Die Angst vor einer Nahrungsverknappung im nächsten Winter geht um. Doch mit etwas Kreativität können wir diese Angst auch nutzen: um wach zu werden und nach neuen Lösungen und Nahrungsquellen zu schauen. Manchmal liegen sie sogar direkt vor der Haustür oder am Wegesrand. Alicia Dieminger zeigt, wie wir jetzt beginnen können, Wildkräuter zu fördern und Schätze der Natur zu ernten, die uns bisher noch nicht ins Auge gefallen sind.

von Alicia Dieminger

Der Nutzen wild wachsender Kräuter wurde oft beschrieben: Wildkräuter sind frei verfügbar und voller Heil- und Vitalstoffe. Im Frühjahr wachsen sie an jeder Ecke und können auch in der Stadt gut geerntet werden. Doch wie können wir sie ganzjährig ernten und fördern? Und dies auch in Dürre- oder Winterzeiten? Arnold (62) betrieb einen Demeterhof mit Milchkühen, bevor er in die ZEGG-Gemeinschaft zog: „Das, was ich früher den Kühen verfüttert habe, das verwende ich jetzt direkt“, lacht er. Und sammelt jeden Morgen Wildkräuter für Smoothies, Salate, Dressings und die Küche der Gemeinschaft.

Das ganze Jahr über findet er genug Wildkräuter und Streuobst, um sich und andere Mitbewohner* innen damit zu versorgen. Dabei streift er viel durch den großen Gemüsegarten des ZEGG. Denn dieser Garten wird bewässert und gemäht. So wachsen immer wieder frische Wildkräuter zwischen den Kulturpflanzen heran, bis in den November und Dezember hinein. Auf der Suche nach ganzjährigen Wildkräutern kann es sinnvoll sein, sich einer Biogärtnerei oder Solawi (solidarische Landwirtschaft) anzuschließen, um die sonst übrig bleibenden Beikräuter zu ernten. Doch es reicht auch ein Hochbeet in der Stadt oder ein Kasten auf dem Balkon. Beikräuter, die auf bearbeitetem Boden von alleine kommen, sind z.B. Vogelmiere, Giersch, Löwenzahn, Spitzwegerich, Klee, Klettkraut, Schafgarbe, Brennnessel, Melde.

Eine Brachfläche in Wildkräuter umwandeln

Mit wenigen Schritten kannst du auch eine unbeackerte, vertrocknete Fläche in eine Quelle für Nahrungsmittel, Frische und Erholung umwandeln, ohne dass du wirklichen Gemüseanbau betreiben musst. Die folgenden Schritte ziehen Wildkräuter an:

· eventuell Bodenaufbau, falls es sich ausschließlich um Sandboden handelt: durch Kompost, Laub, Eierkartons, Zwiebelschalen, Terra Preta. Einige Wildkräuter wachsen auch auf sandigem Boden, aber viele, wie Brennnesseln, brauchen mehr Nährstoffe.

· Bewässern bei zu großer Trockenheit (abends und möglichst erd- und wurzelnah) · Wildkräuter sind Schwachzehrer, d.h. keinen Kunstdünger benutzen, nicht zu viel Kompost

· trockenresistente Pflanzen wie Luzerne oder Rucola aussäen und schauen, welche Pflanzen sich selbst ansiedeln oder schon da sind

· Mähen: nicht jede Woche, aber immer mal wieder, damit frische Wildkräuter nachwachsen. Dabei gerne Inseln stehen lassen für Insekten, Tiere und blühende, sich aussäende Pflanzen. Oder einfach nur Wege und rund um Bäume mähen und den Rest stehen lassen. Das gemähte Gras kann zum Mulchen und Feuchthalten von Beeten oder Bäumen verwendet werden.

· Hunde fernhalten (eventuell durch Einzäunen des Geländes)

· Das Sammeln genießen, vielleicht morgens und barfuß auf taufrischer Wiese, dann braucht es auch keine extra Yogastunde oder Achtsamkeitspraxis mehr. Dankbarkeit erleben, was die Natur uns alles schenkt. Im Kühlschrank halten sich die Wildkräuter auch einige Zeit, wenn du nicht jeden Tag frisch sammeln kannst.

Was du bei Dürre trotzdem ernten und fördern kannst

Wenn die Wiesen und Kräuter vertrocknen, dann ist es immer noch möglich, Blätter von Bäumen zu ernten: „Die Bäume sind durch ihre Wurzeln erst später betroffen. Linden schlagen unten immer wieder frisch aus, wenn sie beschnitten werden, und können so bis in den Herbst frische, zarte Blätter haben“, erzählt Arnold. Lindenbäume finden sich fast in jedem Dorf und sogar in der Stadt als Alleebäume. Laub lässt sich auch von Obstbäumen und -sträuchern verwenden: Johannisbeeren, Himbeeren und vor allem die meist wild wachsenden Brombeeren. Brombeerblätter lassen sich wie Brennnesseln gut für den Winter und Tee trocknen. Auch Haselnusssträucher wuchern oft wild oder wachsen als Hecken.

Außerdem lassen sich trockenresistente Pflanzen etablieren und aussäen, z.B. Luzerne. Diese bilden mehrere Meter tiefe Wurzeln und können sich dadurch besser mit Wasser versorgen. Sie sind mehrjährig und bieten, wenn sie geschnitten werden, immer wieder neues, nährstoffreiches Grün. Und dann gibt es noch das Grün der Gemüsepflanzen: bei Rote Beete, Möhren, Kohlrabi muss dieses nicht weggeworfen werden, sondern beinhaltet zum Teil mehr Vitalstoffe als die Knolle selbst.

Wildkräuter-Smoothies

Arnold stellt jeden Tag grüne Smoothies mit einem Hochleistungsmixer her. Diesen braucht er auch, denn er mixt neben den Wildkräutern mit Stiel und Stängel auch Obst mit Schale und Kerngehäuse (z.B. von Zitronen, Bananen, Äpfeln, Birnen, Beeren). Als Emulgator verwendet er Leinsamen. Zum Teil auch nur den Presskuchen davon, da er selbst Leinöl herstellt. Dazu Wasser aus einer nahe gelegenen Quelle und im Frühjahr auch mal frisch gezapftes Birkenwasser. Ingwer, Kurkuma, Pfeffer, Artemisia (Beifuß) machen den Smoothie besonders anitviral und immunstärkend.

Geschenktes Obst aus der Region

Das Obst sammelt Arnold auf Streuobstwiesen, in verwilderten Gärten oder Alleen: „Die Fülle ist da, das Problem ist eher, dass viele Menschen sie nicht nutzen, sich die Arbeit nicht machen wollen. Ich bin gerne bewusst schauend unterwegs und sehe dann auch, wo was wächst und liegt.“ Alleen mit Obstbäumen gebe es schon an Stadträndern und in Vororten. Und in vielen privaten Gärten hätten die Besitzer auch oft mehr Obst, als sie verwenden können: „Ich spreche dann auch Menschen oder Gemeinden an und frage nach, auch in Schrebergartensiedlungen. Viele freuen sich, wenn sich jemand des Obstes annimmt, und geben gerne etwas ab.“ So entstehen ganze Netzwerke oder Verschenk-Gruppen per Telegram. Heute helfen eben auch Apps bei der Fallobstsuche weiter.

Was du im Winter tun kannst

Gerne jetzt vorsorgen und Blätter, Blüten und Samen trocknen. Vor allem Brennnesselsamen lassen sich leicht sammeln und sind eine gesunde Quelle für Proteine, Eisen etc. Man kann sie im Winter einfach über das Müsli streuen und sie ersetzen teure Super Foods wie Chia. Wer Feldsalat und Grünkohl anbaut, kann dessen Blätter selbst bei Schnee ernten und für winterliche Smoothies verwenden. Noch ein Tipp: Sanddornbüsche und Wildrosen pflanzen, Hagebutten haben einen sehr hohen Vitamin-C-Gehalt. Grün für winterliche Smoothies bieten Roggenoder Weizengras – auf Feldern geerntet oder auf der Fensterbank selbst angebaut – ebenso selbstgezogene Sprossen. Außerdem lecker: die zarten Spitzen von Nadelbäumen wie Tannen. Viel Spaß beim „Wildkräutern.

 

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