Ein/e Yogi/ni ist gelassen, gelenkig und geerdet. Ist er oder sie das nicht, sind sie halt keine Yogis – Punkt. Zum Glück gibt es neben dieser zwar sehr fokussierten, aber auch ziemlich eindimen sionalen Betrachtungsweise noch die mit der Yogaphilosophie verbundene Chakrenlehre, die den Menschen ganz genau so nimmt, wie er ist, um ihm dann mit Chakren-Yoga individuell passende Wege des inneren Wachstums zu zeigen.

von Katharina Middendorf

Mythos Chakren?

Chakren (Sanskrit: Rad/Kreis) gibt es nicht nur im Yoga. Das hinduistische System der Chakren ist aber vermutlich das bekannteste; es entstand schon vor knapp 2000 Jahren. Da diese „Geheimlehre“ hauptsächlich mündlich weitergegeben wurde, gibt es keine Standardwerke. An einigen Stellen der Veden (Sanskrit: „heilige Lehre“, religiöse Texte des Hinduismus) werden die Chakren als Energiezentren des Körpers benannt. Im Hatha-Yoga-Pradipika, einer bedeutenden Yoga-Schrift aus dem 14. Jahrhundert, in der die Techniken des Hatha- Yoga beschrieben sind, werden Chakren als Bewusstseinszustände beschrieben. Andere Lehren esoterischer Art wiederum begreifen die Chakren mehr körperlich als geistig. Dieses vielschichtige System gibt viel Spielraum, die Lehre in die physische als auch in die psychische Richtung zu deuten. Körperlich sind die Chakren nicht greifbar, nach hinduistischer Lehre sind diese Zentren vielmehr dazu da, Bewusstsein konzentriert zu lenken und durch die Lenkung innerpsychische Vorgänge zu regulieren, was dann wiederum körperliche Auswirkungen haben kann.

Funktion von Chakren

Im hinduistischen System ist von sieben Chakren die Rede. Jedes Chakra ist einem bestimmten Referenzpunkt im Körper zugeordnet, wie zum Beispiel dem Damm. Ebenso findet sich jeweils ein Sinnesorgan, das mit dem Chakra in Beziehung steht. Darüber hinaus gibt es noch weitere – von Lehre zu Lehre etwas unterschiedliche – Eigenarten wie beispielsweise Farben, Symbole, Tiere und Mantren, die mit dem jeweiligen Chakra assoziiert werden. Entscheidet man sich, die Chakrenlehre für sich zu nutzen, dann stecken hier vielschichtige Werkzeuge, die helfen können, die eigene Persönlichkeit besser zu verstehen, und die dazu beitragen können, besser mit negativen Anteilen (Schatten) umzugehen und positive Anteile hervorzuheben. Chakren können auch dazu beitragen, empathischer zu werden, sie können da regulieren, wo man aus der Balance gekommen ist, und sie können Wege aufzeigen, aus einer destruktiven Lebens- und Sichtweise in eine zugewandtere Form zu finden.

Einzigartig: Qualitäten und ihre Schatten

In der Yoga-Philosophie heißt es, dass jeder Mensch mit einem oder zwei besonders ausgeprägten Chakren auf die Welt kommt, die ihn im Laufe seines Lebens und seiner Entwicklung maßgeblich begleiten. Hierin können die größten Stärken liegen, aber eben auch die Gründe für die meisten inneren Kämpfe.

• Mooladhara-Chakra ~ Wurzelchakra (Referenzpunkt Beckenboden): Vertrauen/Angst
• Swadhisthana-Chakra ~ Sakralchakra (Referenzpunkt Kreuzbein): Sinnlichkeit/Scham
• Manipura-Chakra ~ Nabelchakra (Referenzpunkt Bauchnabel): Lebenskraft/Dominanz
• Anahata-Chakra ~ Herzchakra (Referenzpunkt Brustraum): Empathie/Egozentrik
• Vishuddi-Chakra ~ Kehlkopfchakra (Referenzpunkt Kehlkopf): Klarheit/Engstirnigkeit
• Ajna-Chakra ~ Guruchakra/drittes Auge (Referenzpunkt Augenbrauenzentrum): Intuition/ Größenwahn
• Sahasrara-Chakra ~ Kronenchakra (Referenzpunkt Kopfkrone): Transzendenz

Zusammen noch stärker: Die Chakrenleiter

Das Chakrensystem ist ein ganz fein aufeinander abgestimmtes Prinzip mit unglaublicher Wirkungskraft. Im Yoga, insbesondere im Kundalini-Yoga, geht man davon aus, dass der Mensch durch eine Energie, die Kundalini (Sanskrit: die Aufgerollte, die schlafende Schlangenkraft) genannt wird, in einen Zustand der absoluten Ausgewogenheit kommen kann. Und um diesen Bewusstseinszustand zu erreichen, sind die Chakren von fundamentaler Bedeutung. Die schlafende Schlange, die im Wurzelchakra ruht, kann durch Übungen erweckt werden und bis nach oben zum Kronenchakra aufsteigen. Auf dem Weg zur Ausgewogenheit, Entspannung, Stille oder Erleuchtung – für diesen finalen Zustand gibt es unterschiedliche Begriffe – muss sie die an der Wirbelsäule aufeinander folgenden Chakren durchlaufen.

Bei jeder dieser Stationen kann sie wieder auf die vorherige Stufe zurückfallen oder die nächste erklimmen. Dies hängt davon ab, ob das Bewusstsein so weit mit den Anforderungen des Chakras im Einklang ist, dass nichts mehr im Dunklen schlummert und den Weg zu mehr Erkenntnis versperren könnte. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Kundalini nicht nur eine Energieform ist, die ins physische Erleben der körperlichen Yoga-Praxis gehört, sondern eine Bewusstseinskraft, die psychologischer Natur ist und helfen kann, den Zustand des Yoga (oft als Einheitsgefühl/Erleuchtung beschrieben) zu erreichen und damit eine neue Stufe des Bewusstseins zu erlangen, was Yoga, gerade in Bezug auf die Chakrentheorie, zu einer Evolution des Bewusstseins macht.

Übung: Reigen der Sinnlichkeit
Diese Übung ist für das Zusammenspiel von zweitem und vierten Chakra, von Unterleib und Herz (Auszug aus: Das kleine Chakrenhandbuch). Ausgangshaltung: Wählen Sie eine angenehme Sitzposition, in der Sie den Oberkörper mühelos aufrichten und besonders die Hüften loslassen können. Wichtig sind Ihre entspannte Grundhaltung und ein Sitz mit aufrechter Wirbelsäule. Schließen Sie die Augen und atmen Sie gleichmäßig durch die Nase ein und aus. Aufmerksamkeit: Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit gen Schambein. Lassen Sie Ihren Atem hier für einige Augenblicke verweilen, bis Sie im Kontakt sind mit dieser etwas ungewohnten Art der Atemwahrnehmung. Vielleicht spüren Sie schon hier, wie die Hüften noch ein wenig mehr entspannen können, sich der Unterleib lockert und Energien ins Fließen kommen.
Ausführung: Stellen Sie sich gedanklich vor, durch das Schambein einzuatmen und den Atem die Mittelinie Ihres Oberkörpers nach oben steigen zu lassen, bis Sie auf Herzhöhe wieder beginnen auszuatmen. Während Sie diese Atmung in der beschriebenen Art und Weise fortführen, visualisieren Sie, dass der Atem in Kreisform fließt und weder einen Anfang noch ein Ende hat. Mit der Einatmung strömt der Atem durch das Schambein ein, nährt den gesamten Körper und tritt durch das Herz, auf Höhe des Brustbeins, wieder aus. Ein Reigen der Sinnlichkeit.
Akzent: Nun beginnt der freie und eigene Teil der Meditation – und zwar mit Ihrer Entscheidung:
1. Ressourcenstärkung: Wenn Sie sich bereits im Feld der Sinnlichkeit zuhause fühlen und dies ein Ort ist, der Ihnen Kraft gibt und hilft in die Stille zu finden, dann lenken Sie Ihr Bewusstsein ganz besonders auf die energetische Ein- und Austrittsstelle der Atmung (Schambein und Herzraum). Damit führen Sie die Kraft der Sinnlichkeit vom Inneren ins Außen.
2. Potentialentfaltung: Wenn Sie das Gefühl haben, dass das Feld der Sinnlichkeit ein Bereich ist, der mit Ablehnung, Scham oder Schuld besetzt ist, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Atemstrecke zwischen dem Ein- und Austrittspunkt der Atmung. Damit lenken Sie den Fokus auf die innewohnende Fähigkeit zur Sinnlichkeit, ohne dabei Druck aufzubauen. Wählen Sie eine beliebige Form der Meditation und führen diese für einige Minuten in Stille aus. Dann beenden Sie die Meditation und spüren Sie dem Erlebten im Sitzen oder Liegen nach.

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