Die Wiege der Menschheit stand in Afrika. Hier hat sich der moderne Mensch und vor allem sein Gehirn – sein leistungsfähigstes Organ – entwickelt. Doch erst der Wechsel vom Jäger und Sammler hin zum Fischer und Sammler machte den entscheidenden Wendepunkt in der Evolution unserer Intelligenz möglich. Die Hauptrolle hierbei spielte indirekt ein kleiner, aber entscheidender Neuzugang auf unserem Speiseplan: winzige Algen aus Meeresplankton mit ihren wertvollen Omega-3-Fettsäuren, dem Algenöl…

von Illian Sagenschneider

Vor etwas 200.000 Jahren befand sich der frühe altsteinzeitliche Mensch in einer kritischen Situation. Seine alte Lebensweise als Jäger und Sammler war mit dem Einsetzen der Eiszeit so nicht mehr möglich. Die weit über 70.000 Jahre andauernde Dürreperiode ließ die zentral gelegen Gebiete Afrikas versteppen und sorgte fast für die Ausrottung der frühen Menschen. Unsere Vorfahren waren gezwungen, an die küstennahen Regionen im südlichen Afrika auszuweichen. Laut Erbgutanalysen wissen wir, dass alle heutigen Vertreter der unterschiedlichsten Ethnien von nur diesen wenigen überlebenden gemeinsamen Vorfahren abstammen.

Vom Jäger zum Fischer

Doch was als Drama begann, führte dann zum größten Glücksfall in unserer Entwicklung hin zum Homo sapiens sapiens: der massiven Weiterentwicklung unseres Gehirns. Denn die Nahrungspalette an Afrikas Küsten glich einem Garten Eden: riesige Muschelbänke, Fische und Meeresfrüchte, dazu eine vielfältige Vegetation aus Kräutern und kohlenhydratreichem Wurzelgemüse fanden sich dort in Hülle und Fülle. Und dieses neue Buffet bot vor allem einen zentralen Stoff in zuvor nie da gewesener Menge: die Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure, kurz DHA. Unser Gehirn besteht zu 60 % aus Fett und DHA ist dort mit knapp 25 % die wichtigste und am stärksten vertretene Fettsäure. Doch wir können sie nicht selber herstellen.

Einzig Mikroalgen, die im Algenöl enthalten sind, sind dazu in der Lage, DHA eigenständig zu produzieren. Die Algen bilden die Nahrung für die kleinen Krillkrebse. Der Krill wiederum wird von Fischen gefressen und so reicherten sich diese hochkomplexen Omega-3-Fettsäuren in deren Fettgewebe an. Muscheln hingegen filtern die Algen aus dem Meerwasser heraus und werden so zu wahren DHA-Bomben – und da sie nicht sonderlich gut weglaufen können, stand dem Steinzeitmenschen plötzlich ein unerschöpfliches aquatisches Nahrungsangebot zur Verfügung. Die weitläufigen Höhlensysteme an der Küste Südafrikas boten zudem einen mietfreien Wohnraum, von dem die meisten Berliner aktuell nur träumen können…

Der Mensch wurde daher schließlich sesshaft und zum Fischer und Sammler. Er war schnell satt, perfekt mit allen Nährstoffen versorgt und so entstand ein großer Spielraum für Kreativität. Forscher fanden in den südafrikanischen Höhlen meterhohe Abfallberge von Muscheln, Fischknochen und technische Artefakte wie z.B. messerscharfe, bearbeitete Steinklingen für den Fischfang. Auch der erste Bootsbau konnte nachgewiesen werden.

Die Evolution der Intelligenz

Hierfür waren Erfahrungen und planendes Handeln nötig – ebenso wie eine komplexe Sprache, um dieses Wissen an die nächste Generation weitergeben zu können. Gleichzeitig stiegen die Anforderungen an das soziale Verhalten: Das Zusammenleben an einem festen Ort in großen Gruppen musste organisiert und Konflikte erfolgreich gemeistert werden. Eine emotionale sowie eine soziale Intelligenz wurden so zum Überlebensvorteil. Diese aquatische Phase der Menschheitsgeschichte förderte die Evolution von kooperativem Verhalten – und damit die Grundlage für den gewaltigen Erfolg unserer Spezies. In dieser Periode der Nahrungsfülle explodierte die Gehirnentwicklung und unsere kulturelle Evolution.

Wenig überraschend hat sich dadurch unser Frontalhirn gewaltig weiterentwickelt und an Volumen hinzugewonnen. Dieser Hirnbereich ist die Zentrale für Sprache, emotionale & soziale Intelligenz, für Kurzzeitgedächtnis und Aufmerksamkeit. Und genau hier findet man die höchste Konzentration von Docosahexaensäure im gesamten Gehirn. Beim ausgestorbenen Neandertaler (Homo sapiens neandertalensis), dem diese aquatischen Nahrungsquellen so nicht zur Verfügung standen, hat diese Entwicklung nicht stattgefunden. Ihm fehlte schlicht die ernährungstechnische Grundlage, um seine „Festplatte“ auf den neuesten evolutionären Stand zu bringen.

DHA ist unersetzlich

DHA fungiert auch als hormoneller Wirkstoff mit einer hochkomplexen Struktur und einzigartigen Eigenschaften und Funktionen. So stimuliert DHA sowohl die Entstehung als auch das Wachstum von Nervenzellen. Eine entscheidende Rolle spielt sie auch bei der Signalübertragung an den Synapsen. Mit einer Konzentration von mehr als 50 % DHA-Anteil in den Zellmembranen zeigt sich hier ihr zentraler Einsatzort. Die sogenannte „Synaptische Plastizität“ ist Grundlage für jegliches Lernen und Erinnern. Gerade für Kinder in der Entwicklung ist eine optimale DHA-Versorgung wichtig, denn sie entscheidet maßgeblich über die Intelligenz unseres Nachwuchses. Eine Investition an dieser Stelle müsste das oberste Gebot jeglicher Bildungsmaßnahmen sein.

DHA hilft zudem über verschiedene Mechanismen, den Tod von Nervenzellen zu verhindern, die unter Stress geraten und geschädigt worden sind. Somit werden wir durch DHA stressresistenter. Auch an der Reparatur von Nervenzellen ist diese Fettsäure beteiligt. Hohe DHA-Gaben nach z.B. einem Schlaganfall helfen dabei, dauerhafte Schäden zu verringern. Weiterhin bildet DHA auch entzündungshemmende Gewebehormone, reduziert oxidativen Stress und dessen Folgen und ist ebenso für die Verminderung von Schmerzempfindungen verantwortlich.

Beim Sehen spielt die Docosahexaensäure, die im Algenöl enthalten ist, eine ebenso große Rolle: Sie ist mit verantwortlich für das Umwandeln von Lichtsignalen in elektrische Nervenimpulse. Gerade in den Membranen unserer Augen findet sich eine enorme DHA-Dichte. Säuglinge brauchen beispielsweise für die Entwicklung einer guten Sehfähigkeit genügend DHA in der Muttermilch. Evolutionsgeschichtlich kann man sagen, dass diese Fettsäure, ursprünglich hergestellt von Mikroalgen, entscheidend war für die Entwicklung unser Signalsysteme. Und das Denken, das entscheidende Merkmal unserer Spezies, wäre ohne DHA nicht möglich gewesen!

Unser Gehirn schrumpft…

Der altsteinzeitliche Fischer und Sammler hat sich kulturell mittlerweile zum Viehzüchter und Ackerbauer „weiterentwickelt“. Dies hatte zur Folge, dass auch die Fülle von aquatischen Omega-3-Fettsäuren Stück für Stück wieder von unserem Speiseplan verschwunden ist. Verschärft wurde dieser Mangel zusätzlich durch die hochgradig industriell verarbeitete Nahrung der letzten hundert Jahre: Minderwertige Industriefette, hocherhitzte Transfette und generell eine Verschiebung hin zu stark Omega-6-Fettsäure-lastigen Lebensmitteln verringern die Aufnahme von DHA deutlich (siehe SEIN 03/2018).

1997 erschien ein alarmierender Artikel im renommierten Fachblatt „Nature“: Das menschliche Gehirn beginnt wieder zu schrumpfen! Und zwar seit dem Übergang hin zur Landwirtschaft und Viehhaltung vor ca. 12.000 Jahren um ganze 11%. Genau parallel zu dem Verschwinden der aquatischen Fettsäuren. Unser Gehirnvolumen ist mittlerweile wieder kleiner als das des Neandertalers. Der Zusammenhang von DHA-Aufnahme und Gehirngröße lässt sich anhand von Forschungen auch belegen: Je geringer der Anteil an DHA in der Ernährung eines Menschen, desto kleiner ist auch sein Gehirn. Gleichzeitig steigt mit diesem Mangel auch noch die Wahrscheinlichkeit, dass das Gehirn im Alter weiter schrumpft.

DHA-Mangel mit Konsequenzen

Dieser Mangel besteht weltweit und hat schwerwiegende Konsequenzen (siehe Weltkarte in SEIN 04/2021). Die negativen Folgen für das Funktionieren unseres Immunsystems habe ich bereits ausführlich im letzten Omega-3-Artikel beschrieben. Versteht man die Funktionen von DHA, ist es nicht verwunderlich, dass ein Mangel an dieser Fettsäure, wie sie in Algenöl enthalten ist, eine gewichtige Rolle bei der Entstehung unterschiedlichster Krankheiten spielt: ADHS, Herz- und Hirninfarkt, Allergien, Asthma, Erschöpfungszustände, häufige Krebsformen, Angstzustände, Depressionen und Alzheimer… Aber auch das soziale Verhalten wird mit beeinflusst. Seit Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts können wir eine kontinuierliche Abnahme menschlicher Empathiefähigkeit beobachten.

Aggressive und gestörte soziale Verhaltensweisen nehmen zu. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie sehr unsere Gehirnfunktionen und damit auch der Output des Gehirns durch DHA-Mangel beeinträchtigt werden. Dabei ist es kein Problem, dieses gravierende Defizit zu beheben. Leider haben wir die Weltmeere dermaßen überfischt und vergiftet, dass eine Rettung aus dem Meer nicht mehr realisierbar ist. Es ist schlicht nicht mehr möglich, jeden Menschen ein- oder zweimal die Woche mit Fisch zu versorgen. Und selbst wenn, würde das nur zu einer Omega-3-Versorgung von ca. 0,5 Gramm führen. Optimal wären jedoch 2 bis 3 Gramm täglich – letztlich müsste also jeden Tag Fisch auf der Speisekarte stehen. Soviel Fisch lässt sich weltweit allerdings gar nicht mehr fangen.

Algenöl für die Weltbevölkerung

Die globale Lösung dieses Problem lautet Algenöl! Eine Reihe von Mikroalgen, die sich durch eine besonders hohe Konzentration an DHA auszeichnen, werden mittlerweile zu hochwertigem Omega-3-Öl verarbeitet. Hierzu gehören echte Algen, wie zum Beispiel die Kieselalge Phaeodactylum. Aber auch Schizochytrium – eine „Alge“, die eigentlich ein Pilz und dort zu Hause ist, wo auch wir gerne Urlaub machen: in der Karibik. Dort in den Mangrovenwäldern futtert dieser Pilz fleißig die Zellulose der abgestorbenen Mangrovenblätter als Treibstoff für den Aufbau seiner Fettsäuren. In der industriellen Herstellung von Algenöl wird Schizochytrium nun mit Mais oder anderen Kohlenhydraten versorgt. Die Anlagen hierfür sind übrigens ähnlich wie die in der Bierherstellung. Auch hier wird ja ein Pilz gefüttert, um ein allseits beliebtes Produkt herzustellen.

Nun, hoffen wir, das sich der Mensch auf seinen doppelten „Nachnamen“ sapiens besinnt und beginnt, weise zu agieren. Es ist so einfach, seinen eigenen Omega- 3-Index zu bestimmen: Ein Tropfen Blut genügt, um festzustellen, ob in den Membranen der eigenen roten Blutkörperchen ein optimaler Anteil von 8 bis 11% Omega-3-Fetten vorliegt. Denn diese stehen stellvertretend für alle anderen Zellen im Körper. Und mittlerweile sind wir doch Weltmeister im Testen. Warum also nicht mal etwas Geld für einen wirklich sinnvollen Laborwert ausgeben? Am Ende könnten schon ein oder zwei Löffel Algenöl täglich viele Gesundheitsprobleme lösen. Wir sind schließlich in der Lage, den Großteil der Bevölkerung in Deutschland mit ausreichend Bier zu versorgen – wie wäre es jetzt mal mit einer flächendeckenden DHA-Versorgung…?

Nächster Vortrag zum Thema „Omega- 3-Öl & Gehirnentwicklung“ in Berlin am Do., 16.12.2021 um 19.30 Uhr. Nächstes Wochenendseminar von Abenteuer Ernährung in Berlin am Sa-/So., 15./16.01.2022, jeweils von 11-17.30 Uhr Eisbaden-Vortrag „Die Magie der Kälte“: 15.12.2021 um 19.30 Uhr.

Veranstaltungsorte bitte telefonisch erfragen. Informationen und Anm. unter info@abenteuer-ernaehrung.de oder telefonisch bei Illian unter 0176–844 84 333

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*