotionen. In: Wirtz, M. A. (Hrsg.): Dorsch – Lexikon der Psychologie. 20. Auflage. Hogrefe.

Steffensky, F. (2007): Mut zur Endlichkeit. Sterben in einer Gesellschaft der Sieger. Radius.

Hinweis:
Der Artikel wurde mit kleinen Änderungen am 07.01.2022 unter folgendem Link veröffentlicht:
https://www.unverschlossen.de/klimawandel-und-gef%C3%BChle-warum-mir-die-natur-egal-war

Eine Antwort

  1. Oliver

    Verbundenheit statt Herrschaft, das ist der Weg. Vielen Dank für die klaren und einfachen Worte!

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